Reinfallen

Neu im Kino KW 6

Sin señas particulares, 2020, Fernanda Valadez

Reinfallen mit „Moonfall“ und „Marry Me“, sowie eine berechtigte Frage: „Was geschah mit Bus 670?“. Ein selektiver Überblick.

Während Kenneth Branagh mit Starbesetzung im üppigst ausgestatteten Dampfer über den Nil schippert und in der Rolle des Hercule Poirot ein weiteres Mal der High Society auf die verbrecherische Schliche kommt, fliegt Roland Emmerich zum Mond. Und während Death on the Nile (Tod auf dem Nil) mit einem mörderisch guten Cast unter Ägide des „belgischen Schnüfflers“ im besten Sinne gepflegt – also Lederfauteuil, Zigarre und Cognac-mäßig – ennuiert, ist hingegen, der Kalauer muss erlaubt sein, Moonfall ein Reinfall.

Dabei lässt sich Moonfall recht vielversprechend an: Aus unerfindlichen Gründen verlässt unser treuer Trabant seine Umlaufbahn und droht auf die Erde zu stürzen. Schlimme Sache das. Also machen sich eine Angestellte der NASA, ein in Ungnade gefallener, ehemaliger Astronaut und ein Verschwörungstheoretiker in einem museumsreifen Raumschiff auf den Weg zur Käsekugel, um der Sache auf den Grund zu gehen und das Unheil abzuwenden, eh klar. Natürlich darf mal wieder nichts Entscheidendes verraten werden; nur soviel, dass einem alles, was im Weiteren irgendwie „entscheidend“ sein könnte – ich sag nur „Megastruktur“ und „Weißer Zwerg“ – alsbald schon sehr herzlich egal ist, weil, wie Kollege Mike D’Angelo in seiner Rezension für The A.V. Club völlig richtig konstatiert: „You will actually hear your brain cells commit seppuku as you watch it.“ Nun ist das Genre des Katastrophenfilms eigentlich eines, das Emmerich im Schlaf beherrscht, aber auch noch so große Fertigkeiten im kunstvollen Ausmalen von Desaster und Destruktion – die der Meister aus Schwaben auch hier wieder mit prachtvollem Effekt zum Einsatz bringt – helfen nicht, wenn das Drehbuch nichts taugt. Wenn es, wie im vorliegenden Fall, derart grottenschlecht ist, dass es als abschreckendes Beispiel in Drehbuchkursen unterrichtet werden könnte, nee, sollte. Als Exkursionsziel angehender Autor:innen ergäben sich für den sicher ziemlich teuren Flop solcherart sogar noch Möglichkeiten des Umsatzes. Alle anderen sind hiermit gewarnt.

Der Blick schweift weiter und bleibt an einer interessanten Kombination hängen: Owen Wilsons Nase und J.Lo’s Butt, ein Treffen der Giganten, das unter dem Titel Marry me – Verheiratet auf den ersten Blick von Kat Coiro ins Szene gesetzt wurde, deren Hauptbetätigungsfeld Fernsehserien sind. Natur und Ton des Films erschließen sich unmittelbar daraus, dass er in den USA zum Valentinstag gestartet wird, mithin also von der romantischen Liebe handelt, vom Suchen, Finden, Zweifeln, Verlieren, Wiederfinden – und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Amors Pfeil trifft hier den globalen Mega-Superstar Kat Valdez (Jennifer Lopez), die von ihrem eigentlich anvisierten Bräutigam kurz vor der Hochzeit Hörner aufgesetzt bekommt und daher kurz entschlossen den ihr völlig unbekannten, alleinerziehende Mathelehrer Charlie Gilbert (Owen Wilson) ehelicht, weil der halt grad zufällig dasteht und ein Schild mit der Aufschrift „Marry Me“ (d.i. der Titel ihres derzeitigen Nummer-1-Hits) hochhält. Lopez, die immer engagiert an ihrer street credibility arbeitet, tut dies auch hier und mit Erfolg, denn mit Wilson hat sie einen an der Seite, der ihr nicht nur tatkräftig dabei hilft, sondern die ganze Chose insgesamt erdet. Ja, schon klar, Marry me ist kein Eintrag in die Filmgeschichte; er tut aber auch niemandem weh, noch nicht mal den Gehirnzellen. Und er passt gut zu Sekt, Pralinen und Blingbling.

Zum Ausnüchtern eignet sich sodann das Highlight der Woche, naturgemäß kein Gute-Laune-Film, dafür aber ein guter Film und unbedingt sehenswert. Der deutsche Verleihtitel von Fernanda Valadez‘ vielfach preisgekröntem, beklemmendem Langfilmdebüt Was geschah mit Bus 670? lässt an den Fall der im September 2014 in Iguala entführten/ermordeten/verschwundenen 43 mexikanischen Lehramtsstudenten denken. Der spanische Originaltitel Sin señas particulares meint jedoch in etwa „ohne besondere Kennzeichen“ und eröffnet ein weiteres Bezugsfeld: Es kann jede:n gleichermaßen treffen; jede:r kann Opfer von Erpressung, Menschenhandel, Zwangsrekrutierung (der Drogenkartelle) werden; jede:r kann in einem Sack in einem Kühllastwagen (der Polizei) enden, als anonymer Leichnam, von niemandem beansprucht, „ohne besondere Kennzeichen“. Das Drehbuch zu Sin señas particulares schrieb Valadez gemeinsam mit Astrid Rondero, realisiert wurde das Projekt mit geringem Budget und einem überwiegend aus Frauen bestehenden Team. Erzählt wird die Geschichte der einfachen Händlerin Magdalena, deren noch minderjähriger Sohn Jesús unterwegs zur US-amerikanischen Grenze irgendwo in Mexiko verschwunden ist und die sich nun aufmacht, ihn zu suchen. Aber je weiter Magdalena vordringt in den Norden und in Richtung Grenzgebiet, desto gefährlicher wird es, desto schwieriger gestaltet sich das Vorankommen, desto mehr Misstrauen und Angst bestimmen das Verhalten der Menschen, denen sie begegnet. Doch unbeirrt verfolgt sie ihren Weg, der sie schließlich zu einem alten Indianer führt, der von Teufelswerk spricht. Aber es ist der Mensch, der in Mexiko des Teufels Werk verrichtet – und die Welt sieht dem Grauen seit Jahrzehnten bereits zu.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der notorische Steven Soderbergh nach mehreren Rücktritten aus dem Filmgeschäft wieder einmal mit einem neuen Film am Start ist: Kimi heißt sein aktueller Thriller mit Zoë Kravitz in der agoraphoben Hauptrolle, er könnte aber eigentlich auch „Alexa“ heißen, denn der Name steht für eine total überwachte Gesellschaft der nahen Zukunft.