Weißes Rauschen

Neu im Kino KW 49 (DE)

schrader, she said
She Said, 2022, Maria Schrader

„She Said“: Neben Weinsteins Fall wurde auch DeLillos Weißes Rauschen fürs Kino adaptiert. Dazu läuft u.a. der neue Film der von uns verehrten Mia Hansen-Løve an.

Die Kinowoche beginnt mit dem Film zur Bewegung, die die von Männern dominierte Kinolandschaft erschüttert hat wie eigentlich keine politische Initiative zuvor. Das Metoo-Movement berührte einen Kern des Produktionszusammenhangs, in dem Filme leider nach wie vor entstehen, trotz aller graduellen Fortschritte: die Ausbeutung weiblicher Körper vor und hinter der Kamera. Überraschenderweise hat nun die deutsche Regisseurin Maria Schrader die Geschichte der Enthüllung der nahezu systematischen Vergewaltigungen durch den Filmproduzenten Harvey Weinstein, welche die Bewegung maßgebend auf Touren brachte, verfilmt. Ihr Film basiert auf dem Buch „She said. Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement“ der New-York-Times-Journalistinnen Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan). She Said reiht sich in eine ehrenwerte Tradition der Filme um heldenhafte Journalisten ein, von Die Unbestechlichen bis Spotlight. Aber She Said traut sich auch, Leerstellen zu lassen, wo der Film es sich einfacher hätte machen können. Harvey Weinstein taucht als Figur nur kurz auf und wird ausschließlich von hinten gefilmt, eine Vergewaltigung ist – fast schon selbstverständlich in diesem Fall – nicht auf der Leinwand zu sehen.

 

She Said schafft Klarheit und weiß, was falsch und was richtig ist: Das Problem ist hier nicht, die Wahrheit zu finden, das Problem ist, sie durchzusetzen. In Noah Baumbachs Don-DeLillo-Verfilmung Weißes Rauschen hingegen ergreift fundamentale Verwirrung die Figuren und wahrscheinlich auch Zuschauerin und Zuschauer. Der Universitätsprofessor Jack Gladney (Adam Driver), der, obwohl des Deutschen nicht mächtig, sehr erfolgreich zu Adolf Hitler forscht, wird von einer unbestimmten Todesangst geplagt, die ihn und seine (vierte) Ehefrau (Greta Gerwig) in die Drogensucht treibt. Was genau das alles soll, man kann es in vielerlei Hinsicht nur ahnen. Klar ist, dass Don DeLillo – oft als neben Thomas Pynchon wichtigster Postmodernist der US-Literatur angesehen – eine recht gründliche Zerlegung des amerikanischen Middle-Class-Menschen der Achtzigerjahre geschrieben hat. Und Noah Baumbach tut es ihm jetzt, fast vierzig Jahre später, mit seinem Netflix-Film White Noise nach.

Mia Hansen-Løve ist spätestens seit Alles was kommt und Eden eine der genauesten filmischen Beobachterinnen von Lebensschicksalen zur Zeit. Mit Bergman Island hat sie zuletzt außerdem eine tiefgreifende Reflexion des Verhältnisses von Film und Leben geschaffen. In ihrem neuen Film An einem schönen Morgen spielt Lea Seydoux eine junge Witwe, die als alleinerziehende Mutter in Paris zwischen Beruf und dem Leben mit Kindern klarkommen muss. Hansen-Løve ist damit zum autobiografisch gefärbten Biografie-Kino zurückgekehrt, das im französischen Bildungsbürgertum spielt, ohne Metaebene und reflexiven Bruch.

Zu An einem schönen Morgen ist das Sequel zum Low-Budget-Überraschungshit Terrifier, Terrifier 2, eine rigorose Antithese, eine fürchterliche Sauerei nämlich. Alles da, minutenlange Gore-Szenen, sorgloser Umgang mit Gewaltinszenierungen, Berichte von Ohnmachtsanfällen und Fluchtimpulsen im Publikum. Läuft in ausgewählten Kinos und scheint tatsächlich noch einmal, auch nach über einem halben Jahrhundert weitgehend entgrenzten Splatterkinos, einen unangenehmen Punkt zu berühren. Nicht psychisch-subtil, sondern ganz direkt und körperlich.

Zur Erholung von Terrifier noch ein filmisches Zeugnis von Freundlichkeit und Menschenliebe. Die Titelheldin von Semir Arslanyüreks und Kazım Öz‘ Film Elif Ana (Aliye Uzunatağan) unterstützt mit selbstverständlicher Güte die Kranken und die Menschen, die in Not sind. Sie droht zu erblinden, und auf der Fahrt ins Krankenhaus nach Ankara zieht ihr Leben an ihr (und an den Augen des Publikums) vorbei. Elif Ana ist ein berührendes, vollkommen unprätentiöses Drama.

Zum Schluss der Kinderfilm der Woche: Michael Krummenachers Verfilmung von Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker Der Räuber Hotzenplotz modernisiert die Geschichte, ohne dass es aufgesetzt wirken würde und reiht sich so in eine Reihe jüngerer Klassiker-Neuverfilmungen ein (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Der junge Häuptling Winnetou). Nichts Umwerfendes, aber für einen Sonntagnachmittagskinobesuch reicht es auf jeden Fall.