Ich selbst war nie bei Kim’s Video. Das war „vor meiner Zeit“, aber ich würde so ziemlich alles dafür geben. Ich habe viele verrückte Geschichten gelesen und gehört: vom Pilzbefall im „Pee Wee Room“, einem höhlenartigen Untergeschoss, wo sich die Porno-Abteilung befand; von zwei Kunden, die sich wegen der letzten Leihgabe von Battle Royale fast prügelten; von einem Manager, der Mary-Kate Olsen 650 Dollar verrechnete, weil sie die Filme von Jane Campion nicht zurückgebracht hatte.
Und dann war da noch ein Keller, ein feuchter, schimmeliger Raum. Irgendwann hatte der Besitzer, Mr. Kim, die bizarre Idee, diesen Keller in einen Kerker zu verwandeln, mit Sofas und Fernsehern, sodass die Leute „wie im Gefängnis“ Filme schauen konnten. So zumindest erzählen es ehemalige Mitarbeiter.
Kim’s Video eröffnete 1987 im East Village-Waschsalon des südkoreanischen Einwanderers Yongman Kim in der Avenue A. Zunächst verlieh Kim VHS-Kassetten aus Pappkartons und Wäschekörben per zwielichtigem Nebenerwerb, doch über die Jahre wurde der Laden zu einer legendären Institution in New York City. Es war ein Zufluchtstort für Cinephile, mit einem mehrstöckigen Flagship-Store in einem ehemaligen Badehaus am St. Mark’s Place, und seine Angestellten waren noch unfreundlicher als notorische Wiener Kaffeehauskellner; aus Jux empfahl man zum Beispiel Schwangeren Rosemary’s Baby oder schaute Filme im Geschäft, nur damit sie keiner ausleihen konnte. Einer Legende zufolge spazierte einmal Quentin Tarantino in den Laden, um Mark Rappaports experimentellen Dokumentarfilm From the Journals of Jean Seberg auszuleihen. Nur konnte er sich nicht an seine Mitgliedsnummer erinnern. Bei Kim’s ein schwerer Fehler – der Pulp-Fiction-Oscar-Gewinner verließ den Laden ohne VHS.
Manche sagen, die Angestellten seien „hochmütig“ und „feindselig“ gewesen, besonders wenn Kunden nach Mainstream-Filmen suchten. „Es war ein Initiationsritus, dort hineinzugehen, einen Film auszuleihen und von einem verächtlichen Angestellten beschimpft zu werden“, erinnerte sich ein ehemaliger Mitarbeiter. Viele dieser Kim-Regulars landeten später in der Filmbranche. Einmal musste Kim einen Verleih-Manager feuern, weil der auf dem Tresen eingeschlafen war. Es war der spätere Regisseur Todd Phillips, dem wir u.a. Old School, die Hangover-Filme und Joker zu verdanken haben.
Ein kleines, bedeutendes Kino in der Lower East Side, das Metrograph, ehrt dieser Tage Kims „esoterischen Eklektizismus“ mit einer Serie, die aus Filmauswahlen und Einführungen einer Reihe ehemaliger Mitarbeiter besteht, die zu besseren Dingen übergegangen sind. Auftritt Mr. Kim inklusive. Rainer Werner Fassbinders zehnter Spielfilm Warnung vor einer heiligen Hure ist darunter und Dušan Makavejevs W.R. – Misterije organizma.
Kim’s hatte eine verblüffende Auswahl obskurer Filme, darunter türkische Remakes von Hollywood-Blockbustern, europäische Arthouse-Filme und eine nicht unerkleckliche Sammlung an Pornos. Es war der erste Laden außerhalb von Chinatown, der Hongkong-Filme verlieh, gerade als die einen Boom erlebten. Sicher, er hatte auch aktuelle Hollywood-Filme, aber die Mehrheit von Kims Kunden würde auf die Veröffentlichung des neuen Films von Werner Herzog warten. Winona Ryder schaute oft mit Dave Pirner vorbei, als sie zusammen waren. Ethan Hawke, MCA von den Beastie Boys oder Chloë Sevigny waren Stammgäste. Larry Clark besuchte den Laden mit der Besetzung von Kids.
Bis 2008 war die Sammlung auf 55.000 Titel herangewachsen, von denen viele nirgendwo anders als in einem von Kims Läden zu finden waren. Dann änderte sich die Welt. „Ich bin der Verlierer“, sagte Kim der New York Times. „Netflix ist der Gewinner.“
Nach der Schließung seines letzten verbliebenen Ladens im Jahr 2014 verschwand Kim’s Video im Nebel der Legende. Er versprach, die komplette Sammlung dem zu übergeben, der drei Bedingungen erfüllen konnte: Die Sammlung intakt halten, sie weiter aktualisieren und sie Kims Mitgliedern und anderen zugänglich machen. Nach einigen geplatzten Verhandlungen ging die Kultsammlung schließlich nach Salemi, eine kleine sizilianische Bergstadt in Italien. Dort soll sie angeblich in die Hände der Mafia gefallen sein. Ein investigativer Village-Voice-Artikel mit dem Titel „The Strange Fate of Kim’s Video“, der sich wie ein Krimi liest, berichtete, dass die Sammlung, obwohl sie intakt schien, nach ihrer Ankunft in Salemi im Wesentlichen weggepackt worden war. Es war das letzte Mal, dass sie gesehen wurde…