Wie viel Meta geht noch?

Streaming-Tipps KW 23

Alicia Vikander, Irma Vep
Irma Vep, 2022, Olivier Assayas

Ein Remake eines Films über die Neuverfilmung eines Films („Irma Vep“ auf Sky), eine Superhelden-Satire („The Boys“ auf Prime Video), eine Fassbinder-Hommage (LaCinethek). Und zwei schöne Filme auf Mubi.

Es stellt sich die Frage: Warum? Warum verwandelt Olivier Assayas seinen ohnehin perfekten Film Irma Vep aus dem Jahr 1996 in eine HBO-Serie (bei Sky) mit acht Folgen?

Eine Szene in der dritten Folge erklärt es vielleicht. Eine Gruppe von Schauspielern (darunter auch ein urkomischer, Crack-süchtiger Kollege, gespielt von Lars Eidinger) sitzen im Hinterhof einer Pariser Hausparty und sprechen über den Zustand der Unterhaltungsindustrie und den künstlerischen Wert der Miniserie, die sie innerhalb der neuen Serie drehen. Es sei alles nur „Inhalt“ für Streamer, behauptet einer von ihnen. Ein anderer kontert, dass das Kino schon immer „Inhalt“ gewesen und zu seinen Wurzeln zurückgekehrt sei.

Ein anderes Motiv erscheint in der vierten Folge, das die auffälligste Leerstelle der Serie – und in Assayas‘ Leben – anspricht: die chinesische Schauspielerin Maggie Cheung, in die sich der Regisseur während der Dreharbeiten zum Original verliebte, die er heiratete und von der er sich später scheiden ließ.

Wie damals handelt es sich bei der HBO-Meta-Serie um ein Remake von Louis Feuillades Stummfilmserie Les Vampires, der siebenstündigen Geschichte eines Journalisten, der versucht, eine Bande von Theatergesetzlosen zu stoppen. Der neurotische Regisseur René Vidal (ein fabelhafter Vincent Macaigne) weiß, dass er einen Filmstar braucht, um grünes Licht zu bekommen – eine Erkenntnis, die auch Assayas gehabt haben muss. Und so besetzt Assayas bzw. Vidal die Hollywood-Schauspielerin Mira als die neue Irma Vep, gespielt von der immer menschenfreundlichen (und vielleicht fehlbesetzten) Alicia Vikander, die das ikonische Catsuit anzieht, das vor 25 Jahren die charismatische Maggie Cheung trug, und mehr als ein Jahrhundert vor ihr der französische Stummfilmstar Musidora. Da hieß es noch Fledermauskostüm.

Im Original-Irma Vep spielte Assayas mit den Absurditäten der französischen Filmindustrie, aber es war auch ein Film darüber, dass Hollywood-Actionfilme irgendwann begannen, alles andere zu überschatten. In der „neuen Irma“ macht er sich nicht nur über sich selbst lustig, sondern auch über eine Kinolandschaft, die von Superhelden überrannt wird. (Mira lehnt immer wieder ein Angebot ab, den weiblichen Silver Surfer zu spielen.)

Apropos: Welche Serie hat Heldenverehrung und deren Vermarktung besser verstanden als The Boys (Prime Video)? Die Adaption des gleichnamigen Comics von Garth Ennis und Darick Robertson – unter Showrunner Eric Kripke – tat schon in den ersten beiden Seasons ihr Bestes, um die gegenwärtig grassierende Superhelden-Obsession auf einer Metaebene zu untergraben (z.B. mit einer Superhelden-Reality-TV-Show und einem disneyartigen Superheldenland). Der dritte, bislang vielleicht beste Teil, wieder angeführt von Karl Urbans ruppigem Butcher und Antony Starrs größenwahnsinnigem Homelander, treibt diese Idee auf zutiefst satirische und sehr schwarzhumorige Weise auf die Spitze. Es gibt (immer noch) jede Menge Blut, Eingeweide und Genitalien, inklusive eines „Super“, der sich ganz klein machen kann und in das Rektum eines Mannes krabbelt. Bei den ersten paar Szenen dürfte selbst dem abgebrühtesten Zuschauer die Kinnlade herunterfallen.

Es war nie einfach, die klügste Person im Raum zu sein. Ganz gewiss trifft das auf Rainer Werner Fassbinder zu, nämlich im Publikumsgespräch mit der Wiener Meute des Filmmuseums im Jahr 1975 (ein wunderbares Dokument aus jener Zeit), im Anschluss an die allererste Vorführung eines seiner Filme: Faustrecht der Freiheit. Dieses wohl persönlichste Kinowerk, neun weitere Filme sowie die 14-teilige Serie Berlin Alexanderplatz (1980), sind Teil einer Huldigung des bayrischen Genies auf LaCinethek anlässlich seines 40. Todestages am 10. Juni. Fassbinder wurde nur 37 Jahre alt, hinterließ aber ein zutiefst imposantes, einflussreiches Oeuvre, das bis heute nachhallt, zuletzt in François Ozons Hommage Peter von Kant.

Trotz des kleinen Unterschieds (e statt i) unterliegen einige dem Irrglauben, dass Michael Fassbender mit der deutschen Regie-Legende verwandt ist. Sogar mit einem großen Pappmaché-Kopf auf den Schultern, ohne den Einsatz seines viel geschätzten Gesichts, gibt der deutsch-irische Schauspieler eine zu Unrecht fast vergessene Leistung in Lenny Abrahamsons Frank (Infos und Trailer auf Mubi). Lose modelliert nach Frank Sidebottom, der Bühnenpersona des verstorbenen Künstlers Chris Sievey, erschließt dieser liebenswert kuriose Film mit Maggie Gyllenhaal und Domhnall Gleeson einen ganzen Mythos unruhiger Pop-Genies und erforscht eine Reihe lohnender Fragen über die Natur der Kunst, um letztlich schön zu resümieren, dass einige Menschen besser auf der anderen Seite der Bühne bleiben.

Umso ansprechender sind die musikalischen Darbietungen in Felix Van Groeningens The Broken Circle Breakdown (Mubi). Der nun knapp zehn Jahre alte Film des Belgiers basiert auf einem Theaterstück von Johan Heldenbergh, der in dem preisgekrönten Melodrama die Hauptrolle spielt. Didier ist ein freigeistiger Bluegrass-Musiker, seine Frau Elise (Veerle Baetens) Tätowiererin und Sängerin. Ihre Beziehung wird in Fragmenten des Lebens vor und nach dem Krebstod ihrer siebenjährigen Tochter dargestellt. Nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, stimmt dieser schöne Film wirklich starke emotionale Saiten an. Große Empfehlung.