Crimes of the Past

Neu im Kino KW 45 (DE)

Riedhof, Vous n'aurez pas ma haine, Meinen Hass bekommt ihr nicht
Meinen Hass bekommt ihr nicht, 2022, Kilian Riedhof

„Meinen Hass bekommt Ihr nicht“ – von David Cronenberg über Kilian Riedhof zu Leah Purcell, von Isabelle Huppert zu Elfriede Jelinek und Claudia Müller: unsere Filmstartauswahl der Woche.

Es beginnt mit einer kleinen Sensation, zumindest für alle Freund:innen des weirden body horror: David Cronenberg hat acht Jahre nach dem etwas enttäuschenden Maps to the Stars wieder einen Film gedreht, der auch noch genau so heißt wie eines seiner frühen Werke und damit auf das splatterige Frühwerk verweist. Crimes of the Future hat bis auf den Titel aber nichts mit dem gleichnamigen Film von 1970 zu tun, sondern knüpft gedanklich eher an Videodrome an: David Cronenberg ist nach langer Zeit wieder einmal auf der Suche nach dem „neuen Fleisch“. Hier unsere Kritik zum Film.

Vom philosophisch interessierten Horror zum ganz realen: Meinen Hass bekommt ihr nicht / Vous n’aurez pas ma haine basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch von Antoine Leiris, dessen Frau Hélène Muyal-Leiris 2015 beim islamistischen Anschlag auf den Pariser Club Bataclan ums Leben gekommen ist. Leiris, von Beruf Journalist, schrieb kurz nachdem er die Leiche seiner Frau identifizieren musste, einen Facebook-Post, der tausendfach geteilt wurde: „Meinen Hass bekommt Ihr nicht. Sicher, Ihr habt es genau darauf angelegt – doch auf diesen Hass mit Wut zu antworten, das hieße, sich derselben Ignoranz zu ergeben, die aus Euch das gemacht hat, was Ihr seid.“ Regisseur Kilian Riedhof, der sich zuletzt mit Gladbeck und Der Fall Barschel an der filmischen Verarbeitung realer Verbrechen (beziehungsweise im Fall von Barschel möglicher Verbrechen) versucht hat, macht aus dem Stoff ein emotional bewegendes Drama um die Liebe eines trauernden Vaters zu seinem anderthalbjährigen Sohn, das keinen politischen Diskurs führen möchte, sondern vor allem auf Emotionalisierung setzt. Was bei dem realen Hintergrund nun keine große inszenatorische Anforderung ist.

Der Western wurde so sehr dekonstruiert in den letzten 50 Jahren, dass man inzwischen meinen könnte, das klassische Heldenformat (John Wayne gegen die Indianer) sei ein Ausrutscher gewesen, und der Normalfall sei ein Panorama aus Schlamm und Mühsal. The Drover’s Wife – Die Legende von Molly Johnson, das Regiedebüt der Schauspielerin Leah Purcell, überträgt das Antiwestern-Setting ins australische Outback des Jahres 1893. Molly (gespielt von der Regisseurin) muss sich während der Abwesenheit ihres Mannes gemeinsam mit den Kindern auf der Farm behaupten. Sie nimmt den des Mordes angeklagten Aborigine Yadaka (Rob Collins) bei sich auf, dann eskaliert es nach und nach. Die Landschaft ist unwirtlich, die Menschen brutal, und The Drover’s Wife eine der gelungensten Genrevariationen seit Tommy Lee Jones’ The Homesman.

In Mrs. Harris und ein Kleid von Dior / Mrs. Harris Goes to Paris sind die Kulissen prachtvoll und die Menschen wohlwollend (auch wenn sie es nicht von Anfang wissen). Die Romanvorlage von Paul Gallico wurde 1982 schon einmal verfilmt, von Peter Waldeck und mit Inge Meysel in der Titelrolle. Anthony Fabians Verfilmung ist weniger betulich, aber doch der Inbegriff des Middle-Brow-Arthaus-Comedy-Dramas. Mrs. Harris (Lesley Manville) arbeitet als Putzfrau in den Häusern der Reichen. Ihr Traum ist ein Kleid von Dior, sie fliegt mit ihren kargen Ersparnissen nach Paris und wirkt dort Wunder – bringt den jungen Menschen bei, auf die Liebe zu vertrauen und erinnert die Angehörigen der Modebranche an das Gute und Wahre. Ein Feel-Good-Rührstück. Aber mit Isabelle Huppert in einer Nebenrolle.

Die Huppert wiederum hat in Michael Hanekes Verfilmung von Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin die Hauptrolle gespielt. Der Dokumentarfilm Elfriede Jelinek – die Sprache von der Leine lassen rekonstruiert die Künstlerbiografie der bekanntesten österreichischen Schriftstellerin, mittels Archivmaterial vor allem, aber auch mit für den Film selbst aufgenommenen Kommentaren Jelineks. Ein dankbares Sujet: Eine interessantere und in einem guten, nicht stumpfen Sinne kontroversere Schriftsteller:in wird man in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur nicht finden. Und die Montage der Regisseurin Claudia Müller wird ihrem Gegenstand gerecht: „Meine Absicht war, die Zeitebenen unklar zu halten, sodass man nicht weiß, ist man in der Gegenwart oder der Vergangenheit“, hat sie dem Standard erzählt. „Es ging mir darum, die Aktualität ihrer Texte herauszuarbeiten.“ Unsere Besprechung stammt von Alexandra Seitz.