Kaninchenbaukasten

Anlässlich der Auferstehung: die Theorie-Achterbahnen des „Matrix“-Themenparks reloaded

„Matrix Ressurrections“ ante portas: mit noch mehr Hang zur Meta-Ebene, als Seitenhieb auf handelsübliche Blockbuster-Revivals und mit überraschend viel Witz. Zur Einstimmung auf die Wiederauferstehung des Jahres von Lana Wachowski lesen Sie im filmfilter, was alles aus der „Matrix“-Trilogie heraus- und in sie hineingelesen werden konnte, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man sie interpretiert hat.

The Matrix kam ein Jahr bevor ich zu studieren angefangen habe in die Kinos. Der Film war für mich und einige andere damals der Ausgangspunkt für eine Perspektive, die das Genrekino interpretationsbedürftig und bedeutsam, als Philosophie mit der Kamera verstand. Verbunden mit den ganzen Überspannungen, die da im Rückblick dazugehörten. Zum Beispiel: die Unterstellung sehr komplexer Subtexte, von denen weder die Filmemacher:innen, geschweige denn die Leute im Publikum irgendetwas ahnten. Oder auch die Vorstellung, ein Film könnte „subversiv“ oder „transgressiv“ sein. Später hab ich gelernt: Spontane Streiks oder Fabrik- und Hausbesetzungen sind potenziell subversiv oder transgressiv, Filme, die von interpretationswütigen Drittsemestern für subversiv gehalten werden, meist nicht.

The Matrix war jedenfalls wie für uns gemacht. Eine mit nur wenigen Voraussetzungen einsichtige Metapher für den allgemeinen Verblendungszusammenhang; den kannten wir so ähnlich schon von Adorno. Wir erinnern uns: Die Maschinen haben die Macht übernommen und halten die Menschen als Energielieferanten in einem dauerhaft embryonalen Zustand, schlafend und träumend (also in The Matrix, nicht in der der „Dialektik der Aufklärung“). Damit die Menschen nicht realisieren, wie es um ihre triste Existenz wirklich beschaffen ist, haben die Maschinen eine zweite, eine Scheinwirklichkeit gebaut, die Matrix, die in etwa aussieht wie die die amerikanische Gegenwart der späten Neunzigerjahre.

Der erste Teil der Matrix-Trilogie (hinzu kamen die beiden Sequels,  die Animatrix-Filme, eine Reihe Comics und das Computerspiel Enter the Matrix) entfaltet diese Zwei-Welten-Konstruktion recht überzeugend, und vor allem bedeutungsoffen. Das heißt, man konnte mit nahezu jedem der damals gebräuchlichen Theorie-Bestecke loslaufen und wurde fast immer fündig – Material für hunderte Seminar-, Magister- und Doktorarbeiten. Die Großdenker, die Bilder und Texte mit jahrzehntelanger Übung routiniert ausdeuteten als wäre es nichts, gaben Hinweise, von denen aus man weitergehen konnte. Slavoj Žižek, um den im Zusammenhang mit Kulturtheorie und Kino unvermeidlichen Namen zuerst zu nennen, sah in der Matrix den Lacan’schen „großen Anderen“, „die virtuelle symbolische Ordnung, das Netzwerk, das die Wirklichkeit für uns strukturiert“. Sie ist all das, „aufgrund dessen das Subjekt die Folgen seiner Handlungen niemals vollständig beherrschen kann, d.h. wodurch das letztendliche Ergebnis seines Handelns sich immer von dem unterscheidet, was es angestrebt oder erwartet hatte“. Von  Žižek konnte man lernen, wie man Filmplots mit Begriffen der französischen Psychoanalyse paraphrasiert.

Boris Groys wiederum schloss an die Lesart an, die den Reiz auch für Zuschauer:innen, die ohne Theorie-Interesse im Kino saßen, mitbestimmt haben mag. The Matrix sei nicht nur als „Verfilmung der Philosophie“ beschreibbar, sondern böte „die Aufklärung selbst“, nämlich „den Einblick ins Wesentliche, ins Verborgene, in den allgemeinen Verblendungszusammenhang, in die herrschende Bewusstseinsmanipulation – und zwar bietet er diese Aufklärung als spannende, gut gemachte Unterhaltung.“

Es folgten zahllose Paper und Sammelbandbeiträge. Um nur einige zu nennen, in denen der Versuch, das ästhetisierte Spektakelkino der Wachowski-Schwestern mit der Philosophiegeschichte zu verbinden  – und es so in gewisser Weise zum Teil dieser Geschichte werden zu lassen –, schon im Titel enthalten ist: „Existential Phenomenology and the Brave New World of The Matrix“, „Plato’s Cave and The Matrix“, „Morpheus and Berkeley on Reality“ oder „Wake Up! Worlds of Illusion in Gnosticism, Buddhism, and The Matrix“. Die Verknüpfungsmöglichkeiten schienen endlos. Immer da, wo eine falsche Wirklichkeit das Reale (was immer das nun wieder sein mag) überlagert, konnte der Matrix-Komplex andocken. Und ein Grund, warum die drei Filme (und vor allem der erste der ursprünglichen Trilogie, der einzig gelungene) bei allen, die das Kino mit Kulturtheorie bearbeiten wollten, so beliebt waren, wird sein, dass sie einem genau das so leichtmachten. Die Matrix, schrieb Katja Nicodemus in der „Zeit“, sei „das schönste, praktischste, größte Spielzeug, das es je im Kino gegeben hat“. In ihr nämlich hat nahezu alles in diesem (kulturtheoretischen) Zusammenhang Platz, „die Alpträume einer sich selbst überschlagenden Unterhaltungsindustrie (…) wie altmodische Ideologiekritik, das Unbehagen am Virtuellen und der Ärger über den vergessenen EC-Code“.

Turbo-Konstruktivismus

Wenn man die drei Filme heute, fast zwanzig Jahre nach Matrix Revolutions wiedersieht, ist das eine etwas ambivalente Angelegenheit. Zuerst einmal fällt auf, wie offensiv und umfassend und souverän gerade der erste Teil alle denkbaren Publikumsfraktionen adressiert – die an dem einen Pol, die einfach nur schön von den Bildern weggeballert werden wollen, wie auch die am anderen, die den Film als Vorlage und Anlass für Thesenproduktion gebrauchen. Und natürlich auch alle dazwischen und die Mischformen. Es geht Schlag auf Schlag. Neo (Keanu Reeves) hat seine Disketten in einer englischsprachigen Ausgabe von Jean Baudrillards „Simulacres et Simulation“ versteckt, Morpheus zitiert den französischen Medientheoretiker dann auch gleich im ersten Akt: „Welcome to the desert of the real“ (Baudrillard wiederum warf den Wachowskis ungenaue Lektüre vor: „Bei diesem Film ist vor allem ärgerlich, dass das durch die Simulation sich neu stellende Problem in ihm mit dem sehr klassischen der Illusion verwechselt wird, das sich bereits bei Platon findet. Da gibt es wirklich ein Missverständnis.“).

Der Verweis auf Alice in Wonderland fehlt natürlich nicht, Descartes’ Frage, ob möglicher Weise alles, was wir für wahr halten, nur ein Traum ist, wird zwar nicht explizit mit seinem Namen verbunden, ist aber in der ersten halben Stunde omnipräsent und wird dann, mit dem Eintritt in die Wüste des Realen beantwortet: ja. Bis man die rote Pille schluckt.

Außerdem ist unübersehbar, wie unbeschwert sich Matrix seine Ideen aus der Genregeschichte zusammengeklaubt hat. Dietmar Dath hat schon damals drauf hingewiesen: „Von der bösen Denkmaschine in Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum über den Endoparasiten aus Ridley Scotts Alien und den Kampf eines Begnadeten in einer Simulationsumwelt gegen einen algorithmischen Unterdrücker aus Tron bis zu den Mensch-Maschine-Kriegsanleihen bei James Camerons Terminator und Terminator II reicht die Palette auf dem Büffet des Matrix-Mundraubs.“ Alles richtig, „Mundraub“ aber hätten wir damals, Anfang der Nullerjahre, nicht gesagt. Sondern sowas wie „Zitat“, „Pastiche“ oder „intertextueller Verweis“. Postmoderne Theoriebildung war mit den üblichen paar Jahren Verspätung an den deutschen Universitäten aufgeschlagen, und das hieß, dass ein Wert wie „Originalität“ eigentlich keiner mehr war. Auch ohne Total Recall und Ghost in the Shell wäre The Matrix nicht ohne Weiteres denkbar gewesen – „Talent borrows, genius steals“ (Oscar Wilde).

Was damals wie heute leider ungut auffällt, voll entfaltet allerdings erst bei Matrix Reloaded und Matrix Revolutions, ist eine massive Ballung von „Proseminaristen-Geschwurbel (…), Turbo-Konstruktivismus und (…) Erlöserwahn“ (Bernd Graff 2010 in der „Süddeutschen Zeitung“), die das Ganze sehr schwergängig werden lässt. Wenn man die physikalisch wie biologisch etwas wackelige Prämisse geschluckt hat (der Masterplan der Maschinenherrschaft ist es, Menschen jahrzehntelang Energie zuzuführen, um sie ihnen dann wieder wegzunehmen…), lässt ein wirrer Plot-Wust die ja recht elegante Zwei-Welten-Konstruktion ab dem Sequel ins Beliebige und damit ins Egale kippen. Es geht vom Orakel zum Schlüsselmacher zum Architekten und wieder zurück, und jede Station ist Anlass für lange, bedeutungsvolle, ausnahmslos orakelhafte Monologe der Figuren, die in der Konsequenz darauf hinauslaufen, dass in dieser Filmwelt, bestehend aus mindestens zwei Welten, irgendwie einfach alles möglich ist, was den beiden Autorinnen so in den Sinn gekommen ist. Spätestens ab dem Zeitpunkt, wenn Neo am Ende von Matrix Reloaded  seine Kräfte auch in der realen Welt anwenden kann und ein halbes Dutzend Angreifer mit einer Handbewegung vom Himmel holt, ist eigentlich alles egal, weil alles denkbar ist.

Making Meaning

Was macht man also grob zwanzig Jahre später – den vierten Teil im Blick – mit dieser ideenprallen, hochinteressanten und am Ende spektakulär misslungenen Trilogie? Vielleicht kommt man weiter, wenn man sich von den Philosophie-Bild-Kombinationen, in denen am Ende immer die Theorie das Entscheidende war, verabschiedet und von der Filmerfahrung ausgeht. Also nicht mehr Matrix und Platon, Matrix und Descartes, Matrix und Baudrillard, Matrix und Lacan und dann immer so weiter (eine Steilvorlage übrigens für die, die mit Marx an all das rangehen wollen, ist der Zweiteiler The Second Renaissance, enthalten in der Animatrix-Sammlung). Bei der Sortierung hilft, wie so oft, der Filmhistoriker und -theoretiker David Bordwell.

Bordwell unterscheidet in seinem 1989 erschienenen Buch „Making Meaning“ drei Ebenen von Bedeutung: explizite, implizite und symptomatische Bedeutung. Wenn man diese Differenzierung auf die Matrix-Filme überträgt, bekommt man eben nicht das nächste Theorie/Film-Sandwich, sondern eine semantische Aufdröselung, in deren Rahmen sich erst einmal verorten lässt, was wo hingehört.

Die explizite Bedeutung ist die offensichtliche, die der Plot konstruiert: Maschinen haben die Herrschaft übernommen und die Matrix gebaut, damit die Menschen nicht aufbegehren, dann kommt der Erlöser ins Spiel und so weiter. Das ist meist alles unstrittig, so lange niemand im Publikum allzu sehr halluziniert oder anderweitig den Überblick über das Filmgeschehen verliert.

Die implizite Bedeutung meint die Bedeutungspotenziale, die dem Filmgeschehen inhärent sind und die im Falle der filmischen Fantastik (vor allem Horror, Fantasy und, wie in diesem Fall, Science-Fiction) dann entstehen, wenn sie auf die Welt außerhalb des Kinos bezogen wird. Dann bewegen wir uns im Bereich der Anspielungen, Metaphern, Allegorien, Subtexte, also im Rahmen einer Bedeutungskonstruktion, die in einem größeren Maß abhängt von der Konstruktionsleistung der jeweiligen Zuschauerin und damit von ihrem bewussten wie unbewussten Wissen, ihren (Erkenntnis)Interessen, ihrem Filmwissen, ganz umfassend gesprochen also von ihrem Habitus, der politische Präferenzen, bewusst wie unbewusst, mit einschließt. Hier entscheidet sich dann, ob man in der Matrix zum Beispiel eine primäre Metapher für den Verblendungszusammenhang, ein erkenntnistheoretisches Problem, einen Aufruf zur Revolution, einen filmischen Essay über die Vergeblichkeit der Revolution (mehr als ein wahrscheinlich nur temporärer Frieden zwischen Mensch und Maschine ist ja nicht drin) oder halt eine Geschichte über die die Macht bezwingende Liebe sieht.

Dann gibt es noch die symptomatische Bedeutung. Das ist die Bedeutung, die entsteht, wenn eifrige Studierende der Kulturwissenschaften, Psychoanalytiker:innen und andere übliche Verdächtige semantische Gehalte auf der Leinwand ausmachen, von denen die Filmemacher selbst nichts ahnen, vom ordinären Publikum nicht zu reden. Beim symptomatischen Lesen werden Bilder als Symptome verstanden, die auf ein Problem oder einen unlösbaren Widerspruch verweisen.

Der große Erfolg der Matrix-Filme hat wohl auch damit zu tun, dass auf der dritten Ebene, der symptomatischen, deswegen nicht mehr viel zu holen ist, weil sozusagen alles in ihnen eine potenzielle implizite Bedeutung hat. Das Gefühl beim Sehen: Nichts von diesen Verweisen, Hinweisen, Andeutungen, Verbindungen, Metaphern und Zitaten ist dem Film unterlaufen, alles ist bewusst gesetzt. Gleichzeitig ist das alles so maximal bedeutungsoffen wie eine Geschichte eben sein kann, die sich am Ende dann doch in den etablierten Koordinaten von Erlösermythen bewegt. Die Filme (und insbesondere der erste) sind so konstruiert, dass man mit ihnen im Nachgang alles machen kann, wenn man nur ausgeht von der Idee einer wie auch immer falschen Wirklichkeit, die eine eigentliche Wirklichkeit verdeckt und die wegen ihres in diesem Sinne ideologischen Charakters bekämpft gehört.

„The Matrix is gender binary“

Das ist auch der Grund, warum The Matrix bis heute in den unterschiedlichsten Ecken Anschluss findet. 2019 war auf Vulture.com die (soweit ich sehe) erste Interpretation des Films als Allegorie auf eine gender transition zu lesen: „Neo has dysphoria. The Matrix is the gender binary. The agents are transphobia. You get it.“ Als Hinweis wird unter anderem die Farbe der Pille genommen, die Neo schlucken muss, damit sein Prozess der Erkenntnis der Welt, wie sie wirklich ist, und von sich selbst beginnen kann. „Many have pointed out online that, back in the ’90s, prescription estrogen was, in fact, red: The 0.625-mg. Premarin tablet, derived in Matrix-like fashion from the urine of pregnant mares, came in smooth, chocolaty maroon.“

Klassischerweise wäre eine derartige Lesart eine symptomatische, zu rekonstruieren vom Zuschauer, der, weil er die entsprechenden Theoriewerkzeuge mitbringt, sieht, was andere nicht sehen; nicht einmal die, die die Bilder gemacht haben. Nun hat die Matrix-Regisseurin Lilly Wachowski allerdings 2020 diese auf den ersten Blick nicht gerade naheliegende Interpretation als eine implizite Bedeutung des Films aus der Autorinnenperspektive legitimiert: „Ich bin froh, dass herausgekommen ist, was unsere ursprüngliche Absicht war. Ich finde es toll, wie bedeutend die Filme für Transmenschen sind.“ Damals, 1999, sei die Welt „noch nicht bereit“ gewesen, um The Matrix in diesem Sinne zu sehen.

Es geht in dieser Hinsicht nicht darum, ob so eine Lesart „stimmt“, also plausibel ist. Sondern darum, wie ein Film für den eigenen Weltzugang genutzt werden und beim Klarkommen mit dieser Welt hilfreich sein kann.

„Blue-pilled“

Ein Film kann außerdem  für das eigene politische Interesse oder, genauer gesagt, die eigenen politischen Phantasmen genutzt werden. Florian Ruttner hat bereits 2008 am Beispiel einer tschechischen Nazi-Website, die sich positiv auf die Herr der Ringe– und die Matrix-Trilogie bezog, darauf hingewiesen: Es ist kein Zufall, wenn Faschisten diese Filme mögen. Matrix nämlich bediene nicht nur einen Erlösermythos, sondern definiere auch die zahllosen schwachen, blinden Bewohner:innen der Matrix als Feinde. „Nur die willensstarken Menschen, die zum Opfer bereit sind, können erweckt werden. Die Nazis und ihr ,Kampf‘ gegen das System können sich also selbst bestätigen und sich als Elite fühlen, womit Teilnahme an der Auserwähltheit suggeriert wird.“ Heute, über zehn Jahre nach dem Erscheinen von Ruttners Text (zu finden in dem Band „Zum aktuellen Stand des Immergleichen“), wird die Pillenmetaphorik von Männerrechtlern und Incels als Metapher zur Illustration der eigenen Wahnwelt genutzt. Wer die red pill nimmt, erkennt, dass die Gesellschaft sich im Würgegriff von Feminismus und political correctness befindet. Wer das nicht sieht (und sich dementsprechend nicht gegen die Dominanz der Frauen wehrt) ist „blue pilled“. Was als Film weitgehend bedeutungsoffen ist, ist also potenziell auch offen für kompromisslosen Hirnschrott.

Träume und Alpträume im Jugendzimmer

Die nach wie vor große Kraft der Zwei-Welten-Konstruktion der Matrix-Filme läge demnach also zum einen in ihrer Anschlussfähigkeit: Jeder, der älter als, sagen wir, elf, vielleicht zwölf Jahre alt ist, versteht das Konstruktionsprinzip. Jeder, der älter als, sagen wir, dreizehn, vierzehn Jahre alt ist, kann dieses Konstruktionsprinzip auf seine eigene Erfahrung, sein eigenes Weltwissen applizieren. Die einzige Voraussetzung, die man für diese Übertragung mitbringen muss, ist die Wahrnehmung oder auch ein wie auch immer diffuses Wissen darüber, dass etwas mit der Welt, in der man lebt, fundamental nicht stimmt.

Bedeutungsoffenheit wird nur selten genannt, wenn es darum geht, die anhaltende Faszination von Filmen zu erklären. Sie ist aber eine notwendige (keine hinreichende) Bedingung, damit ein Film quer durch alle Publikumsschichten und -interessen und durch alle politischen Fraktionen funktionieren kann.

Genutzt haben wir diese Filme damals auch, als Spielplatz, auf dem man die Theorien und Begriffe, die man gerade kennengelernt hatte, ausprobieren konnte. Auch das war im besten Fall eine Form der Welterschließung, in der sich Erfahrung, Gelesenes und auf der Leinwand Gesehenes verbanden. Sofern es nicht nur unverbindliches Gerede zum Füllen der Seiten der nächsten Seminar-Arbeit blieb. Das schönste Kompliment, das man diesen überambitionierten, eitlen, sterilen, weitgehend humorfreien und dann ja doch in ihrer Megalomanie bei gleichzeitiger Seltsamkeit nach wie vor irgendwie tollen Filmen machen kann, hat Georg Seeßlen 2003 in seinem Buch zur Matrix formuliert: Steven Spielberg hätte in seinen Filmen die Kunst entwickelt, den Inhalt amerikanischer Kinderzimmer zu verfilmen (mitsamt den „Träumen, die man darin haben kann“). Die Matrix-Trilogie hingegen „verfilmt den Inhalt des Zimmers eines wissbegierigen, ängstlichen und aufmüpfigen Jugendlichen“ – der, wie wir gesehen haben, Adorno-Leser:in und/oder Trans, aber eben auch Nazi werden kann. Dieses Zimmer ist „die Mitte der Welt“, schreibt Seeßlen. Der „Ort der Erfahrung und des Zweifels“. Man kann über die Matrix-Filme viel Schlechtes sagen. Aber dass sie der Wissbegier, der Angst, der Aufmüpfigkeit und dem Zweifel filmisch in einer Weise Ausdruck verliehen haben, die nahezu universell anschließbar ist, im Guten wie im Schlechten, das ist nicht wenig.