Luxusprobleme

Neu im Kino KW 3 (AT)

Bill Nighy, Living
Living, 2022, Oliver Hermanus

„Living“: Ein fantastischer Bill Nighy im Vorruhestand. Dazu Hollywoods ekstatische Frühzeit, Marias Neubeginn und eine eher spezielle Hochzeit: die Wochenstartauswahl von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.

Vielleicht das Beste, was dem US-Kino zurzeit passieren kann: eine über dreistündige implizite Verfilmung von Kenneth Angers True-Crime-Pulp-Klassiker „Hollywood Babylon“. „Verfilmung“ nicht in dem Sinne, dass Babylon (dem im deutschsprachigen Raum der wieder einmal etwas depperte Untertitel Rausch der Ekstase beigegeben wurde), Angers sensationalistische Rekonstruktion der frühen, exzessiven Jahre Hollywoods eins zu eins verfilmt hätte. Aber inspiriert von Angers Buch ist Damien Chazelles Film definitiv: ein Bilderrausch, in dem sich Exzess an Exzess reiht. Zum Glück erschöpft sich Babylon aber nicht in der Inszenierung von Transgression, sondern zeigt ein sehr genaues Verständnis von Filmgeschichte. Am Ende versinkt auf der Leinwand alles im Delirium. (Hier unsere ausführliche Kritik, inklusive Bibelzitat.)

Wesentlich wohltemperierter (und bereits seit voriger Woche im Kino) ist die französische Feel-Good-Komödie Maria träumt – Oder: Die Kunst des Neuanfangs. Einer der Filme, die gern mit dem Adjektiv „liebenswert“ bedacht werden, was meist bedeutet, dass sie niemandem Böses wollen und ihnen vor allem an der Herstellung eines Eindrucks von Harmonie gelegen ist. Maria (Karin Viard) arbeitet als Putzfrau, ist Mitte 50 und in einer eher frustrierenden Ehe gefangen. Sie putzt an der Pariser Akademie der Schönen Künste und kommt in Kontakt mit dem französischen Bildungsbürgertum, das hier ein Scharnier zu einer interessanteren, lebendigeren Welt bilden soll. Maria versteht nichts von moderner Kunst, und der Film spult routiniert ein paar Witze über verblasene Künstlerideen und die naive Betrachterin ab. Um dann zu zeigen, wie Maria sich doch noch einmal verändert, flirtet, Modell sitzt – alles aber wie gesagt friedfertig erzählt und nicht als Ausbruch.

Noch ein Feel-Good-Movie, aber feuerwerkslastiger: In Shotgun Wedding wird die Hochzeitsfeier von Darcy (Jennifer Lopez) und Tom (Josh Duhamel) gesprengt, und zwar von einer Gruppe Geiselnehmer:innen, die die Gäste einfängt. Nur Darcy und Tom nicht, die daraufhin mit allen Mitteln damit beschäftigt sind, ihre Familien und Freunde und außerdem ihre Beziehung zu retten. Ein komplett harmloser und egaler Film, immerhin nicht vollkommen langweilig. Manche sprechen von Lopez’ bislang bester Rolle, aber eine von Kriminellen gekaperte Hochzeit allein kann J.Los viele Verbrechen (angefangen von Maid in Manhattan) nicht wettmachen.

Viel interessanter erscheint da Living, eine späte Kurosawa-Neuinterpretation samt später Glanzleistung des britischen Schauspielers Bill Nighy (*1949). Autor Kazuo Ishiguro hat das Drehbuch von Ikiru (1952) hergenommen und ins London der 1950er Jahre verlegt, Regisseur Oliver Hermanus hat Living inszeniert: Ein distinguierter, aber in Routinen erstarrter Beamter erfährt kurz vor der Pensionierung von einem Arzt, dass seine Pension kürzer sein könnte als erwartet. Daraufhin sucht der Gentleman sich eine letzte Aufgabe – welche überraschender Weise seine lange eingeschlafenen Lebensgeister wiedererweckt. Der Guardian spricht von einer eleganten Adaption.