Killers of the Flower Moon

Großes Kino von Martin Scorsese – flat auf Apple TV+

Scorsese, DiCaprio, Gladstone, Killers of the Flower Moon
Killers of the Flower Moon, 2023, Martin Scorsese

„Killers of the Flower Moon“: Martin Scorsese erinnert seine Landsleute, wie sie mit ihren Ureinwohnern umgegangen sind, und erzählt wieder einmal grandios von Gier, Mord und Vertuschung; mit Leo DiCaprio, Robert De Niro und Lily Gladstone (zurecht Golden-Globe-prämiert). Einer DER Filme des vergangenen Jahres.

Vorgeschobener Unterkiefer, herabgezogene Mundwinkel; es ist eine Miene der Verkrampfung, mit der Ernest Burkhart der Welt begegnet. Und doch ist er offenbar auch anderer Gesten fähig, denn er erobert das Herz von Mollie Kyle. Die beiden heiraten, sie bekommen drei Kinder. Allerdings sorgt Ernest im Auftrag seines Onkels William King Hale dafür, dass Mollies Schwestern ermordet werden und das beträchtliche Vermögen der Familie via Erbfolge den Weg in seine Richtung nimmt.

Kolportage? Schön wär’s! Vielmehr historisches Geschehen der 1910er bis 1930er Jahre in Oklahoma County, als auf dem Grund und Boden der Osage First Nation Öl gefunden wurde und ein beispielloser Boom einsetzte, auch des Mordens. Denn die bereits mehrfach vertriebenen Osage waren schlau genug gewesen, das ihnen zugewiesene Reservat/Land mitsamt allem, was darunter lag, zu kaufen; so wurden sie zu reichen Leuten, deren Wohlstand naturgemäß Neider auf den Plan rief, die mit erschreckender Behändigkeit die völkermordenden Methoden ihrer Väter wieder ausgruben. Von wegen Ende der Frontier (verkündet 1890) und damit des Wilden Westens…

De Niro, DiCaprio, Scorsese, Killers of the Flower Moon
Robert De Niro, Leo DiCaprio

Wie 2002 mit Gangs of New York hat sich Martin Scorsese auch mit Killers of the Flower Moon ein Buch zur Vorlage genommen – David Granns 2017 erschienene, gleichnamige Vorlage trägt den Untertitel „The Osage Murders and the Birth of the FBI“ –, welches wiederum sich mit historischer Akkuratesse einem Abschnitt der US-amerikanischen Gesellschaftswerdung widmet. Im vorliegenden Fall einem jener unrühmlichen Kapitel, die so gerne in der Düster-Ecke der Verdrängung landen. Scorsese richtet seinen strahlend hellen Scheinwerfer in diese Ecke und leuchtet so lange darin herum, bis er auch noch das letzte Fitzelchen Dreck, das sich dort findet, ans aufklärende Licht gezerrt hat: Wo es nun steht, hässlich und zitternd – und zuvörderst in Gestalt von Ernest Burkhart, verkörpert von Leonardo DiCaprio, der Killers of the Flower Moon mitproduziert hat und in seiner Rolle eine weitere denkwürdige schauspielerische Glanzleistung hinlegt. (DiCaprio ist, was Brando hätte werden können, hätte der seinen Beruf nicht derart verachtet.)

In Scorseses langer, fruchtbarer und an meisterlichen Werken nicht armer Laufbahn stellt dieser an Originalschauplätzen gedrehte Film beileibe kein Alterswerk dar. Nichts hier ist resümierend, bilanzierend oder abgeklärt. Frisch, zupackend und angriffslustig geht der Achtzigjährige an die Arbeit, setzt da und dort, hüben und drüben Punkte, aus denen sich mit der Zeit – und mit knapp dreieinhalb Stunden nimmt er sich viel Zeit; die jedoch in jeder Hinsicht angemessen ist – ein Bild des Grauens zusammensetzt. Grotesk will einem die innere Verfasstheit erscheinen, die diese Männer tun lässt, was sie tun, bis einem wieder einfällt, dass das, wovon diese Geschichte aus der Vergangenheit in ihrem schwarzen Herzen handelt, nicht und nicht und nicht vergangen ist. Die zynische Beiläufigkeit, mit der die weißen Männer die Ureinwohner:innen töten, verstört. Selbst als Mitspieler im kapitalistischen System gelten diese als Hindernisse, die auf dem Weg zum Geld aus eben diesem geräumt werden müssen; und dergestalt ist dieser merkantilistische Blick, dass sich so manches Mal und vor allem zu Beginn etwas wie Sarkasmus einzuschleichen scheint. Jenes von Freud beschriebene Gelächter heraufbeschwörend, mit dem unbegreiflichem Schrecken begegnet wird – in der meist vergeblichen Hoffnung, diesen zu bannen.

Nach 1993 in This Boy’s Life (Michael Caton-Jones) als 19-Jähriger in seiner ersten großen Rolle in einem Spielfilm und 1996 in Marvin’s Room (Jerry Zaks) trifft DiCaprio in Killers of the Flower Moon übrigens zum dritten Mal und mittlerweile auf Augenhöhe auf Robert De Niro. Der nutzt die Figur des Strippen ziehenden Onkels zu einer Feinziselierung des Diabolischen, das 1987 schon Louis Cyphre in Alan Parkers Angel Heart zu einer unvergesslichen Figur werden ließ. De Niros Porträt Kings als eines honorigen Wohltäters der Osage-Gemeinde, der tags eine Ballettschule eröffnet und nachts die Auslöschung seiner angeheirateten Verwandschaft ersinnt, verströmt eine amoralische Kälte, die einem bis in die Knochen geht. Und es braucht diese beiden Entsetzens-Männer, um Lily Gladstones Mollie zu jenem beinah schon irritierend warm strahlenden Stern im Zentrum dieses dem Untergang geweihten Universums werden zu lassen. Denn das ist mit das Überraschendste, das Unfasslichste und Anrührendste: dass tief im Gerüst dieses Films auch die Erzählung einer Liebe steckt, die tatsächlich eigentlich unmöglich ist.

Als Frau, Indigene und Opfer spielt Gladstone zwar gleich dreifach in einer eigenen Liga, aber sie besteht fulminant neben den beiden Schauspiel-Ikonen, denen Rampensau-Quälität jeweils nicht abzusprechen ist. Gladstones Charakterisierung ist Herz zerreißend; präzise, nuanciert, subtil und dicht; bis zum Bersten gefüllt mit (widerstreitenden) Gefühlen und zugleich als Repräsentantin ihres Volkes Zeugin der Anklage. Sie zu sehen, wie sie dem Gewitter lauscht und ihrem geschwätzigen Geliebten Schweigen gebietet, vermittelt eine Ahnung vom erlittenen Verlust: an Menschenleben, Kultur, Traditionen, Wurzeln und Heimat.

Und wenn Scorsese am Ende selbst das Wort ergreift, dann ist das nicht nur ein großartiger formaler Kunstgriff, der das Vorangegangene an die Gegenwart anschließt. Es ist die entschiedene Ansage eines der größten und aufrichtigsten Filmemacher, den dieses schizophrene Land hervorgebracht hat: Die Blindheit der eigenen Geschichte gegenüber muss endlich ein Ende haben.

Zum Achtziger von Scorsese und anlässlich der damaligen Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum erschien im September 2022 ein filmfilter-Essay zum Wirken des großen US-Auteurs.

 

Killers of the Flower Moon
USA 2023, Regie Martin Scorsese
Mit Leo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, John Lithgow, Tantoo Cardinal, Cara Jade Myers, Janae Collins
Laufzeit 206 Minuten