Zauber und Zinnober

„Nightmare Alley“, das jüngste Werk des Magiers Guillermo del Toro. Jetzt im Kino.

Sinistre Fabel über die grausame Ausrechenbarkeit der menschlichen Natur: „Nightmare Alley“ von Guillermo del Toro, mit Bradley Cooper, Rooney Mara und Cate Blanchett.

Wie das schon los geht! In einer heruntergekommenen Bruchbude irgendwo im Nirgendwo schleift ein verschattet bleibender Finsterling irgendein schweres Trumm über den dreckigen Boden. Ein Paket, in dem die geschulte Zuschauerin freilich sogleich den eingehüllten Körper erkennt und den Leichnam vermutet. Als der Brocken dann in der Zimmermitte in einem Loch versenkt und angezündet wird und bald darauf der Finsterling die mittlerweile lichterloh brennende Elendsbehausung hinter sich lässt und aus dem Bild stapft, ist zumindest eines schon mal klar: Hier hat einer mit seiner Vergangenheit abgeschlossen und ist aufgebrochen Richtung Horizont, wo bekanntlich das Neue liegt, das gemeinhin als Verbesserung des Aktuellen imaginiert wird.

Wessen Brandopfer in der Hütte dargebracht wurde und ob dies freiwillig geschah – wir wissen es nicht, mutmaßen aber natürlich, dass der Fremde fortan ein düsteres Geheimnis mit sich schleppt. Der schwarze Fleck, er mag hinter ihm liegen, er ist aber auch ein Kainsmal, vorne, auf seiner Stirn.

Rooney Mara, Bradley Cooper in Nightmare Alley

Dabei ist der Junge, pardon, der junge Mann recht ansehnlich (kein Wunder, er wird gespielt von Bradley Cooper) und in manch raren Momenten schleicht sich die verlorene Unschuld zurück in sein Gesicht, zusammen mit Charme, Erstaunen, Begeisterungsfähigkeit und einer ganz leisen, ganz kleinen, kaum zugelassenen Hoffnung auf Glück. Sein Pech ist, dass auch er, wie so viele, dem Irrtum erliegt, Glück sei nur mit der Hilfe von Geld zu erlangen. Und also geht es munter voran auf dem Weg in Unheil, Finsternis und Hölle. Den Guillermo del Toro, der Meister der düsteren Märchen, genießerisch in prachtvolle, dunkelgoldene Bilder übersetzt, in denen das einzig Wahre die Gefühle sind. Damit fügt sich Nightmare Alley nahtlos ein ins Oeuvre del Toros, das den fantastisch gestalteten Räumen huldigt, in die hinein er empfindsame Wesen bannt, denen er sodann die Haut abzieht. Bis sie da stehen, auf eine fundamentale Weise nackt und bloß und ausgeliefert den schicksalhaften Mächten.

Nightmare Alley ist, wir dachten es uns bereits, ein Film noir, oder ein Neo noir, oder ein Remake des gleichnamigen Films von Edmund Goulding aus dem Jahre 1947 mit dem unvergleichlichen Tyrone Power in der Rolle des Untergehers, oder vielmehr die Neuverfilmung des 1946 erschienenen Romans von William Lindsay Gresham. So oder so ist es die Geschichte von Stanton Carlisle, der auf der Suche nach dem Glück beim Zirkus landet (wo sonst?), dort sein Talent als „Wahrsager“ entdeckt, diese Gabe zum Werkzeug der Manipulation perfektioniert und zur Betrügerei nutzt, Geld scheffelt, zu gierig wird, an die falsche Frau gerät… undsoweiter, man kennt die Story. In den Händen del Toros freilich laden die bekannten Genre-Tropen sich auf mit übergreifender Bedeutung – und in den Händen der richtigen Schauspieler:innen erhalten sie existenzielles Gewicht. Neben Bradley Cooper nehmen sich unter anderen Rooney Mara, Cate Blanchett, Willem Dafoe und David Strathairn der Figuren an, die allesamt, doch jede auf ihre eigene Weise, verloren sind.

Bradley Cooper, Cate Blanchett

Was aber will uns Heutigen diese Geschichte aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts erzählen? Ist Nightmare Alley mehr als retroschicker Ausstattungs- und Kostümschinken mit, zugegeben, hohem Unterhaltungswert? Auf diese blöde Frage gibt Kollege Peter Debruge in „Variety“ eine gescheite Antwort: „A gorgeous, fantastically sinister moral fable about the cruel predictability of human nature and the way entire systems – from carnies and con men to shrinks and Sunday preachers – are engineered to exploit it.“ Von Jahrmarktschreiern und Bauernfängern zu Psychiatern und Sonntagspredigern also… die Strukturen der Ausbeutung, die Muster auf die diese zielt, sie haben sich nur wenig geändert. Von der Wahrsagerei über den Aberglauben zur Psychologie zieht die Sehnsucht nach dem Sinn an einem Strang. Und wir erinnern uns: der Zirkus, Rummel, Jahrmarkt mit seinen Sideshows, Abnormitäten, Freaks, Geeks und Zwergen, den starken Männern und den bärtigen Frauen – er gilt nicht nur als Spiegelbild der Welt in nuce, er ist auch jener magische Ort, an dem diese Bilder das Laufen einst gelernt haben. Mit Nightmare Alley kehrt del Toro mithin zurück an die Wiege und schunkelt ein monströses Baby. Er, der Schausteller, der Regisseur, der uns verführt mit seinen Trugbildern; der Filmemacher als Zauberer und Scharlatan.

 

Nightmare Alley 
USA 2021, Regie Guillermo del Toro
Mit Bradley Cooper, Cate Blanchett, Rooney Mara, Willem Dafoe, Toni Collette, Richard Jenkins, Ron Perlman, David Strathairn
Laufzeit 150 Minuten