Old, not obsolete

Streaming-Tipp: „Arnold“ – auf Netflix

Netflix, Schwarzenegger-Dreiteiler
Arnold, 2023, Lesley Chilcott @ Netflix

Arnold Schwarzenegger blickt in einem Netflix-Dreiteiler ehrlich auf sein Leben zurück. Ein guter Anlass, selbst zurückzublicken: Welche Eindrücke hat die steirische Kernöl-Eiche in den vergangenen vierzig Jahren hinterlassen?

Im Sommer 1983 wollte mir ein Sportfreund ein Fitnessbuch von Arnold Schwarzenegger borgen. Ich lehnte dankend ab. BMX-Biken im Wiener Prater und Fußballspielen auf der Birkenwiese waren bis dahin meine Leidenschaften. Außerdem wollte ich lieber mein Hirn als meine Muskeln trainieren, statt Büchern über Leibesübungen las ich welche über den Urknall, die Herkunft der Welt und des Lebens, die Abstammung des Menschen vom Affen. Es wäre mir affig erschienen, Gymnastik nach Anleitung eines öligen Posers zu treiben.

In der Unterstufe meiner Schule, wie damals vermutlich in weiten Teilen Österreichs, war der ausgewanderte Kernölsteirer entweder unbekannt oder galt als überambitionierter Kraftlackel ohne Hirnschmalz. Den Film Conan, der Barbar hatten alle Nase rümpfend ausgelassen, bis auf meinen erwähnten Sportfreund. Der wiederum ließ nicht locker, mich zu Sit-ups, Klimmzügen und Beincurls zu überreden. Für unser durchwachsenes Trainingsareal im Prater, musste ich allmählich zugeben, waren die mit vielen Improvisationstipps gespickten Übungen aus Arnolds Fitness-Ratgeber recht brauchbar und nicht zuletzt bemerkte ich, dass der Kraftzuwachs meinem Stil als Ballesterer durchaus zuträglich war. Eine der plastischeren Erinnerungen aus dem Buch (in dem sich übrigens auch prototypische Ernährungsratschläge fanden): Arnold beschreibt, wie er spätabends die Notausgangs-Treppen eines fünfzehnstöckigen Hotels drei Mal rauf- und runter rennt, um nicht während eines Business-Trips auf sein Workout verzichten zu müssen. Spinner, dachte ich damals. Doch wir jungen Sportfreunde waren Avantgardisten, denn als die Aerobic- und Kraftsport-Welle mit der üblichen Verspätung über den Atlantik zu uns rüberschwappte, war Schwarzenegger bereits ein Star. Sein Durchbruch trug den Namen Terminator (1984).

Knapp vierzig Jahre später blickt Schwarzenegger, der diesen Sommer 76 Jahre alt wird, in dem Netflix-Dreiteiler Arnold auf sein Leben und seine Karriere zurück. Die Serie ist mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Videoclips, Talking Heads (James Cameron, Linda Hamilton, Jamie Lee Curtis, Danny DeVito, Sylvester Stallone u.v.m.) und ausführlichen Interviewsequenzen zwar ziemlich konventionell gestaltet, besticht allerdings durch drei Vorzüge. Erstens erfährt auch, wer so gut wie alles über „Österreichs Hollywood-Export“ zu wissen meint, jede Menge neuer Details. Zum Zweiten inszeniert Klimaschutz-Veteran Schwarzenegger sich im weitläufigen eigenen Anwesen, mal melancholisch leise, mal im üblichen Hau-drauf-Stil, mal augenzwinkernd vor alpenähnlicher Kulisse – u.a. im Schaffelbad-Jacuzzi mit Zigarre im Mund oder beim Schuften im Kraftraum –, fährt im dreiachsigen Steyr-Puch Pinzgauer durch die Gegend oder berichtet von der täglichen Routine seiner Hausesel-Pflege (auch sein Insta-Account zeugt davon). Und drittens gibt Schwarzenegger nicht nur preis, wie er sich in bestimmten Momenten seines Lebens gefühlt hat, sondern spricht sogar freimütig vom „biggest fuckup of my life“: Als er nämlich mit der eigenen Haushälterin einen Sohn gezeugt und dies seiner inzwischen geschiedenen Frau Maria Shriver und seinen vier ehelichen Kindern 14 Jahre lang verschwiegen hatte.

Doch zurück in den Juni des Jahres 1985, als Terminator in Österreich ins Kino kam. Die Leute staunten, wie eindrücklich „unsere“ steirische Eiche eine fast perfekte Tötungsmaschine spielen konnte (was für ein Anlass für eine Nostrifikation), und ich staunte mit. Der eingangs erwähnte Sportfreund hat seitdem übrigens kaum einen seiner Filme ausgelassen, außer vielleicht Twins (1990), in dem Schwarzenegger sein maschinelles Spiel gekonnt in den Dienst hölzerner Comedy-Naivität stellt. Mich interessierten natürlich weniger Arnolds frühe Paraderollen in doofen Rabaukenreißern wie Das Phantom-Kommando oder Predator als, nur zum Beispiel, der in seiner prophetischen Qualität unterschätzte Running Man (1987) oder sein Revoluzzer in Paul Verhoevens legendärem Sci-Fi-Knaller Total Recall (1990). In letzterem manifestierte sich auch Schwarzeneggers beachtliche schauspielerische Lernfähigkeit, welche später in Gestalt des eifersüchtigen Agenten Harry in True Lies (1994) einen seltenen Höhepunkt fand. Freilich: „Jim, I don’t wanna be an actor“, hatte er schon zehn Jahre früher zu James Cameron gesagt. „I wanna be a movie star.“ Den einstigen Actionhero-Titanenkampf gegen Sly Stallone nahm Schwarzenegger beispielsweise mit der Expendables-Reihe (seit 2010) oder mit dem Buddy-Ausbruchs-Thriller Escape Plan (2013) auf die Schaufel. Und neuerdings matchen die beiden einander mit den Serien Tulsa King (Paramount+) und Fubar (Netflix), wobei Arnie qualitativ hier eindeutig den Kürzeren zieht.

Schwarzenegger Arnold Netlfix

Der erste Teil der Miniserie widmet sich Arnolds Anfängen als Bodybuilder, der sich von Championat zu Championat hantelt (nebenbei erwähnt wird der schon damals übliche Steroid-Missbrauch), seinen frühen Freunden und Förderern, seinem vom kriegstraumatisierten Vater eingepflanzten Konkurrenzdenken und natürlich seinem Aufwachsen im idyllischen Thal bei Graz. Klar war ihm schon früh: The world was too small for him in Styria. Der anekdotenreiche zweite Teil zeichnet anhand kollegialer Schnurren und Funfacts seine fulminante Filmkarriere nach; der dritte beleuchtet Schwarzeneggers Quereinstieg in die Politik als Gouverneur von Kalifornien. Großes Staunen, großer Stolz damals in Österreich. Da lebt doch glatt ein immigrierter Steirer, der quasi Kernöl statt Muttermilch verabreicht bekam, den amerikanischen Traum. Mich hat seine Wahl zum Governator dann schon nicht mehr verwundert; Westernstar-Präsident Reagan war noch in Erinnerung, und in die Reagan-Jahre des beginnenden Fake-it-till-you-make-it-Anything-goes-Turbokapitalismus (nicht umsonst ein Bezugspunkt der Trump-Ära) war ja auch Arnolds steiler Aufstieg als Actionheld gefallen.

Einer der hübschesten Momente der Serie ist jener, als der Politikneuling nach zwei Monaten Wahlkampf samt Terminator-Persiflage erstmals in seinen Gouverneurssessel sinkt – mission accomplished –, wie auf dem Filmset scherzhaft nach der Maske fragt, sich dann aber insgeheim eingestehen muss: Keine Ahnung, was ich jetzt tun soll. Für diese neue Rolle konnte er nicht trainieren, doch kurz danach erfindet er ein „Zigarrenzelt“ im Hof seines Amtsgebäudes, und bald wollen alle, die in Kalifornien etwas zu sagen haben, in diesem Zelt mit Arnold plaudern. Und er lernt schnell. Von seinen Verbindungen zum demokratischen Kennedy-Clan profitiert der Republikaner Schwarzenegger damals besonders; so ist er z.B. in der Lage, den damals angesehensten Klima-Experten der Demokraten für sein Kabinett anzuheuern.

Reichlich Glück hatte er auch, der Terminator. Nicht nur kam das Skript zu seinem ersten Welterfolg genau zur richtigen Zeit, bevor seine Karriere als TV-Witzfigur und Herkules-Kampfmaschine – ursprünglich wegen unkaputtbaren Akzents synchronisiert – versandet wäre. Die testosteronschwangeren Macho-Achtziger waren überhaupt die historisch erste Möglichkeit für eine singuläre Weltkarriere wie diese (Muskelmenschen wie Dwayne Johnson oder Dave Bautista konnten später darauf bauen). Glück hatte Arnold auch mit seinen Förderern, mit seiner Ehefrau und ihrem Clan oder mit dem Window of Opportunity durch die historische Gouverneursabwahl seines Vorgängers in Kalifornien. „I’ll be back“: Wahrscheinlich war es das Glück des Tüchtigen, des Stehaufmännchens, das keine Niederlage als endgültig akzeptiert. Des Sohnes einer extrem disziplinierten Mutter. Des Knaben, der immer wieder gegen seinen älteren Bruder antreten muss (auch über den früh verunfallten Meinhard Schwarzenegger spricht er in Arnold). Das Glück des Träumers, der sich seine Träume „visualisieren“ konnte und sie durch stählernen Willen verwirklichte. Schon als Kaufmannslehrling war er in selbstgebauten Eisenschuhen durchs Dorf marschiert.

Gemäß seinem Leitspruch kam Arnold Schwarzenegger immer wieder zurück, ob an der Seite von Greta Thunberg als Klimabotschafter oder mit selbstironischen Action-Rollen. Und jetzt? Immer weitermachen. Sich in Schwung halten. Versuche, deinen Mitmenschen nützlich zu sein, so Arnolds Devise. Man kann schlechter altern.