Crimes of the Past

Neu im Kino KW 45 (AT)

Beckermann, Mutzenbacher
Mutzenbacher, 2022, Ruth Beckermann

„Mutzenbacher“ – von David Cronenberg über Marvel zu Isabelle Huppert zu Elfriede Jelinek und Claudia Müller und schließlich zu Ruth Beckermann: unsere Filmstartauswahl der Woche von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.

Es beginnt mit einer kleinen Sensation, zumindest für alle Freund:innen des weirden body horror: David Cronenberg hat acht Jahre nach dem etwas enttäuschenden Maps to the Stars wieder einen Film gedreht, der auch noch genau so heißt wie eines seiner frühen Werke und damit auf das splatterige Frühwerk verweist. Crimes of the Future hat bis auf den Titel aber nichts mit dem gleichnamigen Film von 1970 zu tun, sondern knüpft gedanklich eher an Videodrome an: David Cronenberg ist nach langer Zeit wieder einmal auf der Suche nach dem „neuen Fleisch“. Hier unsere Kritik zum Film.

Cronenbergs Organwachstumsfilm ist definitiv interessanter als Black Panther 2: Wakanda Forever. Der erste Teil hat als erster Blockbuster mit einem schwarzen Superhelden eine immense soziale und filmhistorische Bedeutung, war als Film aber ähnlich fad wie der Großteil dessen, was in den vergangenen Jahren im Marvel-Universum produziert wurde. Das Sequel besetzt die Titelrolle, die im ersten Black Panther vom 2020 verstorbenen Chadwick Boseman gespielt wurde, nicht neu, sondern lässt den König sterben und tot bleiben. Sein Reich wird nach seinem Ableben angegriffen, viel Gelegenheit für CGI-Action und Gedöns und nach fast drei Stunden ist wieder Ruhe.

In Mrs. Harris und ein Kleid von Dior / Mrs. Harris Goes to Paris sind die Kulissen prachtvoll und die Menschen wohlwollend (auch wenn sie es nicht von Anfang wissen). Die Romanvorlage von Paul Gallico wurde 1982 schon einmal verfilmt, von Peter Waldeck und mit Inge Meysel in der Titelrolle. Anthony Fabians Verfilmung ist weniger betulich, aber doch der Inbegriff des Middle-Brow-Arthaus-Comedy-Dramas. Mrs. Harris (Lesley Manville) arbeitet als Putzfrau in den Häusern der Reichen. Ihr Traum ist ein Kleid von Dior, sie fliegt mit ihren kargen Ersparnissen nach Paris und wirkt dort Wunder – bringt den jungen Menschen bei, auf die Liebe zu vertrauen und erinnert die Angehörigen der Modebranche an das Gute und Wahre. Ein Feel-Good-Rührstück. Aber mit Isabelle Huppert in einer Nebenrolle.

Die Huppert wiederum hat in Michael Hanekes Verfilmung von Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin die Hauptrolle gespielt. Der Dokumentarfilm Elfriede Jelinek – die Sprache von der Leine lassen rekonstruiert die Künstlerbiografie der bekanntesten österreichischen Schriftstellerin, mittels Archivmaterial vor allem, aber auch mit für den Film selbst aufgenommenen Kommentaren Jelineks. Ein dankbares Sujet: Eine interessantere und in einem guten, nicht stumpfen Sinne kontroversere Schriftsteller:in wird man in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur nicht finden. Und die Montage der Regisseurin Claudia Müller wird ihrem Gegenstand gerecht: „Meine Absicht war, die Zeitebenen unklar zu halten, sodass man nicht weiß, ist man in der Gegenwart oder der Vergangenheit“, hat sie dem Standard erzählt. „Es ging mir darum, die Aktualität ihrer Texte herauszuarbeiten.“ Unsere Besprechung stammt von Alexandra Seitz.

Schließlich – weil vorige Woche die Kinovorschau krankheitsbedingt enfallen musste – wollen wir Ruth Beckermanns neuen Streich Mutzenbacher nicht unter den Tisch fallen lassen. Stichwort „neues Fleisch“, aber naturgemäß anders als bei Cronenberg: In ihrem ersten Film nach dem verdienten Walzer Waldheims lässt die Regisseurin ausgesuchte Männer aus Schnipseln des in Österreich weltberühmten, 115 Jahre alten, anonym geschriebenen Porno-Romanklassikers vorlesen und frei assoziieren – und hat hörbar Spaß daran. Beckermann verriet im Zuge der Promotion-Kampagne, dass sie selbst noch sehr jung war, als sie erstmals mit Dirnen in Berührung kam. (rs)

Verwiesen sei noch auf die Retrospektive zu Hong Sangsoo, dessen frühe Werke derzeit im Österreichischen Filmmuseum laufen (die jüngeren werden dann im Dezember/Jänner gezeigt; Sie wissen schon, das sind dann diese, in denen oft soviel gegessen und vor allem gesoffen, aber auch viel geredet wird). Näheres dazu hier. (rs)