Problemfilme

Neu im Kino KW 11

Drei Etagen / Tre piani, 2021, Nanni Moretti

Beziehungs- bzw. „Problemfilme“ von Nanni Moretti, Céline Sciamma und Phil Connell, Neues von Nadav Lapid, dazu zweimal kindlicher Eskapismus.

Ein Vorschlag für eine neue Filmkategorie: Beziehungsfilme. Gemeint wäre damit nicht, dass es um Romanzen oder die Liebe in einem weiteren Sinne ginge, sondern um die Beziehungen der Menschen auf der Leinwand untereinander. Gut, darum geht es in gewisser Weise immer. Aber so wie Filmfiguren sich immer irgendwie bewegen und trotzdem nicht jeder Film ein Actionfilm ist, wären Beziehungsfilme solche, in denen es primär und tiefschürfend um die Verhältnisse der Menschen zueinander geht. In Freundschaften, Liebesbeziehungen und der Familie. Für den letztgenannten Bereich ist der Regisseur Nanni Moretti Experte, spätestens seit Das Zimmer meines Sohnes, in dem mit empathischer Wärme und zugleich Unerbittlichkeit von der Zerstörung erzählt wird, die der Tod des Kindes für die Eltern bedeuten kann. In seinem neuen Film Drei Etagen verwebt Moretti – zum ersten Mal auf der Basis einer literarischen Vorlage, des Romans „Über uns“ des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo – die Geschichten dreier Familien. Drei sehr unterschiedliche Schicksale, die die Figuren jeweils ergreifen: der vom Sohn verursachte Autounfall, der die Eltern mit Loyalitätsfragen konfrontiert, ein Missbrauchsverdacht und eine Demenz als selbsterfüllende Prophezeiung; emotionale Zurückhaltung ist die Sache von Nanni Moretti, der hier wieder eine Hauptrolle spielt, auch in diesem Film nicht.

Die Regisseurin Céline Sciamma hatte 2019 mit Porträt einer jungen Frau in Flammen einen der intensivsten Filme des Jahres vorgelegt. Dem gingen drei Filme voraus, die zusammen einen Jugend-Trilogie bildeten (Water Lilies, Tomboy und Mädchenbande). Mit Petite Maman – Als wir Kinder waren wendet Sciamma sich nun, der deutsche Titel deutet es an, der Kindheit als Sujet zu. Nelly (Joséphine Sanz) fährt nach dem Tod ihrer Großmutter in das Haus, in dem ihre Mutter Marion aufgewachsen ist. Die Mutter muss weg, in die Klinik, mit Depressionen. Beim Spielen im Wald trifft sie ein Mädchen, das genau so heißt, Marion (Gabrielle Sanz, Zwillingsschwester von Joséphine). Sciamma ist wieder sehr nah an ihren Figuren, ohne ihnen – oder der Zuschauer:in – zu nahe zu treten. Ein Film über Kindheit, das Erwachsensein und über die Traurigkeit, die, wie Marion erklärt, nicht von den Kindern erfunden worden ist (hier unsere ausführliche Besprechung).

Jump, Darling wirkt im direkten Vergleich leichter. Hauptfigur in Phil Connells Langfilmdebüt ist Russell (Thomas Duplessie), der als Drag Queen auftritt. Und wegen einer akuten Lebenskrise alle Zelte abbricht, seinen eher fürchterlichen Freund verlässt und zu seiner Großmutter (gespielt von der im Januar dieses Jahres verstorbenen Cloris Leachman) in die Provinz zieht. Zuerst einfach deshalb, weil keine großen anderen Möglichkeiten sich auftun. Bald realisiert Russel allerdings, dass seine Großmutter sich kaum noch um sich selbst kümmern kann und das Altersheim droht. Jump, Darling erzählt die Lebenskrise ein weiteres Mal als Verwandlungsphase.

Drei Etagen und Petite Maman und Jump, Darling erzählen sehr direkt und psychologisch einfühlsam, also ohne ästhetischen Bruch von ihren Figuren. Noch in den 1990er Jahren hätte man diese Arbeiten – bei allen Unterschieden – als „Problemfilme“ zusammengefasst. Ein solcher im weiteren Sinn ist auch Aheds Knie, der 2021 in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnete Film des israelischen Regisseurs Nadav Lapid, nur verfährt der wesentlich selbstreflexiver. Der Regisseur Y. fungiert als Lapids Alter Ego (gespielt von Avshalom Pollak) und bekommt während der Produktion eines Dokumentarfilms über die (reale) palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi Probleme mit der staatlichen Zensur. Der Filmtitel bezieht sich auf den Satz eines Knesset-Abgeordneten, der Tamimi per Twitter einen Schuss in die Kniescheibe wünschte. Aheds Knie handelt aber vor allem von den staatlichen Eingriffsversuchen in die Kunst in der Zeit der Likud-Regierung und der Kulturministerin Miri Regev. Es hilft, wie schon bei Lapids vorangegangenem Film Synonymes, wenn man eine zumindest grobe Kenntnis insbesondere der jüngeren Geschichte Israels mit in den Film bringt. So direkt-politisch, bis hin zur Austauschbarkeit der Rede von Hauptfigur und ihrem Regisseur/Autor, ist Kino heute nur noch selten.

Zum Schluss nach all diesen Problemfilmen zweimal der blanke Eskapismus. Der flott geschnittene Animationsfilm Die Gangster Gang versammelt ein nicht ganz kinderfilmtypisches Tier-Ensemble u.a. aus Wolf, Schlange, Piranha und Vogelspinne in einer Gangsterbande, dazu kommt noch ein philanthropisches Meerschweinchen. Regisseur Pierre Perifel, vorher Teil der Animationsteams von Für immer Shrek, Kung Fu Panda und Monsters vs. Aliens, gibt hier sein Regiedebüt. Womit die Richtung schon grob vorgegeben wäre: ein formvollendetes Kinderfilmspektakel.

Um einiges rührseliger geht es in Der Wolf und der Löwe von Regisseur Gilles de Maistre zu. Die Plot-Zusammenfassung liest sich, als hätte hier jemand versucht, den Erfolg des Vorgängerfilms Mia und der weiße Löwe zu wiederholen: Ein Löwen- und ein Wolfsjunges freunden sich an, umhegt von der jungen Pianistin Alma (Molly Kunz). Das Löwenjunge wird von seinen Besitzern gesucht, die es in den Zirkus bringen wollen, aber eigentlich ist das auch egal. Schließlich geht es in Der Wolf und der Löwe um nicht viel mehr als um schöne Bilder von süßen Tieren. Was ja nicht die schlimmste Form der Banalität ist.