Good Girls? Böse Buben!

Streaming-Tipps KW 8

Sans répit – Ruhelos, 2022, Régis Blondeau

Ein Streifzug durch halbgare Neuerscheinungen dieser Tage, mit versöhnlichem Übergang zu zwei Böse-Buben-Filmen.

An dieser Stelle sollte es ja eher Empfehlungen geben als Warnungen, aber ein wenig Meckern muss diese Woche leider sein: Da möchte der Sofa Surfer gern was Schräges über KI betippen, fängt Bigbug (Netflix) an – immerhin verantwortet von Amélie-Schöpfer Jean-Pierre Jeunet – und bleibt enttäuscht zurück von diesem in Hybridform zwischen bürgerlicher Dystopie, Kolportage und schrulliger Satire gepressten Haushaltsroboteraufstand.

Probieren wir es stattdessen mit vollmundig beworbenen Power-Agentinnen, toll gecastet und angeführt von der ja eigentlich famosen Jessica Chastain (The 355, Sky). Tja, nur finden wir uns hier in spätestens einer halben Stunde in der aufwändigen Umsetzung eines schiefgelaufenen Jane-Bond-Drehbuch-Seminars wieder (kein Wunder, dass dieses zwar feministische, jedoch schlecht rhythmisierte Gewumms ausgerechnet Anfang Jänner ins Kino musste).

„Female Empowerment“ – wenngleich illegales – verspricht auch Queenpins (Prime Video); doch wer sich nicht mit Perücken, Pups-Witzen und der insgesamt halblustigen Verfilmung einer an sich interessanten Online-Gaunerei-Geschichte (mit „Veronica Mars“ Kristen Bell und Kirby Howell-Baptiste) aufhalten möchte, erinnert sich lieber an die immer noch aktuelle no. 1 der Netflix-Charts und skippt die Gutschein-Betrügerinnen. Halbgar und voller Klischees übrigens auch die Trennungskomödie I Want You Back (Prime Video).

Wir sagen Talentverschwendung und surfen weiter, bis wir bei einem dreckigen kleinen Korruptionsthriller namens Sans répit landen (zu deutsch: Ruhelos, Netflix), mit dem der französische Kameramann Régis Blondeau sein spätes Regiedebüt hinlegt. Der Film sieht ein bisschen so aus, als wäre er Luc Besson und Taken-Regisseur Pierre Morel bei einem gemeinsamen Umtrunk mit Martin McDonagh und Quentin Tarantino gerade noch vor dem Fluchtachterl eingefallen: Es geht los mit einem Verkehrsunfall, doch ab Minute drei folgt eine atemlose, slapstickhafte Aneinanderreihung von Spurenvernichtung, Ablenkung, Leichenbeseitigung (und -wiederbeschaffung), ständig läutet das Handy, und der leicht korrupte Polizist und Familienvater Thomas (Franck Gastambide) kriegt zusehends Ohrensausen, während sein schwer korrupter Bosnigel-Kollege von der Drogenfahndung (Simon Abkarian) ihm am Zeug flickt, bis die Fetzen fliegen. Ernst zu nehmen ist dieser Böse-Buben-Film nicht, aber eine gewisse Grundspannung vermag er zu halten und ein paar hübsche Gimmicks und Twists hat er aufzubieten. Dieser Tage wird man bescheiden, was Neuerscheinungen anlangt.

Ganz und gar nicht bescheiden gibt sich das Programm bei Mubi, und das mit vollem Recht: Neben gefühlt allen Arbeiten Agnès Vardas, zeitgenössischen Arthaus-Perlen, sozial relevanten Dokumentarfilmen, jeweils einem „Film des Tages“ oder einer Top-Tausend-Filmliste (ich meine bitte, wo gibt es das sonst?) findet sich auf dieser Plattform, nur zum Beispiel, Sidney Lumets hervorragende letzte Regie-Arbeit Before the Devil Knows You’re Dead (2007; leichter zu merken als der deutsche Dutzendtitel Tödliche Entscheidung). Das ist auch eine Art Böse-Buben-Film, doch viel realitätsnäher und kunstvoller als Sans Répit: Der clevere Andy (Philip Seymour Hoffman war einer der größten seiner Zeit und wird schmerzlich vermisst) und sein nicht ganz so cleverer kleiner Bruder Hank (Ethan Hawke) planen in diesem Oscar-Cast-strotzenden Crime-Drama wegen Finanzproblemen einen Überfall auf das Juweliergeschäft der eigenen Eltern – die Versicherung wird ja wohl den Schaden wieder gut machen –, und der geht selbstverständlich schief. Aber wie er schiefgeht und wie die Brüder den Bach runtergehen, und was einem Before the Devil Knows You’re Dead über das System Familie und „vererbte Schwächen“ erzählt, das sollte man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben (flat auf Mubi oder Prime Video).

Mit dem Texas Chainsaw Massacre und dessen Phänomenologie über die Jahrzehnte (bis zur Neuauflage auf Netflix) hat Kollege Moldenhauer sich ausführlich beschäftigt. Für Magazinjournalistinnen und Adoranten des Kinos von Wes Anderson sei zum Schluss darauf hingewiesen, dass der fabelhafte The French Dispatch nunmehr flat auf Disney+ verfügbar ist, wo zu diesem Anlass auch Andersons superber Fantastic Mr. Fox (2009) sein Unwesen treibt, bevor er endgültig unser aller Herzen erobert. Denn, damit keine Missverständnisse aufkommen: Zu dürftigem aktuellem Angebot gibt es stets historische Alternativen, sprich: Nachholmöglichkeiten auf den Plattformen.

Doch mehr davon, und mehr zu Mubi, ein andermal.