The Fall of the House of Usher

Familienhorror als Edgar-Allan-Poe-Zitatfeuerwerk – auf Netflix

Flanagan, Siegel, The Fall of the House of Usher
The Fall of the House of Usher, 2023, Mike Flanagan

„The Fall of the House of Usher“: Mike Flanagans Miniserie mixt Ingredienzen aus Edgar Allan Poes Gesamtwerk und einen epischen Pharmafamilienroman zu einem Schuld-und-Sühne-Horrorcocktail.  

Warum Horrorfilme vor Referenzen aufs eigene Genre, und das nicht erst seit Scream, immer wieder geradezu überlaufen, Filme anderer Genres hingegen nicht, es ist noch nicht vollends geklärt. Mike Flanagan hat in seiner Serienproduktion für Netflix noch einmal eine neue Form von Intertextualität und Zitatfeuerwerk entwickelt. The Haunting of Hill House nahm Shirley Jacksons Roman, und da nur einige zentrale Figuren und Plotpoints, um dann aber abzuheben und mitsamt Publikum wo ganz anders hinzufliegen; den Geist der Vorlage, und das ist ein springender Punkt, stets im Blick.

Die Herangehensweise ist im Falle von Mike Flanagans Edgar-Allan-Poe-Adaption eine strukturell ähnliche. The Fall of the House of Usher ist vollgestopft mit Anspielungen auf das Gesamtwerk Poes, dem dann auch zahlreiche Bausteine direkt entnommen sind, um sie zu einem von Schuld und Gewalt durchtränktem Familienroman neu zusammenzuleimen. Das funktioniert, um es mal vorwegzunehmen, sehr, sehr gut, auch weil die Serie auf verschiedenen Ebenen funktioniert.

Als da wären: Der Plot natürlich, eine Familiengeschichte um ein Geschwisterpaar (Bruce Greenwood und Mary McDonnell), das sich an die Spitze eines Milliardenkonzerns hochgeschwindelt und gemordet hat und dafür seine Seele verkaufen musste, in gewisser Weise. Der Konzern heißt Fortunato Pharmaceuticals (den Namen Fortunato hat Flanagan der Poe-Story „The Cask of Amontillado“ entnommen, und das Schicksal des ersten CEO ist dasselbe wie … aber man soll nicht spoilern). Fortunato produziert süchtig machende Schmerzmittel mit starken Nebenwirkungen. Die Zahl der Toten geht in die Tausende. Der Staatsanwalt Auguste Dupin (Carl Lumbly), der nach dem ersten literaturhistorisch relevanten und von Poe erfundenen Privatdetektiv benannt ist, klebt Roderick und Madeleine (die heißen wie die Geschwister aus Edgar Allan Poes „The Fall of the House of Usher“) ein Berufsleben lang an den Fersen. Erfolglos allerdings, auch weil Artur Pym (Mark Hamill, kaum wiederzuerkennen, als Anwalt, der für die Ushers ist, was Mike Ehrentraut für Saul Goodman war), alles an belastendem Material inklusive Leichen verschwinden lässt.

Greenwood, Flanagan, The Fall of the House of Usher
Carl Lumbly, Bruce Greenwood

Die Ausgangslage ist der literarischen Vorlage entnommen: Roderick erzählt Dupin seine Geschichte, als das Verhängnis schon über seine Familie hereingebrochen ist, im alten, verfallenen Haus der Ushers. Von da aus surft die Serie kreuz und quer durchs Gesamtwerk Edgar Allan Poes. Das ist die zweite Ebene, auf der das alles recht prächtig funktioniert: die Testung des Nerdwissens von Zuschauerin und Zuschauer. Wenn man für jeden Figurennamen, der bei Poe vorkommt, einen Schnaps trinkt, ist man nach wahrscheinlich zwei Episoden nicht mehr sprechfähig. Wer dann noch jedes aus Flanagans Filmen und Serien bekanntes Schauspielergesicht dazu nimmt, ist schon nach 45 Minuten durch: Flanagan besetzt seine Horrorfamiliengeschichten (neben The Fall of the House of Usher und The Haunting of Hill House ist das noch The Haunting of Bly Manor) gerne mit den gleichen Schauspieler:innen in zentralen Rollen. Was zum Eindruck des Familiären dann noch beiträgt.

Spektakulärer und weniger kognitiv, sondern viszeral vermittelt wird der Referenzensturm im Falle der zahlreichen Tötungsszenen. Ein Kind der Familie nach dem anderen geht drauf, und die Art, wie hier gestorben wird, kennt man aus den Referenztexten: Zu Tode kommen die Ushers der Reihe nach u.a. durch ein Pendel, einen Affen, den roten Tod, eine Katze in der Wand, den Wahnsinn, der durch das Klopfen eines weiterschlagenden Herzens in die Welt gerufen wird. Die Gewaltbilder sind für Netflix-Verhältnisse relativ offenherzig (wobei das CGI in einigen Sequenzen allerdings irritierend schlampig aussieht), und in diesen Momenten vermischt sich dann das eigene unnütze Wissen – man ahnt z.B. gleich, was Prospero (Sauriyan Sapkota) passieren wird – mit der Reaktion aufs drastische Bild.

Mike Flanagans Lust am Zitieren ist aber noch in weiterer Hinsicht maßgeblich für die Serie, und in diesem Punkt unterscheidet sie sich von den auf Metaebene und Ironie zielenden Referenzfeuerwerken anderer Filmemacher. Dritte Ebene: Wie schon in The Haunting of Hill House bleibt in The Fall of the House of Usher das erhalten, was die Texte ausmacht, auf die sich hier bezogen wird. Im Falle von Edgar Allan Poe ist es das Motiv der Schuld und des sich aus der Schuld speisenden Wahnsinns, der das zentrale Motiv bildet. Unter anderem in diesem Punkt war und ist Poe stilbildend für die American Gothic in all ihrer dunklen, aber moralgetränkten Negativität; anders als beim selbst schon reichlich verrückten H.P. Lovecraft, dem es in seinem Schreiben vor allem um Wahnhaftigkeit im Allgemeinen und den eigenen Wahn im Besonderen ging und dessen Texte vielleicht auch deswegen nicht so leicht zu verfilmen sind.

Am Anfang von allem, was hier passiert, steht die Schuld des Vaters und seiner Schwester. Das Script Flanagans und seiner Autor:innen weidet sich geradezu an der Verworfenheit der Großfamilie. Dass sämtliche Familienmitglieder in der einen oder anderen Weise als queer codiert sind, wurde Flanagan dann auch vorgeworfen: Es ginge hier um die symbolische Bestrafung von Queerness und Devianz. Was aber ins Leere zielt, denn der Pakt mit dem Teufel (beziehungsweise, wir sind hier im Universum von Edgar Allan Poe, mit einem Raben) wird nun gerade von der einzigen traditionell-patriarchalen Figur geschlossen. Wenn hier also jemand wen bestraft, dann ist es das Familienoberhaupt, das die folgenden Generationen in die Hölle schickt, um selbst an die Macht zu kommen und da zu bleiben.