Netflix-Kontrastfilme

Streaming-Tipps KW 24

hustle, adam sandler
Hustle, 2022, Jeremiah Zagar

Ein Adam-Sandler-Vehikel im Basketball-Universum („Hustle“) und das unerhört atemraubende Beispiel einer Verbrechens-Rekonstruktion („Gladbeck“) – beide auf Netflix.

Wenn man nichts in die Wiege gelegt bekommen hat, muss man sich mit Selbstdisziplinierung und -zurichtung aus der Armut herausarbeiten. Der Glaube daran, dass das mit hartem Training funktionieren kann, wird vom Genrefilm gerne befördert. Wie einer sich von unten nach oben boxt, ist im Sportdrama nicht zu selten erzählt worden. Die Netflix-Produktion Hustle überträgt die Geschichte – jungem Außenseiter aus ärmlichen Verhältnissen gelingt der Durchbruch – in das Basketball-Universum.

Die Verschiebung, die der ganz auf seinen Star Adam Sandler fokussierte Film vornimmt, ist eigentlich recht interessant. Der Underdog aus der Unterschicht, Bo Cruz (gespielt von Juancho Hernangómez, im wirklichen Leben Spieler im Utah Jazz Basketball-Team), steht zwar im Zentrum der schnell geschnittenen Basketball-Szenen, ist ansonsten aber eigentlich vor allem dazu da, die Karriere der Sandler-Figur zu retten. Stanley Sugerman (Sandler) ist Scout für die Philadelphia 76ers und bringt Bo Cruz aus Spanien mit in die USA, auf eigene Kosten und gegen den Willen seines Chefs. Sugerman kündigt und muss seinen Nachwuchsstar selbst trainieren und das Training finanzieren.

Das ist dann auch schon im Groben der Plot, und er trägt nicht weit. Niemand ist wirklich in Gefahr, das Basketball-Talent hat nicht wirklich Leidensdruck oder gar eine interessante Vorgeschichte, sondern segelt weitgehend entspannt durch das Geschehen. Auch alles andere in diesem Film – ein schön alltägliches, unklischiertes Bild einer Ehe zum Beispiel – ist nett anzusehen, aber nicht mehr.

Die Leerläufe der Erzählung füllt Hustle-Regisseur Jeremiah Zagar mit hyperdynamisierten Basketball-Trainingsszenen. Die Kamera fliegt, der Schnitt ist hastig, die Bilder vermitteln den Druck auf dem Spielfeld und drumherum. Auf dieser Ebene funktioniert das alles recht gut, aber man muss wahrscheinlich Basketball-Fan sein, damit dieser Film einen irgendwie begeistert. Dann kann man sich auch über die zahlreichen Kurzauftritte von NBA-Stars freuen. Für Zuschauer:innen, die bis auf Shaquille O’Neal und Dirk Nowitzki alle Namen googeln müssen, ist Hustle nicht gemacht.

Ein ganz anderes Kaliber ist eine weitere Netflix-Produktion, die es anders als Hustle aber voraussichtlich nicht an die Spitze der Netflix-Zuschauer:innen-Charts schaffen wird; sondern, Stand Mitte Juni 2022, nur auf Platz sieben, aber immerhin. Volker Heise hat in seinem Dokumentarfilm Gladbeck – Das Geiseldrama Ausschnitte aus Nachrichtensendungen und dokumentarisches Material, das bislang nicht zu sehen war, kompiliert. Die Intensität, mit der das Geschehen um die Geiselnahme von Gladbeck rekonstruiert wird, ist tatsächlich atemraubend. Zur Erinnerung: Im August 1988 nahmen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski in einer Bank in Gladbeck zwei Geiseln und fuhren mit ihnen einmal durch Norddeutschland. In Bremen kaperten sie einen Bus, eine Komplizin stieg zu, ein 14-Jähriger wurde erschossen. Dann ging es über die holländische Grenze, dann wieder zurück nach Deutschland. Auf einer Raststätte dann der Zugriff der Polizei, bei dem eine weitere Geisel ums Leben kam.

Gladbeck könnte die dreitägige Geiselnahme einfach als True-Crime-Reißer re-inszenieren, der das Verbrechen als Spektakel genießbar werden lässt und inszenatorisch nicht viel machen muss, weil er sich auf den Authentizitäts-Eindruck verlassen kann. Heise gelingt aber etwas im Zusammenhang mit dem Genre eigentlich Unerhörtes. Die Bilder, die er zeigt, sind fast ausschließlich Bilder, die von Journalisten produziert worden sind. Und da wir hier viel Rohmaterial zu sehen bekommen, ist auch zu sehen und zu hören, was die Produzenten dieser Bilder bei der Aufzeichnung so dahergeredet haben. Es wird gefeixt, die Stimmung ist aufgekratzt, die Mischung aus Euphorie und Überraschung darüber, dass es so einfach ist, die geilen Bilder zu bekommen (Geiselnehmer steckt sich die Waffe in den Mund, Geisel mit Waffe am Kinn usw.) dominiert.

Einen Voice-over-Kommentar gibt es in Gladbeck nicht. Mit dem Lachen des Pressefotografen, der als Vermittlungsmann zwischen Polizei und Geiselnehmern dilettiert, fängt es an. Spätestens als ein Journalist die Geisel Silke Bischoff nassforsch kurz vor ihrem Tod fragt, wie es ihr ginge und ob sie sich vorstellen könnte, dass hier bald jemand erschossen wird, nämlich sie, packt einen der kalte Ekel. Die Geiselnahme von Gladbeck gilt zurecht als der größte Medienskandal der Bundesrepublik. Dass Volker Heises Film sozusagen nebenbei noch ein umfassendes Polizeiversagen dokumentiert, wird von den unfassbaren Szenen fast überdeckt.

Damit gelingen Gladbeck, schon jetzt einer der formal interessantesten und zugleich bestürzendsten Dokumentarfilme des Jahres, verschiedene Dinge: eine minutiöse Rekonstruktion eines Kriminalfalls, die das Medium der Rekonstruktion und damit auch die Perspektive von Zuschauerin und Zuschauer auf authentisch wirkendes Bildmaterial radikal infrage stellt. Normalerweise ist das Genre für so etwas die Mockumentary. Aber das alles ist wirklich passiert. Und man wünscht dem Presse- und Fernsehmob (im Übrigen private und öffentlich-rechtliche Sender gleichermaßen), der die Mörder vor Ort interviewt und die Situation weiter anheizt, beim Sehen von Gladbeck irgendwann nur noch eins: dass diese Leute bis ans Lebensende von Scham begleitet werden.