Roger Corman ist im Alter von 98 Jahren verstorben. Martin Scorsese hat einmal behauptet, dass junge Menschen heutzutage nichts von seiner Arbeit und seinem Einfluss wissen. Im Herbst 1971, nur zwei Jahre bevor sein späterer Gangsterklassiker Mean Streets in die Kinos kam, drehte Scorsese für Corman seinen zweiten Spielfilm Boxcar Bertha (den John Cassavetes übrigens für ein „Stück Scheiße“ hielt).
Corman hatte immer ebenso viele Kritiker wie Götzendiener und manchmal waren sie beides. „Aus Versehen machte Roger tatsächlich ab und zu einen guten Film“, sagte Jack Nicholson, der fast ein Jahrzehnt lang in den Kuriositäten seines Freundes mitspielte und ihm seine Karriere mitverdankt. In Alex Stapletons großartigem Dokumentarfilm Corman’s World: Exploits of a Hollywood Rebel bricht der Schauspieler in Tränen aus und nennt Corman sein „Lebenselixier“.
Ein alter Witz in Hollywood geht so: Roger Corman konnte die Produktion eines Films per Münztelefon aushandeln, ihn mit dem Wechselgeld finanzieren und dann den gesamten Film in der Telefonzelle drehen. Aber was immer man von seinen günstigen Genrefilmen halten mag, er galt irgendwann als Kultfilmemacher, war ein erstaunlicher Talentförderer und unter den unabhängigen US-Filmemachern neben John Cassavetes einer der erfolgreichsten.
Roger Corman hat den Genrefilm in den Mainstream gebracht. Er vertrieb Filme von Bergman und Fellini in den USA. Er verhalf Schauspielern wie Dennis Hopper, Bruce Dern und Peter Fonda zu ihrem Durchbruch. Er war ein Meister des Mikrobudgets und gab einigen der renommiertesten Regisseure ihren ersten Job. Sie nannten es die „Corman Film School“, die einzige inoffizielle Hochschule der Künste, an der man kostenlos Filmemachen lernen konnte.
Ein Regisseur, der aus dieser Schule hervorging, war Francis Ford Coppola, der für Corman den sowjetischen Sci-Fi-Film Battle Beyond the Sun (1962) „amerikanisieren“ sollte. Corman war besonders beeindruckt von ihm, weil er zwei sehr originelle Monster geschaffen hatte: Eines sah aus wie ein Penis und das andere wie eine Vagina. Er gab dem damals 24-jährigen Coppola später ein Wochenende Zeit, um sich einen Horrorfilm auszudenken, der auf übrig gebliebenen Sets in Irland gedreht werden konnte. Das Ergebnis war Dementia 13 (1963) – ein Film ähnlich Hitchcocks Psycho, minus Großartigkeit. Dieser Tage ist Coppola in Cannes und überrascht das Fachpublikum mit seinem Jahrzehnte lang geplanten Film Megalopolis.
Bevor Jonathan Demme eine Oscar-prämierte Karriere startete, drehte er mehrere Filme für Corman, darunter sein Regiedebüt, den Kult-Frauenknast-Thriller Caged Heat (1974) mit Musik von John Cale. Auch Ron Howards Regiedebüt Grand Theft Auto (1977) wurde von Corman finanziert. Als Howard mehr Komparsen für seinen Actionfilm wollte, sagte Corman einfach nur: „Wenn du einen guten Job an diesem Film unter meinen Bedingungen machst, dann musst du nie wieder für mich arbeiten.“ Und Howard musste nicht.
Im Laufe seiner Karriere hat Roger Corman als Regisseur und Produzent mehr als 400 Filme gemacht – fast alle davon Low-Budget-Movies. In der Filmbranche wurde er deshalb liebevoll „Schlockmeister“ genannt. Schlock kommt aus dem Jiddischen und bedeutet Müll, aber Cormans Filme als Müll zu bezeichnen ist nicht sehr galant. Ja sicher, viele davon waren nicht großartig, aber es gab eine besondere künstlerische Freiheit, die sich aus Cormans Unabhängigkeit entwickelte. Gleichzeitig hinterließen die „Spuren des Billigen“ oftmals einen ungemein hohen Unterhaltungswert.
Mit dem Erfolg seines Charles Bronson-Gangsterdramas Machine-Gun Kelly (1958), bei dem er selbst Regie führte, bekam Roger Corman zum ersten Mal ernsthaftes Lob von Kritikern; er selbst verstand sich in erster Linie als Meister des kosteneffizienten Filmemachens. Indem er 1954 seinen ersten „Quickie“ Monster from the Ocean Floor für bescheidene 12.000 Dollar produzierte und für 60.000 Dollar verkaufen konnte, bemerkte er, wie einfach es war, Geld mit B-Movies zu verdienen. Die Prämisse des Films ist herrlich hirnrissig: Es geht um mutierte Riesenkrabben, die nicht nur Menschen fressen, sondern auch deren Bewusstsein verdauen. Wenn eine Krabbe also einen französischen Wissenschafter frisst, beginnt sie mit einem französischen Akzent zu sprechen.
Auf sein junges Publikum sah er nicht herab. Lange vor allen anderen in Hollywood begriff Roger Corman die Jugendkultur der 1960er und 1970er. Drei Jahre vor dem legendären Easy Rider kam Cormans Biker-Film The Wild Angels (1966) in die Kinos. „Natürlich muss mein Unterbewusstsein eine Art brodelndes Inferno sein“, kicherte er einmal. Er klang nicht wie jemand, der dafür berühmt war, Filme über Rowdys und radioaktive Riesenkrabben (noch so ein Juwel: Attack of the Crab Monsters) zu drehen. Eher wirkte er wie ein Literaturprofessor.
Was mich zu meinen liebsten Filmen von Corman bringt, dem Edgar-Allan-Poe-Zyklus: Zwischen 1960 und 1964 gedreht, sticht daraus The Tomb of Ligeia (1964) hervor, die letzte und beste dieser Literaturverfilmungen. Alle seine Poe-Filme sehen ungewöhnlich gut aus und in sieben von acht spielt der wunderbare Vincent Price die Hauptrolle (auch sehr gut: The Pit and the Pendulum).
Mit dem Zeitalter der Blockbuster, mit Jaws (1975) und Star Wars (1977), begannen die großen Studios, gewissermaßen teure Reihen-Versionen von Cormans Low-Budget-Filmen zu produzieren und machten ein Riesengeschäft damit. Corman dagegen fand sich Jahrzehnte später in einer Kabel-TV-Nische wieder, für so illustre Zwitter-Kreaturenfilme wie Sharktopus (flat bei Prime Video) und Dinoshark. Irgendwann hatte die „schnell und billig“-Formel ihren Charme verloren, aber man muss ihn lieben – für seine Chuzpe, die sexy Krankenschwestern, die launischen Biker und die weirden Monster. Es ist zu bezweifeln, dass ein anderer Filmemacher mit weniger mehr erreicht hat als Roger Corman. Er möge in Frieden ruhen.