Kim’s Video, Part II

Eine legendäre Filmkollektion ist zurück in New York City. Wie kann eine Videothek 2022 aussehen?

Kim’s Video 2, Beitragsbild
Once Upon a Time in the West, 1968, Sergio Leone

Wenn der gegenwärtige Moment zu viel wird, wenn die Zukunft besonders verschwommen erscheint, bietet Nostalgie eine sentimentale Zuflucht. Sie scheint jede Generation auf ihre eigene Weise heimzusuchen. Diese irrationale Sehnsucht, den Lauf der Zeit anzuhalten und umzukehren, etwas von der eigenen Jugend zurückzugewinnen, sich an Dinge zu klammern: Was ist es anderes, als dem sterbenden Licht zu trotzen? Über den Rücken einer VHS-Kassette zu streichen, oder die gelben Seiten eines Buches zu berühren.

In Lower Manhattan hat jetzt ein Videoverleih aufgemacht. Aber es ist nicht irgendein Verleih. Nach einer langen und äußerst seltsamen Reise vom East Village in ein staubiges Lagerhaus in Sizilien, ist der skurrile Kult-Videoverleih Kim’s Video nach New York City zurückgekehrt. Im Alamo Drafthouse, ein Kino nur wenige Blocks von der New Yorker Börse entfernt, scheint die Ankunft der legendären Filmkollektion, die zwölf Jahre lang als verloren galt, wie eine Art antikapitalistisches Archivwunder und ein letzter Herzensschrei der Millenials.

Der Laden bietet etwa 20.000 VHS-Kassetten und DVDs gratis (!) zum Verleih an. Sie stammen aus einer 55.000 Stück starken Sammlung, die nach der Schließung des Flagship-Stores von Kim’s Video im Jahr 2009 am St. Marks Place in Kartons verpackt und ausgerechnet nach Sizilien verschifft wurden. Im Spätsommer vergangenen Jahres überquerten ungefähr 550 Kisten dann den Atlantik wieder retour.

Ein kostenfreier Filmverleih scheint mir kein großartiges Geschäftsmodell zu sein, aber „Kim’s Underground“, wie es jetzt heißt, ist Teil einer Strategie, Alamos Kinos in Treffpunkte für Cinephile zu verwandeln, die sich nach mehr physischen Erlebnissen sehnen als es Streamer anbieten können. Für New Yorker Kultfilmfans ist die Wiederauferstehung von Kim’s Video ein Geschenk. Es ist vollgepackt mit wilden Titeln wie Apocalypse Pooh und Soccer Dog: The Movie. (Bei Kim’s war guter Geschmack zum Glück sehr relativ).

Aber „was ist eine Videothek im Jahr 2022?“ fragte die New York Times. „Jetzt, wo sich Kinobesuche in Streaming-Kriege mit Tausenden von Filmen auf Knopfdruck verwandelt haben, was kann eine Videothek im Jahr 2022 überhaupt bedeuten? Wer würde seine Couch verlassen, um in ein Geschäft zu gehen, um durch physische Objekte zu stöbern, ganz zu schweigen von einer Reise zurück, um sie zurückzugeben? Wer hat überhaupt einen Videorecorder?“

Man kann sich im Laden auch Recorder ausleihen, aber die Frage ist berechtigt. Die Saga von Kim’s Video soll den „Ruhm“ analoger Tage zurückbringen, aber welchen Ruhm, frage ich mich? Ich habe ein gutes Vermögen in ranzigen Videotheken liegen lassen. An einem Freitagabend waren sie voll mit Leuten, die „Neuerscheinungen“ durchstöberten, die dann meistens vergriffen waren. Heute sehe ich mir meinen Lieblingsfilm an, wann immer ich will. Ich muss dafür nicht Schlange stehen und auch keine Gebühren zahlen, weil ich ihn zu spät retour bringe (was ich fast immer getan habe). Abgesehen davon, dass der Kampf um Kosten und Komfort verloren ist, kann ich nicht genug betonen, wie viel physischer Platz zum Aufbewahren von Schallplatten, CDs, DVDs und Büchern erforderlich ist.

Trotzdem fühlt sich die Digitalisierung der Kultur für viele von uns wie ein Verlust an. Haptische Medien geben uns eine Pause vom endlosen Scrollen und vom Glühen des Bildschirms. Meine iTunes-Mediathek gehört nicht mir. Apple wurde verklagt, weil der Tech-Riese Menschen, die Musik bei iTunes gekauft haben, in die Irre geführt habe, dass ihr Kauf auf unbestimmte Zeit gilt. Wenn Apples Lizenzen für seine Inhalte ablaufen, läuft auch meine Lizenz ab. Aber wenn ich einen Film oder eine Serie auf DVD oder Blu-ray kaufe, kann sie mir niemand wegnehmen.

Die Wiederbelebung von Kassetten und Schallplatten zeigt auch, dass die Menschen noch nicht bereit sind, die analoge Welt aufzugeben. Man kann es berühren. Man kann es riechen. Es ist echt. Und diese Dinge haben oft eigene Geschichten. Ich schlage nicht vor, iTunes zu boykottieren oder Netflix zu kündigen. Ich habe Abos für beide. Aber hier ist der Punkt: Ich mag zwar einige Alben auf iTunes „besitzen“ und Zugriff auf Serien und Filme haben, aber ich habe nichts Einzigartiges, wie beispielsweise eine VHS-Kassette im Besitz meiner Familie, auf der Masters of the Universe, The Naked Gun und The Terminator wild zu einem liebenswerten Frankenstein-artigen Monster übereinander geschnitten wurden; oder eine Kompaktkassette aus einem Italien-Urlaub, mit einem Song von Roxette, der mitten drin zu Nana Mouskouris „Weiße Rosen aus Athen“ wird; oder die gekritzelte Widmung einer alten Liebe auf der Innenseite eines Romans.

Und obwohl wir unsere Dinge nicht mitnehmen können, wenn wir sterben, denke ich, dass die Weitergabe eines Online-Accounts oder einer Reihe digitaler Eigentumsrechte von einer Generation an die nächste im Vergleich dazu verblasst, den Lieblingsfilm meiner Mutter, Spiel mir das Lied vom Tod, auf VHS-Kassette vererbt zu bekommen.