Anti-Idylle

Neu im Kino KW 3

Moneyboys, 2021, C.B. Yi

Filme von Guillermo del Toro („Nightmare Alley“), C.B. Yi („Moneyboys“) und Emmanuelle Bercot („In Liebe lassen“): Frohsinn sieht anders aus. Da hilft ein Gegenmittel aus Serbien von Srdjan Dragojevic bzw. Gesangsanimation directed by Garth Jennings.

Dass Guillermo del Toro das Medium Kino liebt, sieht man jedem Bild seiner Filme an; selbst noch dem weitgehend besinnungslosen Geboller von Pacific Rim. Sein neuer Film Nightmare Alley schließt ästhetisch an die Sechzigerjahre-Phantasie The Shape of Water (2017) an: Beide sind voller Reminiszenzen an das Kino der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Hier sind es vor allem die tiefschwarzen Ecken des Hollywood-Films, an die erinnert wird. Nightmare Alley ist kein Remake des gleichnamigen Films von 1947 (Regie: Edmund Goulding), aber die zweite Verfilmung der Romanvorlage von William Lindsay Gresham. Aus dem desillusionierenden Schwarzweiß in Gouldings Film wird bei del Toro ein farbensattes Stück Immersionskino, das ohne Überwältigungsästhetik auskommt. Und neue zeitgenössische Möglichkeiten entwickelt, ans klassische Hollywood-Kino anzuschließen.

Nightmare Alley, 2021, Guillermo del Toro

In China, jenem Land, in dem wirtschaftlicher Fortschritt gesellschaftlichem Stillstand gegenübersteht und sich daher ein riesiger Riss zwischen Stadt- und Landmenschen aufgetan hat, spielt ein österreichischer Film namens Moneyboys. Sein zunächst in Südchina und dann in der Steiermark aufgewachsener und an der Filmakademie Wien bei Haneke, Seidl und Kameramann Christian Berger ausgebildeter Schöpfer greift darin ein Tabuthema seines Herkunftslandes auf – und tritt deshalb international unter dem Künstlernamen C.B. Yi auf. Gedreht in Taiwan, erzählt Moneyboys von jungen hübschen Männern, die sich nicht als Kellner oder Bauarbeiter, sondern als homosexuelle Prostituierte verdingen, um ihren im Dorf zurückgebliebenen Familien dabei zu helfen, über die Runden zu kommen. Allein: Die Familie des Protagonisten Fei möchte das nicht. Es ist ein komplexer Film, auf den man sich voll und ganz einlassen muss, sonst wird man daraus nichts mitnehmen. In Cannes wurde Moneyboys in der Reihe Certain Regard gezeigt, man merkt seiner strengen Kadrage und seinem starken Gefühl für Nähe und Distanz zu den Figuren die Beschäftigung seines Regisseurs mit den Werken der Größten seines Fachs an, u.a. mit dem taiwanesischen Auteur Hou Hsiao-hsien (ein Gespräch mit C.B. Yi gibt es im filmfilter-Podcast).

Auch der nächste Film ist kein frohgemuter: Der 40-jährige Benjamin (Benoît Magimel) ist an Krebs erkrankt und will nicht wahrhaben, dass er bald wird gehen müssen. Seine Mutter (Catherine Deneuve), sein Arzt (Gabriel A. Sara) und eine Krankenschwester (Cécile de France) begleiten den sterbenden Mann durch sein letztes Jahr. Der deutsche Titel, In Liebe lassen, trifft Haltung und Atmosphäre des Films von Emmanuelle Bercot nicht so genau wie der offenere französische, De son vivant (Zu seinen Lebzeiten). Sehr schön: die Verwendung der Soap&Skin-Version von „Voyage Voyage“. De son vivant fällt am Ende nicht so bedrückend aus wie vergleichbare Produktionen (man erinnere sich etwa an Andreas Dresens Halt auf freier Strecke, auch wenn es wehtut). Aber tanzen gehen will man nach dem Film wahrscheinlich auch nicht; oder eben gerade doch.

Stellen Sie sich vor, ein Film beginnt mit folgendem Dialog. Ein kleiner Bub sagt: „In der Schule lästern sie, dass ich keine Air Spike Sneakers habe. Sie sagen, ein stinkender Flüchtling wie ich müsse dafür auf den Strich gehen.“ Und die Mama entgegnet: „Geh ruhig auf den Strich. Uns ist schon Schlimmeres passiert.“ Dann wissen Sie, damit findet die Kino-Depression dieser Woche ihr Ende. Bzw. ist sie so stark geworden, dass man ihr nur mit vergnügtem Sarkasmus begegnen kann. Der Dialog ist im Original auf Serbisch; der Autorenfilmer, der ihn geschrieben und die sich daran anschließende Groteske Der Schein trügt inszeniert hat, heißt Srdjan Dragojevic. Er setzt seinem Familienvater Stojan einen buchstäblichen Heiligenschein auf, der zunächst alle attrahiert, aber bald nervt und sich durch keine noch so schlimme Sünde mehr eliminieren lässt. Das postsoziale Europa seziert Der Schein trügt mit beißendem Humor.

Schließlich: Das Sing-Sequel. Warum die US-amerikanischen Kritiker:innen es nicht so lieben wie das Original aus dem Jahr 2016 – oder wie andere heiter-musikalische Animationsfilme aus dem Hause Illumination Entertainment –, bringt Peter Debruge, jener bereits in unserer Nightmare-Alley-Kritik zitierte Kollege von „Variety“, so auf den Punkt: „Another easy-to-swallow confection designed to maximize audience delight, whether on first or fortieth viewing, although this time, there’s almost zero nutritional value.“ Matthew McConaughey und Reese Witherspoon mögen keinen narrativen Nährwert produzieren, stimmlich sind sie aber wieder auf der Höhe.