Ein Superheld, ein Bienenstock, ein Tigernest, Kinder, Tiere und eine Komödie: die Neustarts in österreichischen Kinos abseits der Viennale. Von Benjamin Moldenhauer und Roman Scheiber.
Während Wiener Cinephile (bzw. dafür angereiste Gäste) sich an der bereits 60. Ausgabe der Viennale erfreuen – Direktorin Eva Sangiorgi wird trotz rezenter Mutterschaft immer wieder im Festivalwusel auftauchen –, vergessen wir nicht auf die wöchentlichen Regelkinostarts. Von der Filmtradition des Kosovo z.B. weiß man im deutschsprachigen Raum wenig bis gar nichts. Umso schöner, dass jetzt mit Hive das Langfilmdebüt der Regisseurin Blerta Basholli auch in österreichische Kinos kommt. Hive (Bienenstock) basiert auf der Lebensgeschichte der Kosovo-Albanerin Fahrije Hoti, und da die davon handelt, wie eine Frau nach dem Tod ihres Mannes selbstständig und Kraft der eigenen Hände Arbeit überleben muss, wird der Film im Rahmen der Gesellschaft, in der er spielt, sozusagen zwangsläufig zu einer Erzählung über Emanzipation und Gleichberechtigung. Fahrijes Mann wurde 1999 bei einem Massaker von Serben ermordet. Die Witwe (Yllka Gashi) muss ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, mit dem Verkauf von Ajvar. Die soziale Erwartung aber ist, dass sie auf die Rückkehr ihres Mannes wartet. Auf die Frage, wovon und wie man leben soll als alleinerziehende Mutter, hat die Dorfgemeinschaft keine Antwort. Nach und nach schließen sich mehr Frauen Fahrjie an, auch gegen die Widerstände der Männer des Dorfes. Hive erzählt davon, wie notgedrungene Emanzipation um sich greift und die Dinge verändert. Auf dem Sundance-Festival räumte Bashollis Film alle Preise ab, inzwischen steht er als kosovarischer Beitrag auf der Shortlist für die Oscar-Preisverleihung.
Der Regisseur Jaume Collet-Serra hat ein Händchen für Filme, die einen nicht vom Hocker hauen, aber eben auch keine Sekunde langweilig sind. Ein Routinier, der dem 130. Liam-Neeson-Gekloppe zwar vielleicht keine Originalität, aber doch Tempo und Dynamik abpressen kann. Auch eine Ansammlung von Standardsituationen wie der Böse-Kind-Horror Orphan oder der wirklich sehr hübsche Hai-Film The Shallows machten durchweg Spaß. Jetzt hat Collet-Serra seine erste Riesenproduktion realisiert, Black Adam. Ein DC-Blockbuster mit einem der wenigen Superhelden aus dem hauseigenen Universum, die noch keine eigene Filmreihe bekommen haben. Dieser Superheld ist angenehm ambivalent: Dwayne Johnson agiert in der Titelrolle eher wie der Punisher als wie Superman. Und der Trailer verspricht nicht nur formvollendet inszenierte Action, sondern auch einige unverhoffte ästhetische Überdrehungen.
Wesentlich familienfreundlicher: Lyle – Mein Freund, das Krokodil reiht sich ein in die schier endlose Abfolge von Kinderfilmen – von Elliott das Schmunzelmonster über Free Willy bis Drachenzähmen leicht gemacht –, in denen ein überdimensioniertes Tier der beste Freund eines Jungen wird. In Lyle ist es ein sehr detailliert animiertes Riesenkrokodil (im Original vom Popstar Shawn Mendes gesprochen), das singen und Klavier spielen kann, in eine sympathische Familie verpflanzt und von einem sinistren Nachbarn verfolgt wird. Eine weitere Variation des Motivs des imaginären Freundes, dieses Mal mit viel Musik und Gesang.
Und noch ein Tierfilm, diesfalls im realistischeren Modus: Die Legende vom Tigernest. Der Waisenjunge Balmani (Sunny Pawar) nimmt ein Tigerjunges auf, dessen Mutter von Wilderern erschossen wird. Es folgt die Flucht vor den Wilderern durchs Himalaya-Gebirge. Die Erwachsenen töten die Natur, die Kinder versuchen sie zu retten und zu bewahren. Diese Konstellation findet man im Kinderfilm nicht erst seit Fridays for Future, sondern nahezu seit Beginn des Genres. Regisseur Brando Quilici hat bislang ausschließlich Naturdokumentationen gedreht. In seinem ersten Spielfilm zeichnet er ein wirklichkeitsnäheres Bild von der Natur als viele vergleichbare Kinderfilme sonst (nicht nur im direkten Vergleich zu einem Klavier spielenden Krokodil). Wilde Tiere gehören in die Wildnis, die Natur ist keine Idylle, sondern dem Menschen gegenüber reichlich indifferent. Vermenschlicht wird in Tigernest nichts, was animalisch ist.
Nach Ansicht von Sönke Wortmanns Komödie Der Nachname – am Filmtitel unschwer als Sequel des enorm erfolgreichen Der Vorname zu erkennen – wünscht man sich dann auch gleich in die Einöde, dorthin, wo es keine Verwandten hat. Wieder wird die dysfunktionale Familie Böttcher/Berger auf engem Raum zusammenpfercht, in einem Ferienhaus in diesem Fall, um sich nahezu von Beginn bis zum Ende des Films leidenschaftlich zu malträtieren und zu streiten. Dieses Mal ist die neue Beziehung von Mutter Dorothea (Iris Berben) Anlass für diverse Eskalationen. Der Vorname war, wie auch Sönke Wortmanns Contra, eine Variation einer französischen Vorlage. Die gibt es im Fall von Der Nachname nicht, und man ahnt, dass es nun vergleichsweise schematisch zugeht. Hat schon seine Gründe, dass Wortmann sich so gerne bei französischen Autoren bedient…
Harter Schnitt und maximaler Kontrast: der Kinderfilm der Woche – Die Mucklas und wie sie zu Pettersson und Findus kamen. Sven Nordqvists Pettersson und Findus-Reihe hat, mitsamt den dazugehörigen Filmen, die inoffizielle Nachfolge von Astrid Lindgrens Bullerbü-Büchern angetreten. Eine ländliche Idylle voller ganz sanft verschrobener Figuren, in der alles friedfertig und gut ist. Erholung und Entspannung, auch für erwachsene Zuschauer:innen. Oder auch gerade für die. Regress allerorten.
Eine filmfilter-Besprechung von Illusions perdues / Verlorene Illusionen finden Sie hier, denn erstens handelt es sich dabei quasi um die Urmutter aller Fake-News-Stories (Zeitungsenten hießen die zu jener Zeit, in der der Film spielt), und zweitens hat Gérard Depardieu darin ein Faible für Ananas.