Bis dass der Tod uns scheidet

Neu im Kino KW 34–35 (DE)

kling, känguru-verschwörung
Die Känguru-Verschwörung, 2022, Marc-Uwe Kling

Känguru-Verschwörung, Einladung zum Märzengrund oder ins Alptraum-Anwesen und dreitausend Jahre Freiheitsbegehren. Die Kino-Neustarts in Deutschland, gefiltert von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.

Eine Geschichte über das Geschichtenerzählen, mit der famosen Tilda Swinton als Erzählwissenschafterin und dem superben Idris Elba als Flaschengeist, in der Regie des Mad Max-Masterminds George Miller? Das macht neugierig, das will man mit eigenen Augen sehen. Three Thousand Years of Longing geht dann auch recht vielversprechend los. Der Film gibt sich einen Gegenwartsrahmen, in welchem die Narratologin Alithea an einer literarischen Konferenz in Istanbul teilnimmt. Sobald der Geist aus der Flasche ist und Alithea ihre obligatorischen drei Wünsche frei hat, finden wir uns jedoch in einem erzähltechnisch aus der Zeit gefallenen und wie aus tausend und einer Nacht stammenden Filmmärchen – wenngleich der auf Freiheit sinnende Geist seine vergleichsweise wenigen Tage außerhalb der Flasche nicht im arabischen Wunderland, sondern im Reich der Osmanen zugebracht hat und es dementsprechend rustikal hergeht; ein Harem leinwandfüllender Schönheiten oder ein mörderischer Erbfolge-Murks sind nur zwei Beispiele des flapsig „Aladdin for Adults“ getaggten Spektakels.

Doch hier sind die mindestens drei Probleme, die Three Thousand Years of Longing aufwirft: Zum einen wird die ganze Zeit in Voice-over-Worten erzählt, was man ohnehin den Bildern entnehmen könnte (der Film traut also seinen eigenen Bildern zu wenig zu). Zum anderen hat keine der erzählten Unterfabeln das Gewicht, das es für eine Meta-Fabel über das Narrative an sich braucht. Und schließlich gibt es im generell abfallenden letzten Akt eine wohlmeinende, aber derart plumpe Vorschlusswendung, dass es einem noch die politisch korrektest gepflegten Zehennägel aufkringelt. Eine sich rasch zerstäubende Phantasie. (rs)

Das Känguru ist der vielleicht einzige anarchistische Volksheld, den die jüngere deutsche Literaturgeschichte kennt. Allseits beliebt, also weitgehend zumindest, und das obwohl linksradikal und mit der Begabung gesegnet, ideologischen Unsinn durch schlichte satirische Überspitzung kenntlich zu machen. Allein so ein Dialog: „’Ob Links- oder Rechtsterrorismus – da sehe ich keinen Unterschied‘. ‚Doch, doch‘, ruft das Känguru, ‚die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos sind schlimmer, denn es hätte meines sein können. Ausländer besitze ich keine.’“ Ein Auto besitzt das Känguru, ungebetener Mitbewohner und also Mietnomade, allerdings auch nicht, aber egal. Jedenfalls ist sowas mitunter klärender als so mancher Antirassismus-Workshop. Beim zweiten Känguru-Film, Die Känguru-Verschwörung, hat Marc-Uwe Kling, der Autor der Buchvorlage, zum ersten Mal selbst Regie geführt. Und er hat den Job auch nicht schlechter gemacht als Dani Levy beim recht vergnüglichen Vorgänger. Dieses Mal stehen Verschwörungstheoretiker im Zentrum. Das Känguru (gesprochen von Kling) und der verkrachte Kleinkünstler Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) fahren aus eher verwickelten Gründen zur Conspiracy Convention in Bielefeld und geraten dort mit dem Verschwörungstheoretiker Adam Krieger (Benno Fürmann) aneinander. Filmisch ist das alles nicht aufregend, aber nach den Chroniken ist auch die Känguru-Verschwörung wieder sehr lustig, und mit dem Herz am rechten, also linken Fleck.

In Märzengrund zieht die Hauptfigur sich von ihrer Familie (und der ihm fremd vorkommenden Welt) auf den Berg zurück, statt den väterlichen Bauernhof zu übernehmen. Oberhalb der Baumgrenze sieht der Aussteiger sich den je nach Wetterlage wildromantischen oder überwältigend rauen Naturgewalten ausgesetzt – und findet Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen. Basierend auf einem Theaterstück von Felix Mitterer, welches wiederum auf der wahren Geschichte des Zillertalers Simon Koch basiert, schreitet Adrian Goiginger sicher am Grat zwischen Zivilisationskritik und Einsiedler-Naturromantik entlang und legt nach seinem zurecht umjubelten Debüt Die beste aller Welten einen soliden Zweitfilm vor – Mitterer schrieb am Drehbuch mit. Der Sound am Berg ist fabelhaft (wie übrigens auch in Peter Brunners Luzifer) und drei Erzählzeitebenen sind geschickt ineinander montiert, was über die stereotype Gestaltung der meisten Nebenfiguren hinwegsehen lässt. Jakob Mader als junger Bauernsohn ist eine Entdeckung, Verena Altenberger ist erfreulicher Weise wieder mit von der Partie, und zumal in der zweiten Hälfte überzeugt Johannes Krisch als Bergfex zwischen Altersleiden, Verbohrung, wehmütiger Vorstellungskraft und Reue. Ein Heimatfilm (wie Märzengrund in dieser übertrieben strengen Kritik genannt wird) sieht jedenfalls anders aus. (rs)

Es folgt was Rustikales, Der weiße Hai übertragen in ein Savannen-Setting. Und weil es in der Savanne wenig Wasser gibt, wird der Fisch in diesem Fall durch einen von Wilderern traumatisierten Löwen ersetzt, der Jagd auf einen Vater (Idris Elba) und seine beiden Töchter (Iyana Halley und Leah Jeffries) macht. Beast – Jäger ohne Gnade fackelt nicht lange, ist spannend, schnell vergessen und hilft, die Zeit bis zum nächsten Predator-Film zu überbrücken.

Eine weitere sehr effektive Aneinanderreihung von Horrorfilm-Standardsituationen bietet The Invitation, der in Österreich und Deutschland mit dem schon sagenhaft uninspirierten Untertitel Bis dass der Tod uns scheidet in die Kinos kommt. Das Regiedebüt der Drehbuchautorin Jessica M. Thompson ist eine klassisch strukturierte Be-careful-what-you-wish-for-Geschichte: Evies Mutter stirbt, und Evie (Nathalie Emmanuel) macht sich auf die Suche nach Verwandten, von denen sie nicht weiß, ob es sie gibt. Ein DNA-Test verrät ihr die Existenz eines Cousins, und wenig später findet sich Evie auf einem englischen Anwesen wieder, das direkt aus dem Handbuch der gothic literature entnommen sein könnte. Noch ein wenig später dann Vampire im Blutrausch. Mit diesem Film kann der Genre-Fan wenig falsch machen, das Rad neu erfunden wird hier aber auch nicht.

Zwischendurch sei auf Ryusuke Hamaguchis Preziose Wheel of Fortune and Fantasy verwiesen, um die wir uns leider selbst nicht kümmern konnten. Kollege Holzapfel meint im Filmbulletin, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wenn er sagt, dass dieser Film noch besser sei als Drive My Car (für den Hamaguchi den Oscar erhielt, hier unsere Kritik).

Die Kinovorschau dieser Woche enthält auch Schwermütiges: Eine Verlegerin (Isabelle Huppert in einer schon idealtypischen Isabelle-Huppert-Rolle) begibt sich auf eine Reise in die eigene Vergangenheit, ausgelöst durch die Begegnung mit einer Jugendliebe, die alles melancholisch einfärbt. Die Verlegerin erinnert sich an frühere Liebhaber, Enttäuschungen und Glücksmomente. Laurent Lariviéres À propos de Joan / Die Zeit, die wir teilen ist eine Seelenreise, die sich insgeheim Ingmar Bergmans Wilde Erdbeeren zum Vorbild genommen hat. Zusammengehalten wird die schlaglichtartige Erzählung eines Lebens aber weniger von konzeptueller oder formaler Stringenz als von den Schauspieler:innen, und hier vor allem von Huppert und Lars Eidinger.

Zum Schluss ein Kinderfilm: In Tad Stones und die Suche nach der Smaragdtafel, dem dritten Teil der spanischen Kinderfilmreihe (nach Tad Stones – Der verlorene Jäger des Schatzes! und Tad Stones und das Geheimnis von König Midas), randaliert der Titelheld als Miniatur-Indiana-Jones erneut ungeschickt durch Ausgrabungsstätten. Dieses Mal geht es nach Ägypten, was dann auch Gelegenheit für viele Mumien-Witze bietet. Macht Spaß, tut nicht weh, auch beim dritten Mal. (Wird übrigens bei der nächsten Känguru-Verschwörung wohl auch nicht anders sein.)