Ein Netflix-Film, der eigentlich ins Kino gehört („The Power of the Dog“, und eine Sky-Miniserie, die auf Bergman Bezug nimmt („Scenes from a Marriage“). Und zwei Randerscheinungen.
Es gehört irgendwie zum guten Ton, einen Film von Jane Campion zu mögen, der ersten Regisseurin, die – übrigens vor bald 30 Jahren – eine Goldene Palme in Cannes gewann. Zum noch besseren Ton gehört, diesen Film nicht auf Netflix, sondern auf Riesenleinwand zu sehen, denn Filme wie dieser gehören grundsätzlich auf Riesenleinwand gesehen. (Doch das von Netflix gewährte Kinoverwertungsfenster hat sich geschlossen, während in Österreich nicht einmal Filme für normal große Leinwände zu sehen waren.) Zum besten Ton allerdings gehört, The Power of the Dog egal auf welchem Screen als das zu erkennen, was es ist: ein feministisches Meisterwerk. filmfilter-Kollege Moldenhauer hat ja, in einer kurzen Gegenüberstellung mit Kelly Reichardts First Cow, bereits festgestellt: Der Film zeigt eine Welt, in der die Beziehungen der Menschen im Wesentlichen durch toxische Männlichkeit strukturiert werden. (Ja, da waren tatsächlich zwei Western von zwei Frauen in einer Woche in deutschen Kinos angelaufen – ist das nicht eine selten schöne Inzidenz?) Campion war übrigens immer schon eine der sympathischsten, weil nämlich auch Männer verstehenden Feministinnen ihrer Zunft und hat u.a. mit der Miniserie Top of the Lake (2013) eine der atmosphärisch anspruchsvollsten Mystery-Erzählungen aller Zeiten geschrieben und in Szene gesetzt. Abgesehen von der weiblichen Perspektive hat The Power of the Dog große Schauspielkunst (Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst, Jesse Plemons und Kodi Smit-McPhee), erzählökonomische Grandezza und zwei herrliche Kontraste zu bieten: weite Landschaft und psychisch beengte Lebensräume sowie traditionelles Storytelling trotz Verzicht auf jede Konvention.
Während die Ehe in Campions Western nur den Rahmen für außereheliche Psychodynamiken abgibt, steht sie in einer Miniserienproduktion des The Affair-Schöpfers Hagai Levi im Mittelpunkt der Erzählung. Scenes from a Marriage (Sky) bezieht sich explizit auf Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe, spielt aber an der amerikanischen Ostküste und bedient sich der Strahlkraft zweier Zentralgestirne des Schauspielkosmos, nämlich Jessica Chastain und Oscar Isaac. Mit sozusagen vertauschten Rollen: Die Alpha-Frau macht Karriere, er kümmert sich ums Kind. Doch dann ist ein israelischer Internet-Startupper plötzlich interessanter als der eigene Kümmermann, und die fatale Trennung-und-dann-doch-wieder-nicht-Dynamik nimmt ihren Lauf. Das ist ausgezeichnet geschrieben, in vifen Verdichtungen der Timeline erzählt, in detailreich gestalteten Interieurs inszeniert und mit hoher Intensität gespielt. Darüber hinaus vermittelt die Serie eine Alleinseins-Beklemmung, die in der doch ziemlich weitschweifigen TV-Beziehungslandschaft ihresgleichen sucht. Eine „Hey, das hier sind Dreharbeiten“-Ebene wird als Rahmen eingezogen, insofern ist Scenes from a Marriage auch Bergman Island, Mia Hansen-Løves wunderbarem und im Ton hellerem Beziehungsfilm, entfernt verwandt. Was Levis Betrachtung einer Ehe auf ungleicher Augenhöhe fein herausarbeitet, sind die toxisch wirksamsten Elemente der Paar-Entzauberung: Respektlosigkeit im Streit, Vertrauensmissbrauch, im Anderen das Gefühl der Machtlosigkeit evozieren; der Stolz als letzte Bastion und die Unfähigkeit zu verzeihen.
Mir nicht verziehen hat man einst, dass ich, als Sex and the City noch quasi jungfräulich und in aller Frauen Munde war, gewagt habe, den Off-Kommentar von Carrie als Kitsch zu qualifizieren. Da hat mir die damals junge Wiener Dior-Fendi-Prada-Manolos-Fanfraktion aber ordentlich den Marsch geblasen! Aber zum Neuaufguss der sogenannten ersten Frauenserie von HBO (als ob Oz nicht Jahre früher mannigfach von Afro-Amerikanerinnen gesehen worden wäre) dann nächste Woche von berufenerer Stelle: Immerhin schreibt filmfilter-Kollegin Marietta Steinhart ihren Sofa Surfer aus New York.
Zum Schluss noch ein Wort zur Netflix-Kooperation einer deutschen Shooting-Star-Regisseurin (Nora Fingscheidt, Systemsprenger) und eines gesichtsbehandelten deutsch-amerikanischen Hollywoodstars (Sandra Bullock) auf Netflix, nämlich zu Unforgivable, und bitte um Verzeihung für das Wortspiel: Es ist verzeihlich, diesen Film nicht zu kommentieren.