Killerkomplott

Streaming-Tipp-Special: Serial Killers

Ruskin, Boston Strangler
Boston Strangler, 2023, Matt Ruskin

„Boston Strangler“ (ab heute auf Disney+): Anlass genug, ein serienmörderisches Streaming-Bündel zu erstellen.

Den offiziellen Begriff des Serienmörders gibt es erst seit den 1970er Jahren, aber das Konzept ist fast so alt wie das Medium Film. Gehen wir den Weg zurück zu Robert Wienes Meisterwerk Das Cabinet des Dr. Caligari aus dem Jahr 1920 (verfügbar bei LaCinetek) und wir haben im Grunde eine Serienmördergeschichte – eine, in der die Morde von einem Schlafwandler, der von einem verrückten Professor hypnotisiert wird, ausgeführt werden.

Angesichts der ungezügelten Popularität von „True Crime“ und echten Mördern in der US-Kultur (speziell seit Truman Capotes „In Cold Blood“ und dessen meisterhafter Adaption 1967 durch Richard Brooks) ist es keine Überraschung: Die Geschichte des sogenannten „Boston Strangler“ wurde schon wieder einmal verfilmt. Die bekannteste Spielfilmversion The Boston Strangler inszenierte Richard Fleischer 1968 mit Hollywood-Star Tony Curtis, der damals gegen sein Sonnyboy-Image ankämpfte. Nur wenige Jahre nach der notorischen Mordserie an mindestens dreizehn alleinstehenden Frauen in der Gegend von Boston veröffentlicht, sind die einzigen bemerkenswerten Rollen für Frauen jene der Leichen.

Der neue Boston Strangler (ohne „the“ im Titel) von Matt Ruskin ist eine blutleere Angelegenheit, aber immerhin sind Frauen hier bei Bewusstsein und dürfen sprechen. Der Fokus liegt entsprechend auf der Geschlechterpolitik des Kriminalfalls und auf den beiden Frauen (gut gespielt von Keira Knightley und Carrie Coon), die erst dafür gesorgt haben, dass die Polizei den Frauenmorden tatsächlich nachging. Ein sehr willkommenes Korrektiv, auch wenn der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Matt Ruskin nicht an die Raffinesse seines augenscheinlichen Vorbilds David Fincher herankommt (Se7en, Zodiac und Mindhunter lassen sich auf Netflix streamen).

Spannung kommt nur selten auf, ebenso selten verdichtet sich die Atmosphäre, augenscheinlich geht es nicht um Nervenkitzel. Ruskins Zeitungsfilm versucht auch nicht, den verschobenen Geist des Mörders zu sezieren. Ähnlich wie das jüngste Journalistendrama über Harvey Weinstein, She Said,  spricht Boston Strangler die Beharrlichkeit von Frauen an, die sich gegen eine misogyne Gesellschaft wehren, in der Gewalt gegen Frauen erst so richtig gedeihen kann.

In den besten Filmen über Serienmörder ging es nie allein darum, transgressive Schocks zu liefern. Die wirklich sehenswerten untersuchen die Rolle, die unsere Gesellschaft bei der Entstehung eines Mörders spielt. Ist in einer kranken Gesellschaft ein Kindermörder wirklich schlimmer als der Lynchmob, der ihn verurteilt? M – Eine Stadt sucht einen Mörder (flat bei Mubi und Prime Video), der erste Tonfilm von Fritz Lang aus dem Jahr 1931, stellte die moralische Autorität der Menschen in Frage, die über Peter Lorres glubschäugigen Mörder zu Gericht saßen. Das hat leider auch Adolf Hitler sehr gut gefallen. Nachdem Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels ihm den größten Job im deutschen Kino angeboten hatte, floh Lang nach Paris und von dort nach Hollywood. M ist das Porträt eines Landes, das kurz vor dem seelischen Bankrott steht.

An der Oberfläche scheint Memories of Murder (ebenfalls flat bei Mubi und Prime Video) von Oscar-Preisträger Bong Joon-Ho eine Geschichte über einen tragikomischen Polizeiermittler (gespielt von seinem Parasite-Schauspieler Song Kang-ho) zu sein, der einen Serienmörder jagt. Großartig genug, aber wenn wir genauer hinschauen, spiegelt die Geschichte die Erinnerungen und das kollektive Trauma einer Nation während Südkoreas Militärdiktatur in den 1980er Jahren wider, wo die Inkompetenz des Autoritarismus den Mörder erst gedeihen ließ. Memories of Murder (2003), der lose auf der realen Geschichte von Südkoreas ersten Serienmorden basiert, ist Bong vom Feinsten und sein bislang vielleicht bester Film, eingehüllt in einen regennassen Neo-Noir-Mantel. Auch in Bongs regennasser Farbpalette und stilisierter Gewalt gibt es Spuren von Zodiac, obwohl Finchers Film erst vier Jahre später erschien. Beide Filme drehen sich nicht so sehr um den Killer als um den Kummer und die Frustration beim Versuch, ein Rätsel zu lösen.

Auch Spike Lees Summer of Sam (1999) ist ein Serienmörderfilm im Stil von Zodiac und verwendet die Morde von Son of Sam als Kulisse, um zu zeigen, wie sich ein kollektives Trauma, Paranoia und Vorurteile auf eine Stadt und ihre Bürger auswirken. Adrien Brody, John Leguizamo, Mira Sorvino u.a. porträtieren Nachbarn in einem italienisch-amerikanischen Teil von Brooklyn Ende der 1970er Jahre, während David Berkowitz New York mit einer 44-Kaliber Pistole terrorisierte. Während sich die Angst ausbreitet und die Hitze steigt, flammen die Spannungen unter den Bewohnern auf, was den Film (flat auf Disney+) auch zu einer inoffiziellen Fortsetzung von Lees Do the Right Thing (1989) macht.

Bekanntlich haben nicht ausschließlich Männer mörderische Absichten. Mit Monster hat Mubi nun eine berüchtigte Serienkillerin neu in seine Videothek aufgenommen. Mit der dafür oscargekrönten Charlize Theron in der Hauptrolle erzählt Petty Jenkins Meisterwerk aus dem Jahr 2003 die finstere Geschichte der Prostituierten Aileen Wuornos, die mindestens sieben ihrer Freier ermordet hatte und die folgenden zwölf Jahre im Schatten der tödlichen Injektionsnadel von Gouverneur Jeb Bush verbrachte. Therons Anverwandlung der Mörderin ist Legende. Sie kroch derart in Wuornos’ Haut, dass nicht einmal Roger Ebert die Schauspielerin in der Rolle erkannte, als er den Film zum ersten Mal sah.