Flucht und Eskapismus

Neu im Kino KW 12

This Rain Will Never Stop, 2020, Alina Gorlova

Doppelte Fluchterfahrung in „This Rain Will Never Stop“, Junggesellinnenabschied und andere Betäubungen. Und der neue Film von Mike Mills.

Aus gegebenem Anlass aktuell in den Kinos: This Rain Will Never Stop, ein Dokumentarfilm der ukrainischen Regisseurin und Filmeditorin Alina Gorlova aus dem Jahr 2020. Im Zentrum ein junger Mann, Andriy Suleyman, Sohn eines kurdischen Vaters und einer ukrainischen Mutter. Vor dem Krieg in Syrien flüchtet die Familie in die Ukraine; andere Verwandte landen im Irak und in Deutschland; weitere bleiben zurück in der Heimat, die es inzwischen so nicht mehr gibt. Auch die neue Heimat wird es so nicht mehr lange geben. Andriy engagiert sich als freiwilliger Helfer beim Roten Kreuz und wird im Donbass eingesetzt. Später fährt er zur Hochzeit seines Cousins nach Deutschland, man tanzt und ist fröhlich. Dann besucht er einen Onkel im Irak, es wird ein sehr tränenreicher Besuch. Schließlich muss Andriy den Leichnam seines Vaters nach Syrien überführen; der Vater ist nicht alt geworden, er soll in Heimaterde begraben sein. Die Melancholie, die This Rain Will Never Stop auslöst, mag dem Schwarzweiß geschuldet sein, in dem er gedreht ist, sowie dem Umstand, dass Gorlova nichts erklärt und nichts kommentiert. Sie vertraut, sehr zu Recht, ihrer Montage, die das Individuelle mit dem Kollektiven kontrastiert und auf diese Weise das Schicksal des Einzelnen in einen abstrahierenden Rahmen stellt. Aus der resultierenden Spannung entwickelt sich allmählich, still und leise die ungeheure Wucht des Gefühls der Einsamkeit, das der Entwurzelung folgt. Ein Film über den Krieg und die Erfahrung der Flucht als Konstanten der Conditio humana. Bitter.

Angesichts der Lage die Versuchung groß, den Kopf in den Sand zu stecken und die Realität zu verweigern. Wer sich darüber hinaus noch drogenlos betäuben will, möge die von Michael Bay durch Los Angeles gesteuerte Ambulance besteigen und sich hinterher aber auch bitte nicht beschweren, wenn Hören und Sehen vergangen sind und jegliches Denkvermögen fluchtartig das Hirnkastl verlassen hat. Der MegaGiga-Bankraub geht also schief, woraufhin eine MegaGiga-Verfolgungsjagd mit MegaGiga-Schießerei stattfindet. Es rummst gehörig im Gebäude, wenn Bay die Action auf die Leinwand haut als wäre er Jackson Pollock; nur leider bleibt nicht viel, äh, vielmehr nichts hängen. Außer vielleicht die auch nicht eben neue Erkenntnis, dass so ein richtiges Actionbrett zwar eine feine Sache ist, noch mehr Spaß aber macht, wenn auch noch etwas Sinn im Spiel ist. Was ein Schauspieler vom Kaliber Jake Gyllenhaals in diesem Unfug zu suchen hat, erschließt sich (zumindest mir) nicht, vermutlich war ein Anfall von Regression schuld; Sie wissen schon, kleine Jungs, die mit Plastikpistolen Räuber und Gendarm spielen, Riesengaudi und so.

Riesengaudi sicher auch, so können wir allerdings nur mutmaßen, in Alireza Golafshans JGA: Jasmin. Gina. Anna., der von den Turbulenzen im Rahmen eines Junggesellinnenabschieds handelt; für manche dürfte dies Grund genug sein, um diese deutsche Komödie einen großzügig bemessenen Bogen zu beschreiben. Immerhin: Luise Heyer spielt mit.

Weitaus erhellendere, vor allem sinnstiftende Einblicke ins Leben einer Frau gibt die schwungvoll inszenierte Künstlerbiografie Tove von Zaida Bergroth, die von der finnlandschwedischen Schriftstellerin, Zeichnerin, Comicautorin, Grafikerin, Illustratorin, Malerin und Erfinderin der Mumins Tove Jansson (1914-2001) erzählt. Genauer, von den Nachkriegsjahren, als die junge Frau künstlerisch wie privat auf der Suche nach ihrem eigenen Weg war. Alma Pöysti spielt Tove Jansson mit viel Zärtlichkeit und Herzenswärme und vermittelt das vielfarbige Bild einer unabhängigen, wesentlich freien und tief aufrichtigen Frau, die sich wenig bis nichts um gesellschaftliche Konventionen schert und die doch immer wieder von Skrupeln und Zweifeln geplagt wird.

Mike Mills lässt zwischen seinen Filmen ja immer ziemlich viel Zeit verstreichen, legt dann aber jedes Mal ein Werk vor, auf das zu warten sich gelohnt hat. So auch diesmal mit C’Mon C’Mon (Come on, Come on) – jedenfalls findet das der überwiegende Teil der Kolleg:innenschaft und ist voll des Lobes. „Poetisch“ sei dieses Roadmovie in Schwarzweiß, auch das Unwort „leichtfüßig“ wurde bereits gesichtet, und wer nun an „sentimentales Geschwurbel“ denkt, landet näher dran, an der Wahrheit. Naja, jedenfalls bekommt die Geschichte um den alleinstehenden Radiojournalisten Johnny, der sich während einer familiären Krise um seinen neunjährigen Neffen Jesse kümmern muss, immer mal wieder leichte Schlagseite in Richtung Rührseligkeit. Was sehr wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass die Idee zum Film sich einem Gespräch verdankt, das Mills mit seinem neunjährigen Sohn führte, und dessen bahnbrechende Erkenntnis darin bestand, dass die Erwachsenen den Kindern besser zuhören und sie ernster nehmen sollen. Ja, eh. Helikopter-Eltern werden diesen Film lieben. Anderen wird vielleicht auffallen, dass das große Problem von C’Mon C’Mon ausgerechnet die Figur des kleinen Jungen ist, der als Mini-Philosoph nicht überzeugt, sondern altklug nervt. Da kann Joaquin Phoenix in der Rolle Johnnys noch so engagiert gute Miene zum bösen Spiel machen.