„Triangle of Sadness“: ein cleverer, vergnüglicher und wieder wenig subtiler Aufruf zur Errichtung des Sozialismus von Doppelgoldpalmengewinner Ruben Östlund.
Triangle of Sadness ist ein sehr gebauter, an nicht wenigen Stellen hochkomischer und von der eigenen Cleverness zumindest nicht allzu sehr berauschter Film. Oder noch mal anders: Zahlreiche „Ich gehöre zum europäischen Autorenkino und werde bestimmt wieder im Wettbewerb von Cannes gezeigt“-Ingredienzen (zum Beispiel Einteilung in drei Kapitel, Kammermusik-Soundtrack, ein enervierend offenes Ende) verdecken nur sehr durchlässig, dass Ruben Östlunds neuer Film alles in allem wieder einmal recht rustikal gedacht ist. Die etwas abstrakt anmutende Inszenierung suggeriert Intellektualität und Metaebene. Dabei wird hier, wie auch im Falle von Östlunds Kunstmarkt-Satire The Square oder der Männlichkeitsdekonstruktion Höhere Gewalt, mit dem Holzhammer operiert. À propos Cannes: Für The Square gab es 2017 die erste Goldene Palme, für Triangle of Sadness, den Folgefilm, zuletzt die zweite.
Und der Hammer drischt auf das Sujet in Triangle of Sadness ganz schön ein. Zur Verbildlichung der omnipräsenten Klassen- und Geschlechterkämpfe, die das Thema dieses Films sind, hat Östlund das seit der Überfahrt der Titanic als Motiv, Metapher und Mikrokosmos etablierte Kreuzfahrtschiff gewählt. Es ist vollbesetzt mit überdurchschnittlich erfolgreichen Vertretern der Bourgeoisie – vom etablierten, traditionsbewussten Kapital (ein britisches Waffenhersteller-Ehepaar) bis hin zu jüngeren, spektakulären Auswüchsen (russische Superreiche). Die Bediensteten repräsentieren das Proletariat und das Kleinbürgertum, außerdem sind noch zwei sehr hübsche, aber gesellschaftlich weitgehend nutzlose Influencer (Harris Dickinson und die kürzlich viel zu jung verstorbene Charlbi Dean) mit an Bord. Der Kapitän (Woody Harrelson) säuft und ist Marxist und verkörpert an Bord so etwas die kritische Intelligenz.
Als das Schiff ins Schaukeln gerät, lässt Östlund die Leinen los und die Angehörigen der herrschenden Klasse in einer fürchterlichen Kotz- und Kackschlacht durch Erbrochenes und andere Ausscheidungen rutschen. Während der Kapitän und der Vertreter des postsowjetischen Kapitals sich sturzbesoffen Lenin- und Reagan-Zitate an den Knopf knallen. Triangle of Sadness ist, wie gesagt, ein grober und lustiger Film.
Die Aggression gegenüber seinen Figuren kommt von Herzen, in dieser Sequenz wie auch in vielen anderen. Trotzdem kann man diese Figuren auch, nein, nicht mögen – aber man kann sich in ihnen wiedererkennen. Und die, die sich in diesem Porträt der Privilegierten unmittelbar wiedererkannt haben, scheinen die Mischung aus direkter filmischer Ansprache und Komik tatsächlich zu schätzen. „Ich habe Triangle of Sadness“ einigen Superreichen vorgeführt, und sie lieben ihn“, hat Östlund der FAZ erzählt. „Sie haben so gelacht, am lautesten an der Stelle: Hört auf mit der Scheiße und zahlt lieber Steuern!“ Es sei nämlich nicht so, dass arme Menschen authentisch, großzügig und lieb und Reiche dagegen egoistisch und oberflächlich seien. „Nein, Millionäre sind nett, genauso wie die meisten Celebrities nett sind. Erfolgreiche Menschen haben meist viele Social Skills. Marx hatte kein Problem damit, mit einem Fabrikbesitzer befreundet zu sein, während er für eine gleichberechtigte Gesellschaft kämpfte.“
Im dritten Akt wird ein weiterer klassischer Mikrokosmos reaktiviert, die einsame Insel, auf der eine disparat zusammengesetzte Gruppe Überlebender in ein Herr-der-Fliegen-Szenario gerät. Letzteres sieht hier über weite Strecken aber vergleichsweise zivilisiert organisiert aus, da die Klofrau der Yacht – die einzige unter den Gestrandeten, die Fische fangen und Feuer machen kann – flugs ein Matriarchat errichtet und damit beginnt, einen der Influencer sexuell auszubeuten. Im Tausch gegen Salzstangen.
Die eigene Reißbretthaftigkeit – erst die Vorführung von Klassengesellschaft, dann die Umdrehung der Machtstrukturen – trägt Triangle of Sadness freudig vor sich her. In dem Witz, mit dem er alles bedenkt außer sich selbst (wer Marxismus plus filmische Selbstreflexion sehen will, sollte es lieber mit Blutsauger versuchen), steckt auch eine Menge Überheblichkeit, die sich auf die Zuschauer:innen überträgt. Auch das macht natürlich Spaß.
Blöd ist der Film trotzdem nicht. „Wir können damit anfangen, uns von der Mär des superreichen Kapitalisten-Schurken zu trennen“, sagt Östlund. „Den gibt es nicht.“ Stattdessen gibt es in seinen Filmen eine durchweg würstchenförmige Ansammlung von Menschen, die alle aufgespannt im selben gesellschaftlichen Zusammenhang agieren und uns, von einem superior agierenden Regisseur mit Fäkalien beworfen, zum Lachen bringen. So gesehen ist Triangle of Sadness ein Aufruf zur Errichtung des Sozialismus, allerdings einer, der ohne jeden Leidensdruck auskommt.
Triangle of Sadness
SE/UK/DE/FR/GR/TR 2022, Regie Ruben Östlund
Mit Harris Dickinson, Charlbi Dean, Woody Harrelson, Dolly De Leon
Laufzeit 147 Minuten