Knochen und sowas

Neu im Kino KW 47 (AT)

Guadagnino, Bones and All
Bones and All, 2022, Luca Guadagnino

„Bones and All“ von Guadagnino, del Toros „Pinocchio“, James Grays „Armageddon Time“ und andere menschliche Dinge: Eine starke Kinostartwoche beginnt.

Los geht es mit dem wohl romantischsten Kannibalenfilm seit Claire Denis‘ Trouble Every Day (und der war ja eigentlich nicht wirklich romantisch im engeren Sinne, hier unsere Kurzkritik). Luca Guadagnino hat in seinen Filmen einen sehr eigenen Blick auf die Liebe und vor allem die Gefahren, die mit dem Lieben verbunden sind, kultiviert. In Bones and All findet die Metapher von der verschlingenden Kraft der Liebe ein sehr einfaches Bild: Maren (Taylor Russell) und Lee (Timothée Chalamet) sind ein Kannibalenpaar, „Eater“, und reisen durch die USA, auf der Suche nach Marens Mutter. Guadagnino bringt hier Coming-of-Age und Horror zusammen. Im Ergebnis ist das ähnlich pulsierend wie Call Me By Your Name und ähnlich stylish wie Guadagninos Suspiria-Remake. Und wird von einer Liebe zum Medium angetrieben, die darum weiß, dass man Bilder und Effekte wie in Bones and All eben wirklich nur vom Kino geschenkt bekommen kann.

Ein weiterer Regisseur, dessen Filme implizit und explizit von der Liebe zum Kino zeugen, ist Guillermo del Toro. In seinem ersten Stop-Motion-Film kehrt del Toro zu dem Thema seiner zwei besten Filme, The Devil’s Backbone und Pan’s Labyrinth, zurück: die Figur des Außenseiters unter dem Druck des Faschismus. Für seine Pinocchio-Verfilmung hat er die Geschichte der Romanvorlage in die Zeit des italienischen Faschismus verlegt und verfährt sehr frei mit dem Stoff, der hier in knapp zwei Stunden Filmzeit geradezu überbordet. Ein filmisches Zeugnis der Macht von ewig gültigen Geschichten und ihrer Neuerfindung. Bei del Toro wird die Nase des Holzjungen nicht länger, stattdessen wächst ihm ein Ast aus dem Gesicht. „Dass die Lügen, die sich einer ausdenkt, so sehr wuchern, wachsen und gedeihen können, dass sie einem Wege in neue Welten eröffnen, ist ein schönes Bild nicht nur für Guillermo del Toros ausufernde Populärmythologie, sondern für die narrativen Künste überhaupt“, schreibt Nicolai Bühnemann im Perlentaucher. (Eine eigene filmfilter-Kritik folgt kommende Woche.)

Einen ganz anderen Zugang zum Kino verfolgt James Gray mit seinen Filmen. Hier geht es um die Rekonstruktion der Vergangenheit und einen genauen Blick für soziale und vor allem für Familienrealitäten – im Wissen darum, dass Erinnerung nicht objektiv ist. Armageddon Time / Zeiten des Umbruchs ist Grays erster dezidiert autobiografischer Film, und vielleicht sein bester. Unsere Kritik folgt.

Der Kinderfilm der Woche, Strange World, verbindet ein weiteres Mal die Heldenreise mit der Heilung einer unterbrochenen Familien- bzw. Vater-Sohn-Geschichte. Plot-technisch gibt das alles nicht viel her – um die Energieversorgung seines Landes Avalonia zu retten, muss der Held (gesprochen von Jake Gyllenhaal) sich auf eine gefährliche Expedition begeben, auf der er seinen Vater wiederfindet und sich mit seinem Sohn auseinandersetzen muss. Eingebettet ist die Aneinanderreihung narrativer Standardsituationen aber immerhin in wirklich sehr hübsche, quietschbunte Bilder.

Hingewiesen sei noch auf das Metoo-Drama Les Choses humaines / Menschliche Dinge von Yvan Attal mit Charlotte Gainsbourg; und nicht zuletzt auf den Debütfilm der jungen Wiener Regisseurin Clara Stern, die sich in Breaking the Ice tatsächlich die Verbindung des Winzermilieus mit dem Eishockey-Sport für ihre queere Adoleszenzgeschichte zutraut (hier die Standard-Kritik). Mit Breaking the Ice bricht Stern eine Lanze fürs Regelbrechen, wie sie auch in unserem Podcast erzählt. (rs)