Das letzte Tabu

Während ein Schwangerschaftsabbruch auf dem Bildschirm kaum noch tabuisiert wird, werden reproduktive Frauenrechte in den USA immer surrealer.

Offred pregnant
The Handmaid‘s Tale, 2017–, Bruce Miller

Dirty Dancing aus dem Jahr 1987 ist die ultimative Sommerromanze. Mit Jennifer Grey als Baby und Patrick Swayze als Johnny hat sie Hit-Songs, Filmzitate und katastrophale Hochzeitstänze hervorgebracht. Aber die meisten von uns vergessen oft, worum es in diesem Film wesentlich ging: einen Schwangerschaftsabbruch. Baby lernt tanzen, damit Penny (gespielt von Cynthia Rhodes) einen illegalen Abbruch machen lassen kann. Der Film spielt im Sommer 1963. Der Abbruch einer Schwangerschaft wurde in den USA erst ein Jahrzehnt später entkriminalisiert, als der Oberste Gerichtshof die Entscheidung im Fall Roe v. Wade traf.

In einem Interview zum 30. Jahrestag von Dirty Dancing sagte Eleanor Bergstein, die Drehbuchautorin und Ko-Produzentin des Films, dass man von ihr damals wollte, dass sie die Abbruchsszene rausschneidet, aber sie hielt es für wichtig. „Als ich 1987 den Film drehte, fügte ich die illegale Abtreibung ein und alle sagten: ‚Warum? Wir haben Roe v. Wade – wofür machst du das denn?‘“, erzählt sie. „Ich sagte: ‚Nun, ich weiß nicht, ob wir immer Roe v. Wade haben werden.‘“ True that.

Jetzt, da ein schändlicher Entwurf zur Aufhebung von Roe v. Wade durchgesickert ist, liegt das verfassungsmäßige Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch auf dem Hackklotz und die Amerikaner:innen könnten wieder zu diesem Sommer 1963 zurückkehren. „Also herzlichen Glückwunsch, meine Damen“, kommentierte es Steven Colbert in seiner Late-Show, „Entscheidungen darüber, was man mit seinem Körper machen kann, werden jetzt von vier alten Typen und einer Frau getroffen, die The Handmaid’s Tale für eine romantische Komödie hält!“

In der US-Serie The Handmaid’s Tale werden Frauen ihrer Rechte beraubt, unterworfen, vergewaltigt und nach ihrer Fruchtbarkeit eingestuft. Die roten Roben der versklavten Mägde sind längst zum Symbol für den Widerstand geworden, etwa als Frauen in Alabama für das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch eintraten. Die 2. Staffel landete mitten in der #MeToo-Ära, zum Teil als Reaktion auf einen Präsidenten, der sich öffentlich sexueller Übergriffe rühmte.

Die Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 war ein Wendepunkt, erzählte mir im vorigen Jahr Gretchen Sisson, die den Schwangerschaftsabbruch im US-Film und -Fernsehen untersucht. Das war im Rahmen eines Podcasts, an dem wir beide teilgenommen haben. In der vergangenen Dekade hat sich vor allem die TV-Landschaft verändert, nicht zuletzt wegen der Megaproduzentin Shonda Rhimes, die Abbrüche ohne viel Aufhebens in Mainstream-Serien wie Scandal und Grey’s Anatomy miteinwebt. Sogar in der 1. Season von Bridgerton sehen wir einen – missglückten – Abbruch. Eine Autorin vom Guardian nannte es das „letzte Tabu im Fernsehen“.

Film und Fernsehen haben unser kollektives Verständnis des Schwangerschaftsabbruchs geprägt. Für viele Millennials in meinem Alter war Dirty Dancing wohl eine der ersten Darstellungen, der wir begegneten. Seitdem, und lange davor, haben Filme das Thema auf unzählige Arten behandelt. Wenn wir uns die 1990er und Nullerjahre ansehen, gab es viele solcher Geschichten, etwa über eine Frau, die einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht zieht, aber eine Fehlgeburt hat, oder über eine, die einen Abbruch erwägt und im letzten Moment einen Sinneswandel hat (in Sex and the City oder Juno zum Beispiel). Es gab oft Gespräche über Abbrüche, aber nicht viele durchgeführte. Später sahen wir mehr davon, aber es ging zumeist um Frauen, die traumatisiert wurden oder an den Konsequenzen starben (Revolutionary Road). In Europa geht es auch anders, zuletzt überzeugte mit Das Ereignis ein berührender französischer Film, der auch als wirkmächtige Mahnung vor einem gesellschaftlichen Rücktritt gesehen werden kann.

Natürlich ist es ein heikles Thema, zu dem die meisten Menschen eine ziemlich starke Meinung haben. Und abgesehen von diesem Problem ist es besonders schwierig, eine Komödie zu machen, weil ein Schwangerschaftsabbruch eben nicht lustig ist. Überlassen wir es Regisseur Alexander Payne, einen brillanten Weg zu finden, was er in der Satire Citizen Ruth im Jahr 1996 tat. In Paynes Spielfilmdebüt spielte Laura Dern eine klebstoffschnüffelnde Süchtige aus Nebraska, die schwanger wird und unfreiwillig zu einer Spielfigur in Amerikas Politik wird. Aber erst im abgelaufenen Jahrzehnt haben sich die Dinge wirklich weg von klassischen Tropen verschoben, mit Rom-Coms wie Obvious Child (2014), der Kumpel-Komödie Unpregnant (2020), und natürlich dem zutiefst großartigen Drama Never Rarely Sometimes Always (2020). Weg von moralisierenden Geschichten und falschen Mythen, hin zu mehr Authentizität und ja, auch Humor.

Abbruchsgegner in den USA haben ihre eigene, oft abstoßende Filmkollektion, nicht selten in Verbindung mit den Republikanern. Der Propagandafilm Unplanned, geschrieben und gedreht von Chuck Konzelman und Cary Solomon, den Drehbuchautoren von God’s Not Dead, wurde unter anderem von Mike Lindell, einem erklärten Unterstützer Donald Trumps, finanziert. Unplanned ist ein lächerlicher Film – er leistet jedoch gekonnte Arbeit, indem er religiöse Frömmigkeit einsetzt, um die zugrunde liegende politische Agenda zu verbergen. Ich erinnere mich noch sehr gut, als der Film 2019 in den USA ins Kino kam. Er wurde zum Skandal, weil er einen 13 Wochen alten Fötus zeigte, der während eines Schwangerschaftsabbruchs vor Schmerzen strampelte – eine  Darstellung, die medizinische Experten für falsch hielten. Die Popularität eines solchen „Glaubenskinos“ erklärt sich durch ein Publikum, das sich von einem „gottlosen“ Hollywood ignoriert, wenn nicht gar verfolgt fühlt. In den USA gibt es einen Streamer namens Pure Flix, eine Art christliches Netflix.

 

Es ist schwierig, Frauen die Angst vor Abbrüchen zu nehmen, wenn Filme die Prozedur als zutiefst gefährlich und amoralisch darstellen. Tatsächlich machten medikamentöse Abbrüche, die selten auf dem Bildschirm zu sehen sind, im Jahr 2020 mehr als die Hälfte aller Abbrüche in den USA aus.

Die Komödie Saint Frances (2019) geht ziemlich unsentimental mit dem medikamentösen Abbruch um. In ähnlicher Weise zeigt der Psychothriller Swallow (2019) einen solchen Schwangerschaftsabbruch, indem die Protagonistin die Pillen in ihren Mund steckt, während sie Fast Food isst. „Die Leute reden immer darüber, dass es, wenn Roe fällt, eine große Gesundheitskrise geben wird“, sagte Gretchen Sisson zu mir, „das wird es auch, aber es ist auch wichtig zu verstehen, dass wir vor Roe an Seitengassen und Kleiderbügel und solche Dinge denken. Post-Roe gibt es keine Kleiderbügel, sondern Pillen, die Sie im Internet kaufen. Und ich halte es für wichtig, wahrheitsgemäße Geschichten zu erzählen.“