Müssen nur wollen

Serientipp: „King of Stonks“ – auf Netflix

Brandt, Schubert, King of Stonks
King of Stonks, 2022, Philipp Käßbohrer, Matthias Murmann

„King of Stonks“ (Netflix): temporeiche Satire auf die Finanzwelt, verankert nicht zuletzt in der Realität des Wirecard-Debakels. Auf sehnlichen Wunsch eines filmfilter-Unterstützers nachgereicht.

„Eine Hand in den Sternen
Die andre am Hintern vom Vordermann
Das ist das Land der begrenzten Unmöglichkeiten
Wir können Pferde ohne Beine rückwärts reiten
Wir können alles was zu eng ist mit dem Schlagbohrer weiten
Können glücklich sein und trotzdem Konzerne leiten“
(Wir sind Helden, „Müssen nur wollen“)

Die Helden der Finanzmärkte, wie wir sie aus dem Kino kennen, sind für gewöhnlich keine tollen Affen. Nicht Christian Bale und Brad Pitt in Adam McKays The Big Short, der womöglich schärfsten US-Satire auf die Kapitalmarktkrise 2008, die auch in J.C. Chandors Margin Call ihren fabelhaften Niederschlag fand, wo wiederum Kevin Spacey, Demi Moore, Stanley Tucci & Co um ihre Existenz kämpfen. Martin Scorseses The Wolf of Wall Street passt da schon eher ins Bild – Leo DiCaprio, wie er einen auf spastischer Kriechwurm macht, bzw. Jonah Hills Zockerkollegen im Motion-Control-Koksrausch sollen uns vor Lachen zum Schenkelklopfen bringen. Insofern erweist Matthias Brandt als karikaturesker Boss der börsenhungrigen Firma Cable Cash eher Leo und Jonah und Marty seine Reverenz als den anderen Genannten.

Brandt fügt dem Phänotypus des abhebenden Superstars aber auch ganz eigene, fantastisch überdrehte Elemente hinzu. Magnus A. Cramer ist rein gar nichts peinlich. Er trommelt sich auf die Brust, beim Lachen grunzt er über die Fremdschamgrenze hinweg und die beste Figur macht er in Sonnenkönigsverkleidung oder mit dressiertem Falken auf dem Arm als Party-Gag. Nur wenn es wieder einmal gefährlich wird, und das unterscheidet Brandts Cable-Cash-CEO von all den amüsanten Gordon-Gecko-Variationen, unterbricht er die Dauerparty-Kasperliade. Dann setzt er plötzlich seine schmalsten Lippen und ein Perlweißzähne fletschendes Lächeln auf. Dann flüstert er seinem Kompagnon Felix Armand, der zunächst noch auf Seriosität pocht und sich in seiner Haut zusehends unwohler fühlt, etwas scheinbar Bedeutungsvolles oder Kompromittierendes ins Ohr oder erinnert ihn schlicht daran, dass Felix nur mit ihm, mit Magnus, reich und berühmt werden kann, nicht aber ohne ihn. Er muss nur wollen.

Schubert, King of Stonks

Die Miniserie King of Stonks dürfte durch den aktuellen Monsterbetrugsprozess um den vor drei Jahren wie ein Kartenhaus zerfallenden deutschen Zahlungsdienstleister Wirecard quasi noch das ganze Jahr 2023 über Hausse haben. Es ist eine Persiflage der Finanzmarktwelt, auf den ersten Blick eher eine Farce als eine Satire, aber was für eine! Die Parallelen zu Wirecard (als „Fintech-Bank“ einst die Prestigehoffnung der deutschen Finanzwirtschaft) sind evident: Ein auf halbseidene Finanziers, mafiöse Rotlichtgewinne und viel heiße Luft gebautes Bezahlservice-Unternehmen geht an die Börse und will gleich einmal kräftig den Kurs hochschrauben. Eine Leerverkäuferin setzt auf Enttarnung von Cable Cash und fallende Kurse. Und der größenwahnsinnige „Visionär“ Magnus versetzt sich unter der Devise „Fake it till you make it“ in einen sozialmedial aufgeblasenen Bullen-Modus und lässt Mitgründer Felix bei Key-Note-Auftritten sein Horcherl bespielen und die Kollateralschäden beseitigen. Derweil spielt der österreichische Geheimdienst eine süffisante Nebenrolle und wird die „alte“ Bankenwelt als moralisch ebenso verrottet dargestellt wie die neue Fintechwelt. Und natürlich sitzt den beiden Möchtegern-Milliardären auch die Mafia im Nacken.

King of Stonks wurde vorgeworfen, sich der oberflächlichen Verspottung eines komplexen Problemfelds hinzugeben, mithin ausschließlich als Posse zu funktionieren. Subtil ist hier tatsächlich nichts, Übertreibung ist angesagt. Und doch kann widersprochen werden: Zwischen all der redundanten Party-Hysterie erfahren Kleinanlegerinnen ein paar wesentliche Hintergründe, erkennen Zusammenhänge von Kapital, System, Person und Institution oder kapieren z.B. die Mechanismen einer Leerverkaufswette auf ein betrügerisches Unternehmen. Zudem liefert King of Stonks neben der sympathischen Short Sellerin (Larissa Sirah Herden) auch eine brauchbare Identifikations-Hauptfigur. Thomas Schubert (dem übrigens nebst weiteren Empfehlungen hier eine kleine Hymne gesungen wird) legt seinen nerdigen Felix nämlich als durchaus zerrissene Figur an, im Spannungsfeld zwischen Erfolgsdruck, banalen WG-Problemen, Sehnsucht nach Liebe und Beliebtheit und heftigen moralischen Bedenkensanwandlungen, mithin: hoch interessant.

Die Macher von King of Stonks mussten nichts faken: Persistenz beim Netflix-Pitchen und der Erfolg ihrer daraus folgenden Mini-Serie How To Sell Drugs Online (Fast) – als der Streaming-Markt vor drei Jahren noch „bullish“ war –, brachte Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann letztlich in ihre privilegierte Showrunner-Position. Nächstes Projekt, dann für Disney+: Pauline. Die Titelheldin verliebt sich in einen Herrn namens Teufel, dessen Name selbstredend Programm ist. Mal schauen, ob der Run des hippen Produzentenduos, welches früher für Jan Böhmermann tätig war, auch mit übernatürlichen Kräften fortgesetzt werden kann…

 

King of Stonks
DE 2022, Stoffentwicklung Philipp Käßbohrer, Matthias Murmann
Mit Matthias Brandt, Thomas Schubert, Larissa Sirah Herden
Laufzeit 280 Minuten (6 Episoden)