Monarchen, Mütter und Monster

Streaming-Tipps KW 37

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Goodnight Mommy, 2022, Matt Sobel

Samantha Morton als trendige neue TV-Königin („The Serpent Queen“), Tilda Swinton als Mutter eines Mörders und das US-Remake eines österreichischen Horrorfilms – wieder mit Naomi Watts.

Pardon an all jene, die um die kürzlich verstorbene britische Monarchin trauern, aber es gibt im Moment keinen Mangel an TV-Königinnen, wenn man sich eine Reihe historischer Dramen wie The Crown (Netflix), The Great (Canal+), Anne Boleyn (Canal+) und Becoming Elizabeth (Starz bei Prime Video) ansieht. Wir laufen sicher nicht Gefahr zu vergessen, wie eng diese Korsette für eine Frau sein können (siehe auch Marie Kreutzers Sisi-Film Corsage, vereinzelt noch im Kino, hier unsere Besprechung). Das ist fast alles ziemlich revisionistisches, intelligentes Zeug mit Frauen, die in die Kamera sprechen und uns zu ihren Komplizen machen.

Nun gesellt sich eine besonders berüchtigte dazu: Caterina de’ Medici, ganz wunderbar gespielt von Liv Hill und Samantha Morton. Die italienische „Krämerstochter“, die als Spross der am meisten verachteten Familie Europas galt, war eine der mächtigsten Frauen des 16. Jahrhunderts. Sie soll die Pariser Bluthochzeit von 1572 angestiftet haben, bei der die gesamte protestantische Hugenottenbevölkerung von Paris ermordet wurde. Die Geschichte hat sie als ziemlich monströse Schurkin dargestellt – die erste Folge hat den sehr bezeichnenden Titel „Medici Bitch“ –, und vielleicht war sie das auch, aber Justin Haythes Serie The Serpent Queen (bei Canal+ und noch kurze Zeit im Starzplay Channel bei Prime Video) spielt mit der Idee, dass sie eine hochintelligente und verletzliche Person war, die die Schwächen des Systems, in dem sie sich wohl oder übel befand, ausnutzte.

Das zeigt sich in jeder Faser von Samantha Mortons großartiger Performance als Serpent Queen und in der jüngeren Caterina, gespielt von Liv Hill, die weiß, wie sie ihren Schwiegervater um den Finger wickelt. Ihre Geschichte wird in Rückblenden von der Älteren erzählt. Wir sehen ihre schreckliche Kindheit, wie sie permanent gehänselt wird, weil sie „zu dick“ ist; wie sie als „gute Partie“ von ihrem Onkel (Charles Dance), dem Papst, an die Franzosen verkauft wird; und wie ihr Ehemann lieber mit einer Hofdame (Ludivine Sagnier) ins Bett geht, und Caterina de’ Medici dank ihrer Instinkte zur Serpent Queen Frankreichs wird. Wer Vergleiche mag: Es ist eine Mischung aus Yorgos Lanthimos‘ The Favourite, The Great und Becoming Elizabeth. Also durchaus auch humorvoll.

Eine andere Art von Monsterfilm und ein anderes Kaliber: We Need to Talk About Kevin (2011) beschäftigt sich auf imposante Weise damit, warum wir die Dinge tun, die wir tun (Apple TV+, angekündigt auch auf Mubi). Es gibt nicht viele Filme, die sich in meiner Hirnrinde festsetzen, aber das transgressive Drama der schottischen Filmemacherin Lynne Ramsay hat es geschafft.

Das Monster ist der Knabe im Titel. Als Teenager wird er brillant von dem gut aussehenden Ezra Miller gespielt. Um nicht zu spoilern, lassen wir Kevins Missetaten hier außen vor. Es genügt zu sagen, dass er zu Beginn der Geschichte bereits so grausame Dinge begangen hat, dass seine Mutter Eva, gespielt von Tilda Swinton (der Britin ist derzeit ein Special auf MUBI gewidmet), von Schuldgefühlen aufgefressen wird. Swinton spielt Eva als hageren Zombie; halb wach, halb im blutroten Traum schlurft sie durch ein Leben, das so farblos geworden ist wie das winzige Vorstadthaus, in dem sie lebt. Sie ist, wie diejenigen, die ihr Haus mit Tomaten verunstalten, zum Glauben an ihre eigene Schuld gekommen, abwechselnd Mutter und Bösewicht.

Lynne Ramsay erzählt die Geschichte nicht chronologisch und springt hin und her in der Zeit, aber aus gutem Grund. Die Geschichte dreht sich weniger darum, was passiert – das wissen wir von Anfang an. Es geht vielmehr darum, ob es möglich ist, zu verstehen, warum es passiert. In der alten Debatte zwischen Natur versus Erziehung ist die Filmemacherin eine Verfechterin der ersteren. Es ist ein wirklich guter und im besten Sinne schrecklicher Film.

Eine weitere Mutter-Monster-Kind-Konstellation: Goodnight Mommy, das US-Remake von Ich seh, Ich seh (2014) von Veronika Franz und Severin Fiala. Die amerikanische Version (flat auf Prime Video) erreicht nicht den Siedepunkt ihres Vorgängers (z.B. im Kino VOD Club), aber die Handlung ist im Grunde die gleiche. Die Zwillingsjungen Elias und Lukas, jetzt gespielt von Cameron und Nicholas Crovetti aus Big Little Lies, kommen in das Landhaus ihrer Mutter, gespielt von Naomi Watts. Die Frau ist vermummt und sieht aus wie Édith Scob in Georges Franjus 1960er Horrorklassiker Augen ohne Gesicht. Mama hat sich einem „kleinen Eingriff unterzogen“, sagt sie. Aber mit dieser Frau stimmt etwas nicht. Sie ist launisch, weigert sich, die Buben in den Schlaf zu singen und stellt strenge Hausregeln auf. Bald breitet sich die Angst aus, dass diese Frau gar nicht ihre echte Mutter ist und die Dinge eskalieren.

Es mag ein Klischee der Filmkritik sein, aber amerikanische Remakes übertreffen nur selten ihr Original und sind oft nicht viel mehr als Werbung dafür. Sie werden oft nur aus einem Grund gemacht: weil die allermeisten Amerikaner ihre Filme gern ohne Untertitel sehen.

Die neue Version stammt von Matt Sobel, Regisseur des Indie-Dramas Take Me to the River (2015), und Kyle Warren, der an einer Lethal Weapon-Serie mitgeschrieben hat, die niemand gebraucht hat. Die beiden verschieben den Ton weg vom Horror hin zu psychologischem Drama und enttäuschen damit. Das Remake hat ein paar grausige Momente, darunter einer, in dem die Mutter als ein schwarzes Monster erscheint, das einen menschlichen Anzug trägt, aber das war’s auch schon. Das Original war voller kriechender Angst und kindlicher Grausamkeit. Die Amerikaner scheinen hingegen an die inhärente Unschuld von Kindern zu glauben.

Fußnote: Mit Goodnight Mommy spielt Naomi Watts schon zum zweiten Mal in einem Hollywood-Remake eines österreichischen (Horror-)Films mit. Der erste war Funny Games, den Michael Haneke 2007 Schuss für Schuss neu gedreht hat (ein aus heutiger Sicht etwas frech wirkender Aufsatz darüber ist hier archiviert). Nichts gegen Naomi Watts, sie macht ihre Sache gut, aber Susanne Wuest wird schmerzlich vermisst. Lieber nochmal den Film von Franz und Fiala ansehen.

Wir vergessen auch nicht darauf hinzuweisen, dass MUBI eines der Meisterwerke des verstorbenen Jean-Luc Godard zeigt: Masculin Féminin (1966) ist eine provokative und wahnsinnig lustige Erforschung der Sexualpolitik in Paris während des Vietnamkriegs, eingebettet in eine Liebesgeschichte. Godard war einer der Größten. Er möge in kreativem Unfrieden ruhen.

Und zu guter Letzt, darüber haben wir nämlich schon geschrieben, noch zwei Hinweise: Irma Vep, eine Meta-Serie als Adaption eines Meta-Films, gibt es jetzt auch in synchronisierter Fassung (bei Sky); und Zhang Yimous jüngstes Epos Eine Sekunde ist nun im Stream verfügbar, wiederum beim verdienstvollen Anbieter MUBI.