Der Mann, der tanzt

Ausnahmeschauspieler Charly Hübner im Porträt

Hübner, Mittagsstunde
Mittagsstunde, 2022, Lars Jessen

Charly Hübner brilliert erneut, nämlich in „Mittagsstunde“ von Lars Jessen – ein Porträt des Ernst-Lubitsch-Preisträgers.

Charly Hübner darf man nicht unterschätzen, also, genauer gesagt: seine Figuren. Die können nämlich auch anders, wenn’s drauf ankommt. Gemeinhin wirkt der Mann ja eher so, als könne er keiner Fliege was zuleide tun. Aber wenn es sich wirklich gar nicht mehr vermeiden lässt und echt nicht anders geht, dann muss eben auf den Tisch gehauen und durchgegriffen werden. Dann öffnet Oberstleutnant Harald Schäfer, verantwortlich für den Grenzübergang Bornholmer Straße, den Schlagbaum und damit die Berliner Mauer (Bornholmer Straße, Christian Schwochow, 2014). Checker und Prahlhans Hermann Wittorf macht ernst, richtet die Thompson auf Bankangestellte und schießt (Banklady, Christian Alvart, 2013). Es erhebt sich der brave Verwaltungsangestellte Lorenz Brahmkamp von der Couch und steigt entschlossen in kriminelle Machenschaften ein (Vorsicht vor Leuten, Arne Feldhusen, 2015). Der bis dato so vorbildliche Hausmann und liebende Vater Konrad zieht von Zuhause aus, um es sich am Theater noch einmal zu beweisen (Eltern, Robert Thalheim, 2013). Oder es fällt ein gewisser Karl Schmidt eine Entscheidung. Nämlich die, nicht zurückzukehren nach Hamburg, in die therapeutisch betreute WG und zum gemächlichen Mädchen-für-alles-Job im Kinderkurheim. Sondern vielmehr zurückzukehren in ungesicherte Verhältnisse im wilden und gefährlichen Berlin, wo ihn dermaleinst, zur turbulenten Wende- und Hochzeit des Tekkno, zu viele Drogen aus der Kurve und in die Klapse trugen.

Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt hieß denn auch das Werk, mit dem Arne Feldhusen den gleichnamigen Roman von Sven Regener verfilmt und damit für eines der Highlights deutschen Komödienschaffens der vergangenen Jahre gesorgt hat. Gut und schön und folgerichtig war es daher, dass Charly Hübners Darstellung des Titelhelden 2018 mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet wurde, den der Club der Filmjournalisten Berlin e.V. alljährlich für die „beste komödiantische Leistung im Deutschen Film“ vergibt (und der von Billy Wilder initiiert wurde). Im Jahr vor Hübner erhielt übrigens Peter Simonischek für seine Figur in Maren Ades Toni Erdmann den Preis. Hübner, der früher einmal an vorderster Partyfront immer mit dabei war, coole Kunst machte und die Bohrmaschine in der legendären Band Glitterschnitter spielte, ruht sich aber nicht auf Preisen aus. Für seine Darstellung des Geografie-Dozenten Ingwer Feddersen, der von der Uni Kiel zurückkehrt in seinen Heimatort Brinkebüll in Nordfriesland – auch in Mittagsstunde geht es nämlich um eine Rückkehr –, gebührt ihm im Grunde der nächste großkalibrige Preis.

„Die Kunst, die Melancholie mit subtilen Momenten der Komik zu durchbrechen, beherrscht Charly Hübner genial“, hieß es damals in der Begründung der Jury für die Vergabe des Ernst-Lubitsch-Preises. In der Tat kommt in Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt – der tatsächlich ein Held im eigentlichen Sinne ist, insofern er sich die Bestimmung über sein eigenes Leben zurückerobert – verdichtet zum Vorschein, was Hübners schauspielerische Kunst ausmacht: eine erstaunliche äußerliche Gelassenheit, die mit einem nicht weniger überraschenden, reichhaltigen Innenleben einher geht. Charly Hübners Männerfiguren hegen komplexe Gedanken und Gefühle, sind sensibel und aufmerksam, sie strahlen Wärme aus, haben ein offenes Ohr, können sich artikulieren und machen um keine Tanzfläche einen Bogen. Dabei drängen sie sich nicht auf, spielen sich nicht in den Mittelpunkt, machen sich nicht wichtig und halten sich auch nicht für den Nabel der Welt. Alles Eigenschaften, die sie aus den Darstellungs-Klischees von Männlichkeit herausheben und authentischen Männern annähern, und wahrscheinlich deswegen sieht man ihnen auch so gerne zu.

Dabei wirkt der 1972 in Neustrelitz geborene und an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ ausgebildete Hübner mit seinen 1,92 m eher hünenhaft. Ein Mann von stattlicher Statur, der auf den zahlreichen Bühnen, an denen er von Mitte der Neunziger an engagiert war – darunter das Maxim-Gorki-Theater und die Schaubühne in Berlin -, zweifelsohne Eindruck machte. 2003 aber wechselte Hübner von der Bühne vor die Kamera, wo seine schöne Begabung für die fein nuancierte Verkörperung der strudeligen Tiefe von stillen Wassern gut, ja, vielleicht sogar besser aufgehoben ist.

Nur ein paar von vielen weiteren möglichen Nennungen: In Emily Atefs 3 Tage in Quiberon spielt Hübner jenen Fotografen, der Romy Schneiders letztes Interview dokumentiert. In Lola Randls Beziehungskomödie Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?, gibt er an der Seite von Lina Beckmann, mit der er auch im wirklichen Leben verheiratet ist, einen langweilig gewordenen Ehemann. Und mit Wildes Herz (2017), einem Dokumentarfilm über die in Mecklenburg-Vorpommern beheimatete Punkband Feine Sahne Fischfilet, hat Hübner auch bereits sein Regiedebüt vorgelegt. Mit seinen rezenten Auftritten bei Andreas Dresen (Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush), bei In den Gängen-Regisseur Thomas Stuber (Die stillen Trabanten) und u.a. eben in Lars Jessens Mittagsstunde hat der Mann offensichtlich schon wieder einen Lauf. Hoffentlich hält ihn keiner auf.

Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt ist flat auf Sky verfügbar bzw. gegen geringes Entgelt bei Prime Video, Apple TV+ u.a.
Mittagsstunde läuft derzeit in AT und DE im Kino.