Realitätskontrolle

Neu im Kino KW 2

Spencer, 2021, Pablo Larraín

Zwei höchst unterschiedliche, ausgezeichnet gespielte und keineswegs bloß „verkörperte“ Frauenfiguren stehen im Zentrum der Kinowoche: in „Pleasure“ bzw. in „Spencer“. Ein selektiver Überblick.

Was hat die Woche zu bieten? Sind bereits die Routinen wieder eingezogen? Oder halten noch die guten Vorsätze das Ruder in der Hand? Wir verbuchen Scream (Scream 5) von Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett (hat schon mal jemand von denen gehört?) – den Reboot eines vergnüglichen Meta-Slashers von Wes Craven aus dem Jahr 1996 (der wiederum einige mehr oder minder entbehrliche Fortsetzungen zeitigte) – unter der Rubrik Guilty Pleasure und verweisen auf die kompetente filmfilter-Kritik.

Égalité heißt der dritte Film von Kida Khodr Ramadan, zugleich der erste der Produktionsfirma Macadamia & Mothermilk, die Ramadan gemeinsam mit seinem Kumpel Frederick Lau gegründet hat. Ramadan erzählt die Geschichte von Familie Aydin, deren Tochter wegen eines ärztlichen Kunstfehlers erblindet. Im Zuge der Bemühungen des Vaters, dem Geschehenen auf den Grund zu gehen, bricht der Familie das Selbstverständnis als Teil der deutschen Gesellschaft zügig weg. Mit einem Male lauert allerorten Diskriminierung – oder ist es Paranoia? Wieviel trägt jede:r einzelne zu dieser Situation der Ungleichheit bei? Aus welchen Gründen? Vor allem aber: Lässt sich das ändern? Ramadan ist ein Filmemacher mit einem großen Herzen und er ist auf einer Mission, er fürchtet weder das Sentiment noch die Botschaft. Seines ist das klare und aufrechte Kino, das gesellschaftlich relevant sein will – und auf dem Weg dorthin sind ihm die inszenatorischen Feinheiten herzlich egal.

Lunana: A Yak in the Classroom, 2019, Pawo Choyning Dorji

Um einiges feinmotorischer geht Pawo Choyning Dorji vor, der in Lunana den Lehrer Ugyen in den Mittelpunkt stellt, der an die entlegenste Schule Bhutans im titelgebenden Dorf strafversetzt wird. Dort, mangels Strom nicht mehr abgelenkt von den Errungenschaften des digitalen Zeitalters, setzt bei dem jungen Mann ein Nachdenken ein. Doch für ein simples Zurück-zur-Natur-Happy-End ist der am Originalschauplatz mit Laien gedrehte Film zu klug. Weder ist in Lunana alles eitel Sonnenschein und gute Laune, noch ist das großstädtische Getriebe, aus dem der junge Mann kommt und in das er dringend wieder zurückkehren will, ein Auswurf der Hölle. Und die Rückbesinnung auf tradierte Werte ist auch nicht automatisch gekoppelt an die Erfüllung individueller Sehnsüchte. Solcherart macht Dorji die Widersprüchlichkeit seiner Gegenwart sichtbar, in der sowohl das Glück in der Gemeinschaft, die Zugehörigkeit, als auch das Glück des Einzelnen, die Selbstverwirklichung, hohe Werte darstellen. Zwischen beiden vermittelt Lunana, indem er im Inneren seiner Figur einen Begriff von Heimat keimen und wachsen lässt, den diese nun immer mit sich trägt. Man kann das auch eine Versöhnung nennen.

Pleasure, 2021, Ninja Thyberg

Wovon in Ninja Thybergs Spielfilmdebüt Pleasure keine Rede sein kann, denn im Dienste der Wahrheit geht es hier explizit und unzimperlich zur Sache. Und die Wahrheit ist, dass das Geschäft der Herstellung von Pornografie mit der Lust, die diese beim Konsumenten erzeugen soll, wenig zu schaffen hat. Dass es sich um ein milliardenschweres, beinhartes Business handelt, in dem Physis verbraucht und Psyche beschädigt wird. Dass Porno eben nicht leicht verdientes Geld bedeutet für Menschen, die gerne Sex haben, und dass er erst recht keinen Freiraum eröffnet, in dem eine Frau ihre Sexualität entfalten könnte. Das sind nicht eben neue Erkenntnisse, allerdings werden sie von Thyberg und ihrem sich selbst nicht schonenden Darsteller:innen-Ensemble – darunter zahlreiche Protagonist:innen der kalifornischen Adult-Entertainment-Szene – auf ungewöhnliche Weise zusammengetragen: aus durchweg weiblicher Perspektive nämlich und ohne sich auch nur ein einziges Mal in den Fallstricken des Moralischen zu verheddern. Die Lust am Sex, die dem Pornografischen zugrunde liegt, stellt Thyberg nicht in Frage. Sie prangert vielmehr den verlogenen Umgang damit an sowie die mit dem Internet-Porno-Boom unstrittige Zunahme an demütigenden Darstellungen von und Gewalt an Frauen – in einem ohnehin männerdominierten, hierarchisch und machtbewusst organisierten Wirtschaftszweig, dessen Durchlässigkeit zum kriminellen Sektor außer Zweifel steht. Der vielfach erhellende Effekt von Pleasure ist vor allem Sofia Kappel in der Hauptrolle zu danken, die ungerührt durch den Sumpf watet, wie ein Magnet die Widersprüche des Gewerbes anzieht und gelassen zur Eskalation bringt (hier eine ausführliche Analyse).

Spencer, 2021, Pablo Larraín

Apropos herausragende Schauspielerei: Nach Jackie (2016) lässt Pablo Larraín mit Spencer einer weiteren ikonisch gewordenen Frauengestalt des 20. Jahrhunderts auf seine Art Gerechtigkeit widerfahren. Und Kristen Stewart in der Titelrolle setzt einen weiteren Glanzpunkt in ihrer an Glanzpunkten ohnehin nicht armen Karriere. Mit der für sie typischen Mischung aus Selbstsicherheit und Verletzlichkeit holt sie Prinzessin Diana, deren Tod 1997 im Vereinigten Königreich eine Massenhysterie auslöste, aus dem Reich der Projektionen heraus – und stellt sie als Frau und Mutter, die unter himmelschreiend unnormalen Umständen um ihre Normalität ringt, vor uns hin. Dazu schlägt Jonny Greenwoods geradezu genialer Score erstaunlich trittsichere Brücken zwischen Barock und Jazz und sichert Stewarts Perfomance in jeder Hinsicht ab. Tatsächlich ist es eine Befreiung, deren Zeug:innen wir hier werden, tragisch aber ist zu wissen, dass diese nicht weit genug trug.

Mitproduziert wurde Spencer übrigens von Komplizen Film, der Firma von Maren Ade und Janine Jackowski, und gedreht wurde u.a. auf den Schlössern Friedrichshof im Taunus sowie Nordkirchen im südlichen Münsterland.