Wir lassen die Minions Minions sein und widmen uns dem besten Film und der besten Prinzessin aller Zeiten. Der menschliche Faktor spielt die Hauptrolle, ein Axiom eine andere. Selektiver Überblick der deutschen Kinostarts der Woche.
Vater Jan, Mutter Nina, Tochter Emma, Sohn Max erreichen ihr Ferienhaus in Belgien, nahe der Küste; ein erholsames Wochenende soll es werden, in dem es endlich einmal wieder nur um die Familie geht; die hat es bitter nötig, und natürlich geht es schief. Kaum angekommen nämlich schlägt mit Karacho eine Tür zu und folgt ein Gepolter auf der Treppe. Nina ist sich sicher: Einbrecher! Emma findet die Mutter hysterisch, Max‘ Ratte Zorro nutzt den Aufruhr zur Flucht, Jan will familienväterlich beruhigend auf alle einwirken. Doch schon hat sich der Ton verschärft, zieht eine Bitterkeit zwischen die Zeilen, die wohl bereits länger gärt, werden alte Angriffspositionen eingenommen und vertraute Verteidigungsstellungen bezogen. Die erste Schicht ist abgetragen, die ersten Sollbruchstellen im Gefüge sind freigelegt.
Die Familie als Konfliktfeld und die Schwierigkeiten der Verständigung sind Gegenstand von Der menschliche Faktor, den Ronny Trocker nach eigenem Drehbuch inszeniert hat. Beileibe kein neues Thema, auch für Trocker nicht. Der hat zuvor in seinem Erstling, Die Einsiedler (2016), die von unausgesprochenen Erwartungen und verdrängten Enttäuschungen vergiftete Atmosphäre in einem Südtiroler Bergbauernhaushalt bis an die Schmerzgrenze erkundet. Der menschliche Faktor nimmt nun die gutsituierte obere Mittelschicht in Deutschlands Norden unter die Lupe. Und waren es in Die Einsiedler Ingrid Burkhard und Andreas Lust, die Trockers formale Raffinesse mit darstellerischer Feinheit flankierten, so sind es diesmal Mark Waschke und Sabine Timoteo, deren subtiles Spiel den inszenatorischen Ansatz tiefgreifend erweitert. Am Ende steht neben vielen offenen Fragen immerhin die Erkenntnis, dass der menschliche Faktor, der dieser faszinierenden Erkundung von Verrat und Konsequenz den Titel gibt, auch das Beharrungsvermögen meinen kann, das eine:n im falschen Leben gefangen bleiben lässt, der Einfachheit halber.
Ein Axiom, so das Fremdwörterbuch, ist „eine nicht abgeleitete Aussage eines Wissenschaftsbereiches, aus der andere Aussagen deduziert werden“. Eine Setzung also, die man auch willkürlich nennen kann.
Das Axiom, das Jöns Jönssons Film – uraufgeführt in der Sektion Encounters der diesjährigen Berlinale – den Titel gibt, ist die stillschweigende Übereinkunft der Mitglieder einer Gesellschaft, über sich selbst keine Unwahrheiten zu verbreiten, jedenfalls keine allzu drastischen. Wie grundlegend diese Übereinkunft wirkt, merkt man, wenn sie gebrochen wird; wie von Julius in Axiom. Julius ist ein junger Mann, der fantastische Lebensentwürfe für sich erfindet und vorgibt, einer zu sein, der er nicht ist – vor allem wesentlich reicher und bedeutender. Ist Julius nun ein pathologischer Lügner, ein raffinierter Betrüger, ein psychisch Gestörter oder nicht vielleicht doch die ideale Verkörperung des modernen Menschen?
Er habe, sagt Jönsson, die Idee vom „Fake it till you make it“ der Zerreißprobe aussetzen wollen; im Zuge dessen ist ihm ein beunruhigender Film gelungen, der zwischen Psycho- und Sozialstudie flirrend profunde Fragen aufwirft nach der Möglichkeit von Authentizität im Kapitalismus.
Ein schwerreicher, alter, weißer Mann will etwas Bedeutendes hinterlassen und gibt einen Film in Auftrag, der selbstverständlich ein Meisterwerk werden soll. Er kauft die Rechte an einem Bestseller über einen Bruderzwist, heuert eine in Arthouse-Kreisen angesagte Regisseurin an, die wiederum für die Hauptrollen zwei veritable Legenden an Bord holt, die einander konträre Schauspielschulen repräsentieren. Sodann werden neun Tage Proben angesetzt, die keine:r der Beteiligten unbeschadet übersteht.
Es ist die Geschichte eines Eitelkeitsprojektes, die das argentinische Autoren- und Regieduo Gastón Duprat und Mariano Cohn in Der beste Film aller Zeiten erzählt; es ist aber auch, und das drückt der Originaltitel Competencia oficial aus, die Geschichte einer Konkurrenz: zunächst zwischen den beiden Schauspielern, dann zwischen den Schauspielern und ihrer Regisseurin sowie schließlich zwischen der Regisseurin und ihrem Produzenten. Und ganz gleich, ob sich die Rivalität entlang von „Hollywood versus Theater“ oder „Mann versus Frau“ oder „Kunst versus Kommerz“ organisiert, zugrunde liegt immer die Frage, wer eigentlich das Sagen und die Deutungshoheit, sprich: den Längsten hat.
Mit beeindruckender Sorgfalt und einiger analytischer Schärfe entwerfen Duprat und Cohn eine abstrakte Versuchsanordnung einerseits, einen Hochofen der Emotionen andererseits. Angesiedelt zudem in einem kühlen Gebäude aus Stahl, Glas, Beton und Holz. Es liefert einen Rahmen von hohem formalen Reiz, perfekt geeignet für diesen Blick in die mitunter doch recht grausame Mechanik künstlerischer Prozesse.
Kaum zu glauben, aber wahr: The Princess von Ed Perkins ist der erste Kinodokumentarfilm über die berühmte, unendlich viele Male und schließlich zu Tode fotografierte Lady Diana, Princess of Wales. Die war doch gerade erst in Gestalt von Kristen Stewart in den Lichtspielhäusern unterwegs, werden Sie nun womöglich etwas ermüdet einwenden – und sollten sich dann lieber gleich mal wappnen, jährt sich doch am 31. August diesen Jahres der Todestag der Ikone zum 25. Mal und ist demnach wohl noch so einiges mehr an medialem pomp and circumstance zu erwarten. Wobei genau das auch der Clou an The Princess ist. Anstatt sich nämlich in wohlfeilen Spekulationen über das Innenleben einer im Grunde völlig unbekannten Person zu ergehen, bleibt Perkins an der Oberfläche der seinerzeitigen Berichterstattung, montiert ausschließlich zeitgenössisches Archivmaterial, verzichtet auf Interviews und Off-Kommentar (er selbst gab IndieWire ein Video-Interview). Auf diese Weise zeichnet er den geradezu aberwitzigen Zirkus mit den Stationen Verlobung – Hochzeit – Krisen – Skandale – Scheidung – Tod und Massenhysterie recht nüchtern nach. Und mit der Zeit wird so auch etwas mehr sichtbar als die Mär vom Märchen, das zum Albtraum wurde; beispielsweise dass sich alle miteinander permanent gegenseitig zum Handlanger ihrer keineswegs immer so edelmütigen Interessen gemacht haben; oder dass es hinter der Medienmeute eine Öffentlichkeit gab, die diese antrieb; und freilich nicht zuletzt, dass es da halt mal wieder eine junge Frau erwischt hat. Sie hat das Ausmaß dessen, worauf sie sich eingelassen hat, einfach zu spät erst überblickt. Einfach zu spät.