Der Reiz des Totalschadens

Worin liegt die Zugkraft des Krachbumm-Kinos von Michael Bay?

Pain & Gain, 2013, Michael Bay

Es ist leicht, den Filmen von Michael Bay Menschenverachtung nachzuweisen. Warum geht dennoch so eine Faszination von ihnen aus? Anlässlich „Ambulance“: Versuch einer Annäherung.

Bad Boys II, das 2003 rausgekommene Sequel zu Michael Bays Regiedebüt von 1995, gehört zu den in ethischer Hinsicht kaputtesten Filmen, die ich bislang gesehen habe, in etwa in einer Liga mit der Human Centipede-Reihe. Der Film wurde von Kritiker:innen nahezu unisono verrissen und zum Beispiel als „terrible“, „mind-numbingly awful“ und „an insufferable and offensive piece of garbage“ beschrieben. Das ist sachlich alles richtig, fängt aber die Faszination, die von diesem und von den übrigen Filmen Michael Bays ausgeht, nicht ein. Ihr soll im Folgenden versuchsweise nachgegangen werden.

Anhand von zwei Szenen in Bad Boys II lässt sich der erste, grellste Aspekt dieses filmischen Werkes, die mit viel Krachbumm kommunizierte Verachtung menschlichen Lebens, beschreiben. Bei der ersten der zwei großen Autoverfolgungsjagden in diesem Film – der Anlass ist weitgehend austauschbar, also egal – lässt eine Horde Wilder aus dem Ghetto von Miami, deren Darstellung eine ganze Reihe ungefiltert rassistischer Klischees versammelt, Autos von einem Transporter auf verfolgende Polizeiwagen hageln. Stahl fliegt durch die Luft, Dinge explodieren, alle schreien markige Sprüche durcheinander. Eine Materialschlacht, die Bay, anders als im noch ungelenken ersten Teil, als maximal effektives Bewegungskino inszeniert. Was Bays Team in seinem jüngsten Film Ambulance mit einer First-Person-View-Drohnenkamera anstellt, ist der reine Equipment-Porno.

In der zweiten großen Autoverfolgungsjagd in Bad Boys II fliegt wieder was aus einem Transporter auf die Straße, um mit den Verfolgerautos zu kollidieren. Dieses Mal sind es nackte Leichen, die als Drogenverstecke benutzt worden sind. Es lässt sich an Schnitt und Dialogregie ohne Weiteres zeigen, dass Autos und Leichen hier parallelisiert werden. In der Weltkonstruktion von Bad Boys II sind sie tatsächlich gleich – Autos und tote Menschen sind gleichermaßen Effektressourcen, die einen aus Stahl, die anderen halt aus Fleisch und Knochen. Das Netteste, was man über Bays Anlassreihungen zur Zerstörung von Sachen und Figuren aus humanistischer Perspektive sagen kann, ist, dass sie sich für die Menschen, ob tot oder lebendig, schlicht nicht interessieren.

Exploitation-Kino

Sollte man es als moralisch empfindsamer Mensch also gleich lassen mit diesen Filmen? Bad Boys II ist ja kein Ausrutscher. Die Leichtfertigkeit und Begeisterung, mit der hier auch im übertragenen Sinne über alles Lebendige (und Tote) einfach drübergebrettert wird, ist schon atemberaubend und geht nicht nur in seinem stumpfen Durchhaltevermögen über das Geschehen im US-Actionfilm ansonsten hinaus (Bad Boys II kommt wie viele Filme Bays in die Nähe der Zweieinhalbstunden-Marke). Dazu kommt ein auch schon 2003 sehr anachronistischer Sexismus und triste homophobe Witze.

Man ist gleichwohl fasziniert, denn es ist ja nicht so, dass Michael Bay die fröhliche Inhumanität ins Actiongenre eingeführt hätte. Sie fliegt einem in seinem Werk nur weniger gefiltert ins Gesicht als sonst. Auch in Roland Emmerichs Katastrophenfilmen beispielsweise werden Menschen schmerzfrei verheizt, und es ist letzten Endes egal, welche Figuren da auf der Leinwand sterben, solange das visuelle Spektakel nicht beeinträchtigt wird. Michael Bay aber tut wenigstens nicht so, als ginge es ihm um etwas anderes als technisch möglichst aufwändige und durchschlagende Actionbilder. Und nicht beispielsweise darum, wie vorgeblich etwa in The Day After Tomorrow, die brachialen Folgen des Klimawandels aufzuzeigen und zum Nachdenken anzuregen.

In dieser Hinsicht reiht Bay sich in die Geschichte des Exploitation-Kinos ein: Filme, die gar nicht erst behaupten, sie stünden für das Schöne, Wahre und Gute ein, sondern befreit von jeder Sorge und jedem Bedenken auf Schauwerte setzen.

Die Exploitation-Analogie hat natürlich ihre Grenzen. Den hochtechnisierten Actionszenen Bays geht der Charme des Unperfekten und Räudigen völlig ab. Aber ihre Virilitätsinszenierungen kommen so ungefiltert und exzessiv daher, wie man das heute nur noch selten sieht. Auch wenn Bay sein Ensemble zuletzt in 6 Underground und Ambulance um weibliche Nebenfiguren erweitert hat, die nicht mehr nur gerettet werden müssen, sondern ebenfalls schlagkräftig sind, bleiben die zentralen Akteure männliche Profis. Deren einziger innerer Konflikt besteht darin, dass sie den Job nicht ungestört ausführen können, weil die umgebende Welt zu zaghaft, liberal und regelkonform ist.

Opfergang fürs Vaterland

Der letztgenannte Aspekt schlägt im 2016 erschienenen 13 Hours voll durch. Der Film erzählt die Verteidigung der US-Botschaft in Bengasi, die am 11. September 2012 von Islamisten angegriffen und niedergebrannt wurde. Der amerikanische Botschafter wird ermordet, die Angestellten und das Wachpersonal verschanzen sich in einem nahegelegenen Gebäude, das von der CIA genutzt wird. 13 Hours unterscheidet klar zwischen den Männern der Tat (Wachpersonal) und den entweder naiven oder überbürokratischen Angestellten (alle anderen), die nicht checken, was los ist und deren Zögern und Regelkonformität die Katastrophe erst ermöglicht. Wer in den Filmen Bays muskulös und schwer bewaffnet ist, weiß, wo es langgeht, das gilt für die Guten wie die Bösen. Alle anderen sind verweichlichte Witzfiguren.

Was US-Personal und Wachdienst in Bengasi genau verloren haben, man erfährt es in 13 Hours nicht, weil es schlicht niemanden in diesem Zusammenhang interessiert. Die einen sind gut, die anderen böse, die einen greifen an, die anderen verteidigen sich. Wie damals, als die Indianer die Cowboys attackiert hatten, die Konstellation ist in etwa dieselbe. Aber wie gesagt, alles egal, es geht um Affekte, erhabene Bilder, Waffen, Explosionen und Lärm, nicht um Zusammenhänge (beziehungsweise sind es genau die Bilder von Waffen, Explosionen und Lärm, die die Zusammenhänge zerstören).

13 Hours ist der Film, in dem die Action-Inszenierungen Bays perfektioniert sind und ein nochmal neues Level erreichen. Der Film entwickelt auf lange Strecke eine ziemliche Intensität. Der Überfall auf die Botschaft, der Versuch, mit dem Auto wegzukommen, die Verteidigung des Konsulatsgebäudes – diese Szenen haben etwas Fiebriges, so als müsste sich das kühle, souveräne Profitum gegen eine sich auftuende Hölle stemmen. Die Schnittfrequenz ist wie immer hoch und das Geschrei konstant. Michael Bay hat wesentlich zur hektischen Wackelkamera-Ästhetik beigetragen, die wirken soll, als wäre man als Zuschauer:in direkt im Gemenge und gleichzeitig, weil jedes Bild zum Spektakel werden soll, wird man in erhabener Distanz gehalten. Neu ist bei 13 Hours, dass die Gewalt zum ersten (und bislang einzigen) Mal dreckig und nicht clean wirkt. Doch es bleibt der Eindruck einer umfassenden Ästhetisierung des Heroischen, jetzt nur eben ins Dunkle gewendet – weil die Helden hier den Opfergang fürs Vaterland (und gegen seine Verweichlichung) antreten.

Ein Opfergang ist auch das zentrale Thema von Pearl Harbor, dem Film, in dem sich Michael Bays tiefgehendes Unvermögen zeigt, Bilder und Sprache für Emotionen zu finden, die sich nicht in Form ausdauernder Locker-Room-Talks artikulieren. Immer, wenn Männer sich verlieben oder an ihre Frauen denken, wird es hölzern in diesen Filmen, die Dialoge wie vorgestanzt („Jeden Abend schau ich dem Sonnenuntergang zu und versuche, ein paar Strahlen für dich einzufangen“). Weil die Männer bei Bay gezwungen sind, für die gute Sache zu kämpfen, sind sie nicht zu Hause, bei ihren Frauen, die auf sie warten. Also nicht an dem Ort, der in Bays Filmen immer wieder als ein ansonsten nicht weiter bestimmter Ort des Friedens herhalten muss.

So ist dieses Werk in nahezu allen zentralen Belangen – Heroismus, Geschlechterbilder, starre Gut/Böse-Dichotomie, Negation von politischem Zusammenhang zugunsten mythischer und klischierter Phantasien – ein filmischer Inbegriff dessen, was von der sich als linksliberal und/oder progressiv verstehenden Filmkritik gerne reaktionär genannt wird. Natürlich tauchen immer wieder ironische Brüche auf, die sich schon zeigen, sobald man realisiert, dass Michael Bay diese Diagnose natürlich kennt und die nicht zuletzt oft wohlfeile Empörung der Filmkritik und des Publikums antizipiert, bewusst triggert und auf sie verweist.

Aggressiver Zynismus

Die Faszination, die von diesen Filmen ausgeht, kommt genau aus dieser Ungebremstheit, einem offensiven filmästhetischen Arschlochtum. Es ist nicht schön, aber es ist ehrlich, bei allen Lügen und Mythisierungen, die einem hier erzählt werden. Und weil die Filme Michael Bays einem alles, was in ihnen passiert, eigentlich jedes einzelne Bild, um die Ohren hauen wollen und keine Reflexion zulassen oder gar vorsehen, kann man sich ganz gut selbst überprüfen. Vielleicht ist da ja doch was, was einen hier anspricht, als Phantasie, das Profitum, der Heroismus, der Männerbund, die klar definierten Geschlechterverhältnisse, der sexistische Blick der Kamera auf die Körper der Frauenfiguren (besonders notorisch in Transformers), Menschen als Material für ein erhabenes Spektakel. In dem Moment, wo ein Film alles das einfach nur feiert und nicht subtil und unterschwellig zelebriert, muss man sich dazu verhalten. Und realisieren, dass einen das im Zweifelsfall doch stärker anspricht, als man es gerne hätte, und man also aus freien Stücken gerne mitverblödet.

Der außergewöhnlichste Film in diesem Gesamtwerk bringt hier weitere Klärung. Zwischen Transformers 2 und Transformers 3 hat Michael Bay einen Film fabriziert, der das Mythen-Ensemble seines übrigen Werkes vielleicht nicht zerstört, aber doch mit einer spürbar (auto)aggressiven Energie unterläuft. Pain & Gain ist ein unglaubliches Werk und in meinen Augen einer der größten amerikanischen Filme der Zehnerjahre, mit dem Bay dann nicht nur mein Reptilienhirn, sondern auch mein Herz erobert hat; nach fünf, sechs Michael-Bay-Filmen fängt man an, in den abgegriffensten Metaphern zu denken.

Die, naja, Komödie rekonstruiert einen vollends irren Kriminalfall im Miami der Neunzigerjahre. Eine Gang von Bodybuildern (bei Bay sind es drei, real waren es mehr) kidnappt und foltert einen Gym-Besucher und lässt sich von ihm sein gesamtes Vermögen überschreiben. Der Versuch, ihn zu ermorden, scheitert wie eigentlich alles in diesem Zusammenhang, inklusive der Ermittlungen der Polizei. Die nämlich glaubt dem Opfer kein Wort, während die Bodybuilder in sein Haus einziehen und mit seinem Boot rumfahren und den Schwerverletzten weiter mit dem Tod bedrohen.

Ein zweiter Versuch an Geld ranzukommen – der Großteil ist bald weggekokst oder anders verballert – geht dann vollends schief. Der Gangleader tötet versehentlich einen Pornoproduzenten und dessen Freundin, deren Hände werden im Vorgarten gegrillt, um die Fingerabdrücke zu zerstören. Auch wenn das Drehbuch vom realen Geschehen in vielen Details abweicht, das eben genannte ist wahr. Pain & Gain ist sicherlich eine der zynischsten Big-Budget-Produktionen in der Geschichte des Kinos. Nahezu alle Figuren sind entweder vollkommen verblödet und/oder maximal unsympathisch, und es ist kein Zufall, dass der einzige Charakter, der hier so etwas wie Würde und Urteilskraft mitbringt, ein Privatdetektiv ist, der wie aus einem Film Noir, also aus einer anderen Zeit herübergekommen zu sein scheint. Schön ist, wie Michael Bay sich inszenatorisch treu bleibt, indem er seine Schwachmaten zum Beispiel in derselben Weise in heroischer Zeitlupe durchs Bild marschieren lässt wie sonst seine Heldenfiguren. In dieser umfassenden Zerstörung jedes Profitums erscheint mit einem Mal alles pathologisch, was vorher das einzig Richtige sein sollte: Eigeninitiative, hartes Training, Glaube an sich selbst, Verteidigung der (wie diffus auch immer ausformulierten) „amerikanischen Werte“. Martin Scorsese wäre für diesen Film gefeiert worden.

Irritierendes Herzensprojekt

Konstant bleibt in diesem Film auch das, was Kritiker zurecht als Menschenverachtung erkannt haben. Nur dass diese Verachtung jetzt nicht mehr Voraussetzung für möglichst entfesseltes Spektakel darstellt, sondern die Mythenkonstruktion selbst angreift. Das Universum von Pain & Gain ist das gleiche, in dem auch Bad Boys, Armageddon, 6 Underground und 13 Hours spielen, in dem Sinne, dass hier trainierte Männer sich selbst einen Auftrag geben und den dann ausführen, mit allen Mitteln, die nötig sind. Nur wird in diesem Film alles, was bei Bay ansonsten Vorlage für Heldengeschichten ist, zu einer ganzen Reihe von Gründen, um ganz grundsätzlich an der Gattung Mensch zu zweifeln. Oder zumindest an ihrer von Profit- und Marktlogik degenerierten Ausformung.

Im Lichte von Pain & Gain, ein Herzensprojekt, wie der Regisseur sagt, erscheint auch der übrige Teil der Filmografie Bays irgendwie anders. Die Filme wirken mit einem Mal wie das Werk eines fröhlichen Zynikers mit Technik-Fetisch, der die Versprechen des amerikanischen Traums, die nach wie vor dominanten Geschlechterbilder, das Zerstörungspotenzial des Militärs und die Selbstbilder des sich autonom wähnenden Heldentums beim Wort nimmt und affirmiert, bis alles folgerichtig in die Luft fliegt; meist von Filmminute fünf an. Pain & Gain wäre in diesem Zusammenhang der Film, der sich über dieses Projekt, seinen Regisseur und sein Publikum lustig macht und es dabei trotzdem fortschreibt. Das alles ist, nicht zuletzt, irritierend. Und das ist ja schon mal mehr, als man über viele humanistisch engagierte, gesellschaftskritische und liberalen Werten verpflichtete Middlebrow-Filme sagen könnte.

 

(Ambulance läuft derzeit im Kino, die anderen Filme Michael Bays sind auf Disc bzw. bei diversen Streamern zumeist ohne Zusatzkosten verfügbar. 6 Underground z.B. auf Netflix, 13 Hours flat bei Sky oder Prime Video, Pain & Gain flat auf Prime Video oder Pearl Harbor flat auf Disney+.)