Alles Theater

Neu im Kino KW 51

Mothering Sunday, 2021, Eva Husson

Das Matrix-Sequel und dessen Antithese aus Japan, ein Festtag vor hundert Jahren, ein schräges Céline-Dion-Biopic, Macbeth. Ein selektiver Überblick der Weihnachts-Kinostarts.

Eine Fortsetzung des Matrix-Franchise hätte es nicht unbedingt gebraucht, nachdem Matrix Revolutions 2003 die Geschichte abschloss – Held und Heldin tot, Welt gerettet. Allerdings hat die Schlussvolte klar gemacht, dass die Welt der Matrix Teil einer Serie von Reboots ist, und so den Grundstein für eine prinzipiell endlose Folge von Sequels gelegt. Insofern ist vielleicht eher überraschend, dass es fast zwanzig Jahre gedauert hat. Matrix Resurrections ist dann auch ausschließlich für Fans gemacht. Wer die Trilogie nicht kennt (oder sich nur noch verschwommen erinnern kann), hat kaum eine Chance. Immer wieder werden Bilder aus den ersten drei Filmen eingeflochten. In der ersten Stunde geht es ungewohnt selbstironisch zu. Das Script von u.a. David Mitchell und der Regisseurin Lana Wachowski zieht noch eine Meta-Ebene mehr ein und spielt mit dem Verdacht, dass die Matrix und damit auch die ersten drei Filme Kopfgeburten des Game-Designers Thomas Anderson (Keanu Reeves) sind, dem in psychotischen Schüben Wirklichkeitswahrnehmung und Fantasie schubhaft durcheinandergeraten. Ein paar zentrale Figuren fehlen, ansonsten schließt Matrix Resurrections in fast jeder Beziehung an die ersten drei Filme an. Wenngleich die ikonisch gewordene Action-Ästhetik hier ein Idee dreckiger und nicht so steril daherkommt. Und der Film immer wieder bewusst (und nicht nur unfreiwillig) komisch ist. Die Grundidee aber, damals schon ungleich weniger innovativ als der Rest des Films, ist ungebrochen kitschig, Cyberpunk und postmoderne Populärphilosophie hin oder her: die Macht wird besiegt durch die Kraft der Liebe (einen Text zur Matrix-Trilogie finden Sie hier).

Matrix Resurrections, 2021, Lana Wachowski

Ryūsuke Hamaguchis Film Drive My Car bildet eine filmästhetische Antithese zu dem Wust aus Meta-Ebenen und ausdauerndem Geballer. Der Film ist in einer die Nerven entlastenden Langsamkeit erzählt und trotz der ungeheuren Ruhe, die von ihm ausgeht, sehr verdichtet. Ein Theaterregisseur (Hidetoshi Nishijima) arbeitet mit einem Schauspieler zusammen, der eine Affäre mit seiner zwei Jahre zuvor verstorbenen Ehefrau hatte. Das Zentrum des Geschehens aber ist das Auto des Regisseurs. In den Gesprächen mit seiner Fahrerin (Tōko Miura) kommen sie und der Regisseur einer schmerzhaften Wahrheit näher, die sich den Figuren am Ende dann doch wieder entzieht. Und Hamaguchi entfaltet diesen Selbsterkenntnisprozess mit einer analytischen Vielschichtigkeit und meditativen Ruhe, die man selten findet. Nicht zuletzt ist Drive My Car ein Film über Theaterarbeit und Schauspielerei und die Verbindung von Text und Leben (hier unsere Kritik).

Und noch einmal Theater: Eine der interessanteren Shakespeare-Verfilmungen der vergangenen Jahrzehnte ist Joel Coens The Tragedy of Macbeth geworden. Im Gegensatz zur jüngsten Macbeth-Adaption (dem 2015 erschienenen Macbeth von Justin Kurzel) oder der brillanten Lady Macbeth von William Oldroyd (2017) entscheidet sich der Film für eine theaternahe, artifizielle Ästhetik. Und für ein Schwarzweiß, das so tief und oberflächenschön ist, dass man sich jedes Bild aus dem Trailer gerahmt an die Wand hängen könnte. Mit Denzel Washington in der Titelrolle und, erraten, Frances McDormand als Lady Macbeth (filmfilter-Kritik folgt).

The Tragedy of Macbeth, 2021, Joel Coen

Irgendwann müsste man noch einmal gründlich darüber nachdenken: Warum scheint es im Kino so viel einfacher zu sein, von Klassenunterschieden zu erzählen, wenn das Setting mindestens hundert Jahre zurückliegt? So als wäre jeder dieser Filme dazu da, implizit zu suggerieren, wie ungerecht und falsch es früher war, um implizit darauf zu insistieren, dass Derartiges heute ja überwunden sei. Ein Festtag / Mothering Sunday erzählt erneut die Geschichte von der Liebe, die Klassengrenzen überschreiten will, in diesem Fall im England des Jahres 1924. Eva Hussons Verfilmung des gleichnamigen Romans von Graham Swift könnte man auch, was die Geschlechter- und Klassenverhältnisse angeht, mit etwas Interpretationsfreiheit als Variation auf John Camerons Titanic sehen – nur ohne Schiff und Eisberg und mit vertauschten Geschlechterrollen. Hier kommt der Mann (Josh O’Connor) aus der Oberschicht, und es ist die Frau (Odessa Young), die ihre verbotene Liebe als Anstoß nutzt, um ihre soziale Herkunft hinter sich zu lassen.

Mothering Sunday, 2021, Eva Husson

Ebenfalls ihre Klasse hinter sich lässt die Heldin Aline (gespielt von Valérie Lemercier, die auch Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat). Aline – The Voice of Love ist angelehnt an das Leben der Sängerin Céline Dion. Allerdings wird dieses Leben hier nicht als Heldinnen-Biopic erzählt, sondern sanft surreal gebrochen: Lemercier, geboren 1964, spielt die Sängerin in jedem Alter – von 5 bis über 50. Der Tagesspiegel freute sich über „eine Seifenoper aus den modisch schaurigen Achtzigern und Neunzigern, die weder Weichzeichner, Sentiment noch Situationskomik scheut“.