Alexander Skarsgård als „The Northman“ von Robert Eggers und „The Electrical Life of Louis Wain“ mit Benedict Cumberbatch als Exzentriker und der neue Audiard sind die Highlights der Woche.
2015 legte er mit The VVitch: A New-England Folktale ein fulminantes Debüt vor. Er zog das Publikum hinein in die engstirnige Pilgerväter-Welt des Jahres 1630 – damals also, als der aufs Jenseits gerichtete christliche Glaube noch als Bollwerk gedacht wurde gegen die ziemlich diesseitig in Gestalt von Hexen und Dämonen konzipierte Wirkmacht des Versuchers – und sprengte sie sodann, indem er sie beim Wort nahm. 2019 ließ er mit The Lighthouse, in dem sich ein Leuchtturmwärter und sein Gehilfe auf einer einsamen Insel schnapsbefeuert ins seemannsumgarnte Delirium schrauben, einen nicht weniger faszinierenden, transzendierenden Genrefilm folgen. Da liegt die Latte für das nächste Werk natürlich hoch, und dementsprechend gespannt erwartet hat das Publikum Robert Eggers‘ The Northman, ein Rache-Epos, das in Skandinavien zwischen 895 und 950 a.D. angesiedelt ist. Wikinger also. Und mächtig schlägt Eggers zu, und neuerlich verleiht er den Genretropen ungeahnte Tiefe und Komplexität. Er erreicht dies hier durch den konsequenten Einsatz des Mittels der Übertreibung – die er, jedes Mal kurz bevor sie ins Lächerlich-Groteske kippt, ins Bitterernste wendet und solcherart Erkenntnisse über die tiefinnere Wahrheit der Mythen ermöglicht.
Alexander Skarsgård wirft sich mit einer geradezu einschüchternden Entschiedenheit in seine Rolle; auf seiner definierten Bauchmuskulatur ließe sich tatsächlich Wäsche waschen und wenn er sich in Kampf-Rage brüllt, glaubt man die wahrhafte Verwandlung in eine blutrünstige Bestie zu sehen, die alsdann mit triefenden Lefzen unter die Widersacher fährt, sie zu zerfleischen. The Northman macht keine Kompromisse; es ist ein ungeheuer brutaler und blutiger Film, der von Verrat und Schicksal handelt und ein Schlachtfest shakespeare’scher Dimension feiert. In der Tat erzählt Eggers ja die Ursprungsgeschichte des legendären Wikingers und Krieger-Prinzen Amleth, jener historischen Figur, die schließlich Shakespeares „Hamlet“ inspirieren wird.
Spätestens jetzt ist klar, dass in The Northman ein existenzialistischer Wind weht. Und da man um die Vergeblichkeit, vor allem aber die Sinnlosigkeit von Hamlets Rache-Unterfangen weiß, nimmt es einen nicht wunder, dass auch hier der Zorn einen Sturm entfesselt, der endlich alle in den Abgrund reißt. Allerdings brachte schon lange niemand mehr derart niederschmetternd auf den Punkt, dass Walhalla – und alle vergleichbaren Helden-Ziel-Orte – lediglich ein schön-lügender Begriff für die moralische Hölle ist.
Ein weiteres Highlight: Louis Wain (1860-1939) war insofern ein typischer Engländer, als er etwas seltsam war; er war besessen von Elektrizität, er arbeitete an Erfindungen und Patenten; er brach die Konventionen seiner Zeit, als er eine um zehn Jahre ältere Frau heiratete, die zudem die Gouvernante seiner fünf Jahre jüngeren Schwestern war. Mit ihr war er glücklich, doch leider starb sie bereits nach wenigen Jahren an Krebs, einen zugelaufenen Kater namens Peter hinterlassend, der den Anstoß gab für Wains Karriere als Illustrator. Als solcher schuf Wain für die Wochenzeitschrift The Illustrated London News eine Welt, in der die Katzen sich wie Menschen benehmen, oder möglicherweise das Menschliche in Katzen sichtbar wird, oder gar das verbindende Wesen von Mensch und Tier sich ausdrückt. Jedes Kind auf der Insel kennt die Katzen von Louis Wain, die, weil ihr Vater sich nicht ums Copyright scherte, überall auf der Welt frei herumlaufen. Die letzten 15(!) Jahre seines Lebens verbrachte Louis Wain, eines der helleren Lichter in Gottes Lampenladen, im Irrenhaus; man mutmaßt nach Aktenlage, dass er unter Schizophrenie litt.
The Electrical Life of Louis Wain (Die wundersame Welt des Louis Wain) von Will Sharpe nun ist der Film, der sich darum bemüht, diesem Mann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und er ist dabei so ungebärdig wie sein Gegenstand und dessen wundersame Welt – er wechselt die Tonlagen, die Genres, den Rhythmus mitunter in einer einzigen Szene. Gerade noch lacht man, da kommen einem auch schon die Tränen und immer wieder zwischendurch reißt es einem die Augen auf ob des statthabenden Unfugs. Ein wundersamer, ja geradezu ein herrlicher Film, zu dessen Gelingen der wunderbare Benedict Cumberbatch als Louis Wain nicht wenig beiträgt.
Verdrängung ist der prägende Begriff in Daniel Howalds Who’s afraid of Alice Miller?, in dem Martin, der Sohn der berühmten Kinderrechtlerin und Psychologin, bittere Anklage erhebt. In der Kindheit wird er vom Vater geschlagen, von der Mutter wird er bis zu deren Tod abgelehnt; schließlich begibt er sich als bereits alternder Mann gemeinsam mit Irenka Taurek, einer Cousine Alice Millers, nach Polen auf die sprichwörtliche Spurensuche. Er stößt dort auf das Trauma der Überlebenden, das sich in die zweite Generation wie ein Krebs hineingefressen hat, er hadert und wütet. Who’s afraid of Alice Miller? liefert ein Musterbeispiel für Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten, jenen fundamentalen Dreiklang psychoanalytischer Therapie – und zeigt zugleich deren Grenzen auf. Details zu Spezialvorführungen in Wien finden Sie hier.
Hiermit endet die Rundschau von Kollegin Seitz, hauseigene Ergänzungen folgen: Einen Österreich-Start erfährt mit zwei Wochen Verspätung der neue Audiard, Wo in Paris die Sonne aufgeht, über den wir ja bereits ausführlich geschwärmt haben. Dazu der bild- und tonmächtige Luzifer des österreichischen Mavericks Peter Brunner, mit dem wir ein erhellendes Gespräch in unserem Podcast geführt haben – eine schauspielerische Tour de Force von Susa Jensen und Franz Rogowski. Und, naja, Sandra Bullock mit Channing Tatum auf lustiger Schatzsuche im Dschungel gibt es auch, unter dem Titel The Lost City (ein Schelm, wer da an den Eighties Guilty Pleasure Klassiker Die Jagd nach dem grünen Diamanten denkt, der den ungleich schöneren Originaltitel Romancing the Stone trägt.)
Bobo Florian Klenk, der berüchtigte Twitteraner und verdiente Falter-CR, verfügt selbst über genügend Möglichkeiten, den Film über seinen Konflikt mit „Wutbauer“ Christian Bachler und die daraus entstandene Freundschaft zu promoten, aus der letztlich gar eine Art modernes Märchen wurde.
Also verweisen wir stattdessen schließlich auf das Festival du Film Francophone, welches heuer zum 24. Mal in den Wiener Kinos Votiv und De France mit einem erneut hochkarätigen Programm auf die Leinwand kommt, vom 26. April bis 5. Mai nämlich. Müsste der filmfilter einen einzigen Film herausgreifen, es wäre eine großartige Infotainment-Satire von Bruno Dumont mit Léa Seydoux.