Fluchträume

Neu im Kino KW 14

Death of a Ladies‘ Man, 2020, Matt Bissonnette

Eine Woche für Verehrer von Leonard Cohen und/oder Patricia Highsmith, für Fans deutscher Werwölfe und/oder gutgelaunter georgischer Poesie.

Während in der sogenannten „Wizarding World“ (Trademark, Copyright, Patent und geschützte Bezeichnung) – genauer: in Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore – mal wieder erwachsene Menschen vor der blaugrünen Wand mit Stäben herumfuchteln und „zaubern“, latschen andere erwachsenen Menschen in der Wirklichkeit herum und stoßen auf handfeste Magie: Volker Schlöndoff dreht mit Der Waldmacher seinen ersten Dokumentarfilm und folgt einem dieser Unverbesserlichen, dem Australier Tony Rinaudo, der im Niger vermittels einer alten Beschneidungstechnik abgeholzte Baumbestände reaktivierte. 2018 hat Rinaudo den Alternativen Nobelpreis bekommen; die Methode wird mittlerweile in 25 afrikanischen Staaten praktiziert. Und wie durch ein Wunder grünt es.

Die kanadisch-irische Koproduktion Death of a Ladies Man von Matt Bissonnette ist DER Film für alle Verehrer der Sanges- und Dichtkunst von Leonard Cohen, dessen fünftes Album dem Film auch den Titel gibt. Gabriel Byrne spielt hier mit schöner Feinnervigkeit den versoffenen Literaturprofessor und Frauenhelden Samuel O’Shea, bei dem eines Tages ein riesiger Gehirntumor diagnostiziert wird. Nicht das Delirium Tremens war also schuld an den seltsamen Erscheinungen, die in der letzten Zeit des Professors Wahrnehmung aufpeppten und die von einer tigerköpfigen Bodybuilderin über Frankensteins Monster bis hin zum Geist seines toten Vaters reichten, sondern der leider inoperable Wildwuchs in seinem ohnehin immer schon recht eigenwillig operierenden Gehirn. Weswegen in der Folge auch keine reuevolle Kehrtwendung vollzogen wird, sondern es vielmehr ein letztes Mal ordentlich kracht. Auch im narrativen Gebälk, insofern den Bildern dieses Films, die sich jederzeit als tumorbedingte Halluzination herausstellen können, nicht zu trauen ist. Umso mehr dafür den sieben Cohen-Songs, entlang derer die Handlung mit glühender Nadel gestrickt ist. Doch der Meister selbst hat dem Projekt vor seinem Tod 2016 seinen Segen erteilt, wer also wagte es, an mangelnder Stringenz und Sinnhaftigkeit herumzukritteln?!

Ja, es war Patricia Highsmith (1921-1995), die mit „The Price of Salt“ die Vorlage für Carol (Todd Haynes, 2015) geschrieben hat, in dem die wunderbare Cate Blanchett und die wunderbare Rooney Mara ein lesbisches Liebespaar spielen, das am Ende in eine Art von Sonnenuntergang davonkommt. Zur Zeit der Veröffentlichung des Buches 1952 war dies noch ein undenkbarer Vorgang, doch nicht nur deswegen verbarg Highsmith ihre Autorinnenschaft hinter dem Pseudonym Claire Morgan. Ein Coming Out zu riskieren war für die berühmte und erfolgreiche Schriftstellerin, die einer konservativen texanischen Familie entstammte, undenkbar, und so blieb sie bis fast an ihr Lebensende in the closet beziehungsweise verhielt sich unauffällig und war oft unglücklich verliebt. Spätestens mit der posthumen Veröffentlichung der Tage- und Notizbücher von Highsmith im vergangenen Jahr öffneten sich die Türen dieses Schranks sperrangelweit und als Teil einer Neubewertung respektive eines geänderten Blicks ist auch die Dokumentation Loving Highsmith von Eva Vitija zu sehen. Klar kann man sich fragen, was einen das Sexualleben berühmter Personen überhaupt angeht oder warum es einen interessieren sollte. Vitijas aus Archivmaterial, Interviews mit Zeitgenossinnen, Selbstzeugnissen, aktuellen Aufnahmen und Filmausschnitten geschickt montierter Film ist allerdings eher wie eine späte Wiedergutmachung zu verstehen. Sie lässt Liebe, Leidenschaft und Sehnen einer Frau Gerechtigkeit widerfahren, die Zeit ihres Lebens schon mit der Bezeichnung „Kriminalschriftstellerin“ falsch gefasst worden war und die ihr Potenzial als Mensch, gefangen in ihrem Doppelleben, nie ausschöpfen konnte.

Deutsche Genrefilme waren ja schon immer besser als ihr Ruf; das gilt mit Einschränkungen sogar für Im Nachtlicht. In seinem Kinodebüt erzählt Drehbuchautor und Regisseur Misha L. Kreuz von der Schreinerin Minthe, die den Autrag erhält, tief im Wald von Hellheim(!) eine alte Mühle zu restaurieren; vom benachbarten Eiskeller, einem unübersichtlichen Tunnelsystem, soll sie sich fernhalten. Freilich passiert alsbald allerhand Schreckliches und in Minthe, die über ihre Herkunft nichts weiß und ohnehin schon lange von Albträumen geplagt wird, wächst der Verdacht, dass im Eiskeller ein gefährliches Wesen wohnt und dass das alles mit ihr zu tun hat. Das Problem des Films ist neben einem etwas allzu forsch einherholpernden Drehbuch voller Löcher die one-note-performance von Diana Maria Frank in der Rolle der Minthe. Die Jungmimin spielt eher das Holz als die Schreinerin und bestätigt damit unnötigerweise das alte Horrorfilm-Klischee, dass dieses Genre ohne Charakterzeichnung auskommt. Wer gnädig über diesen Mangel hinwegsieht, sieht einen Film, der den Werwolf-Mythos einer Aktualisierung unterzieht, indem er die Honoratioren des Dorfes sich das Monster zunutze machen lässt. Blut für Geld in seelenlosen Zeiten, das ist die totale Gegenwart.

Highlight der Woche zweifelsohne: Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? von Alexandre Koberidze, der seit seiner Premiere bei der Berlinale 2021 allerorten verdientermaßen Lobeshymnen erklingen lässt. Auch wenn der allwissende Erzähler am Ende einräumt, dass seine wilde Fabel über Giorgi und Lisa – die sich auf den ersten Blick verlieben und sich auf den zweiten nicht wiedererkennen, weil zwischenzeitlich ein Fluch ihre Gestalt verändert hat – wahrscheinlich total unwahrscheinlich ist und sich auch nicht so recht erklären kann, wieso überhaupt einer auf die Idee kommt, ein derartiges Thema zu wählen. Und deswegen ist dies ein Film, der die Welt besser macht: er bringt Poesie, Nächstenliebe und gute Laune in sie hinein; in ihm wird ein Film gedreht, dessen Titel lautet „Straßenhunde werden vom Wind gestreichelt“; es gibt eine Zeitlupensequenz, in der Kinder gemeinsam Fußballspielen (denn es ist Fußballweltmeisterschaft); er hat immer Lust auf eine Abschweifung und einen Schabernack; er schaut in die Gesichter und erkennt, dass es auf die Worte nicht ankommt; er hascht nach dem Leben und manchmal, ja manchmal erwischt er es sogar. Koberidze feiert mit seinem Film den magischen Raum des Kinos – im vollen Bewusstsein, dass es ein Fluchtraum ist. Feiern wir mit! Danach ist immer noch Zeit genug zum Heulen.