Die letzte gute Zeit

Zum Auftakt unserer neuen Kolumne: New Hollywood im ÖFM

Ashby, Shampoo
Shampoo, 1975, Hal Ashby

New Hollywood: Amerika als zerlöcherter Oldtimer und als notgeiler Friseursalon. Das Österreichische Filmmuseum hat von 4. Mai bis 28. Juni den Umbruch Hollywoods während der 1960er und 1970er im Programm.

Während andere in den frühen Tagen der Pandemie Brot gebacken haben, habe ich einen New-Hollywood-Film nach dem anderen geschaut. Nicht ganz so produktiv, aber ich bereue nichts!

Das „neue amerikanische Kino“ der späten 1960er und 1970er bietet eine filmische Welt voller harter Entscheidungen, komplexer zwischenmenschlicher Beziehungen, kompromittierter Held:innen und ungewisser Ausgänge (also eigentlich sehr passend für die Pandemie-Ära). Einige dieser Filme waren so einflussreich (siehe Taxi Driver, The Graduate oder Night of the Living Dead), dass sie sich bis heute tief in unser Populärgehirn eingebrannt haben.

Der Titel dieser Kolumne deutet etwas weinerlich an, dass wir die großen Tage des US-amerikanischen Kinos hinter uns haben. „The Last Good Time We Ever Had“ heißt ein Text des australischen Filmkritikers Noel King in einem Buch mit dem noch kulturpessimistischeren Titel „The Last Great American Picture Show“ – eine Sammlung sehr schöner Essays, die für die 1995er Filmschau des Österreichischen Filmmuseums im Rahmen der damaligen Viennale publiziert wurden.

Scorsese, Taxi Driver
Taxi Driver, 1976, Martin Scorsese

Ich bin kein Fan von Nostalgie, aber Hollywood ist faul geworden. Die American New Wave dagegen war ein Jahrzehnt, in dem eine Reihe außergewöhnlicher Faktoren für das amerikanische Publikum zusammenkamen und das eine neue Art von couragiertem (und auch kommerziell erfolgreichem) Film hervorbrachte. Geprägt war er von sozialen Einflüssen und dem politischen Kontext der Zeit: Bürgerrechtsbewegung, Vietnamkrieg, sexuelle Revolution, Frauenbewegung, wirtschaftliche Not, städtischer Verfall und, sich abzeichnend, die Shakespeare-Saga der Nixon-Präsidentschaft.

Mitte der 1960er Jahre brach die über 30 Jahre währende Zensur in Hollywood zusammen. „1966 gab es in Blow Up einen Blick auf Schamhaare“, schreibt der amerikanische Kritiker David Thomson. Endlich! „Zur Zeit von Midnight Cowboy und Easy Rider gab es Nacktheit im großen Stil, unmissverständliche Beweise für Ficken, Orgien, Drogen und schmutzige Sprache. (…) Innerhalb weniger Jahre konnte eine ganze Reihe bis dahin verbotener Verhaltensweisen beobachtet und genossen werden.“ 

Umso schöner ist es, dass das Österreichische Filmmuseum ab 4. Mai eine kleine, aber feine Auswahl dieser Filme aus der eigenen Sammlung zeigt. Den Auftakt macht natürlich jener Film, der allgemein als Startschuss der New Hollywood Ära gilt: Bonnie and Clyde (1967). Mit Anleihen von Avantgarde-Filmen wie À bout de souffle und Jules et Jim verpackte Arthur Penn (zunächst war die Regie Jean-Luc Godard und François Truffaut angeboten worden) die French New Wave für das Publikum in den Staaten neu. Penns Film mit Warren Beatty und Faye Dunaway als titelgebendes Paar ist ein von Kugeln durchlöcherter Ford Oldtimer, der durch die Türen des damaligen Studiosystems krachte. Das ikonische Ende des Oscar-prämierten Action-Krimis darf auch heute noch als eine der blutigsten Szenen der Filmgeschichte gelten.

Während sie an Bonnie and Clyde arbeiteten, beauftragte Beatty den großen Drehbuchautor Robert Towne angeblich damit, den ersten Entwurf von Shampoo zu schreiben. Doch der Autor hatte eine Schreibblockade und so setzte Beatty sich selbst daran. Nach fast acht Jahren des Umschreibens einigten die beiden sich auf jene Version, die dann im Jahr 1975 unter der Regie von Hal Ashby ins Kino kam. Beatty spielte die Hauptrolle, einen Friseur aus Beverly Hills, der mit den meisten seiner Kundinnen im Bett landet. Um Beattys Boulevardimage zu nutzen, wurden zwei seiner Ex-Freundinnen, Julie Christie und Goldie Hawn, als seine Flammen in Shampoo gecastet. Es hat dem Film (der auch Teil des ÖFM-Programms ist) sicher nicht geschadet, dass eine Dialogzeile von Christie war: „I wanna suck his dick!“ Rückblickend jedoch hat die Sex-Farce, die am Abend vor den Präsidentschaftswahlen 1968 spielt, ein größeres und dauerhafteres Stück politischer US-Geschichte eingefangen. Zur Zeit der Premiere von Shampoo konnte man das Todesröcheln des amerikanischen Konservatismus hören.

Ein anderer Titel im Programm, The Last Detail (1973), wird gern als die Krone von Hal Ashbys Schöpfungen angesehen: eine faszinierende und lustige Satire, die sich auf ein paar Marineoffiziere konzentriert (einer davon gespielt von Jack Nicholson), die den Auftrag haben, einen jungen Rekruten ins Militärgefängnis zu bringen. Es ist einer dieser wunderschönen Filme, die zum Lachen bringen, nur um mit einem Schlag in den Bauch zu folgen. Einziges Manko: The Last Detail ist Ashbys einziger Film aus dieser Zeit, der keine prominente Frauenrolle aufweist.

Ashby, Nicholson, The Last Detail
The Last Detail, 1973, Hal Ashby

Was zu meinem abschließenden Punkt führt. Das New-Hollywood-Kino, so großartig es war, war auch ein Sausage-Fest: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, John Huston, Monte Hellman, John Cassavetes, Steven Spielberg, Mike Nichols, George A. Romero, Sam Peckinpah und so weiter. Umso willkommener ist es da, dass auch Wanda (1970) von und mit Barbara Loden ein Teil des Programms ist. Weil das körnige Roadmovie von einer Hausfrau handelt, die zur Komplizin eines Gauners wird, musste Loden viele Vergleiche mit Bonnie and Clyde über sich ergehen lassen, aber die Filme könnten unterschiedlicher nicht sein. Zu sagen, dass Wanda den Krimi entromantisiert, wäre noch eine Untertreibung. Ihre lässige Antwort in einem Interview: „Ich habe das Drehbuch ungefähr zehn Jahre, bevor Arthur Penn Bonnie and Clyde gedreht hat, geschrieben. (…) Wanda ist anti-Bonnie and Clyde.“