The Zone of Interest

Die Banalität des Bösen – im Kino

Glazer, Hüller, The Zone of Interest
The Zone of Interest, 2023, Jonathan Glazer

„The Zone of Interest“: das unerhört idyllische Leben der Familie Höß vor den Toren von Auschwitz – meisterhaft nüchtern inszeniert von Jonathan Glazer.

Unvorstellbar. Unbegreiflich. Ungeheuerlich. Beispiellos. Singulär. Außerordentlich. Das sind so die Vokabeln, die bei diesem Thema häufig ins Spiel kommen. Und doch steht man dann da, in der Gaskammer, im Krematorium, zwischen den Baracken, vor den Bergen von Schuhen, Koffern, Haaren, vor Ansammlungen ausgebrochener Goldzähne und Lampenschirmen aus tätowierter Haut. Und es ist ganz konkrete Wirklichkeit, gegenständlich und zum Anfassen, wären da nicht die Glasscheiben.

Wie durch eine Glasscheibe richtet auch The Zone of Interest von Jonathan Glazer den Blick auf das Leben der Familie des Rudolf Höß, der von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz war, sowie 1944 Verantwortlicher der sogenannten „Ungarn-Aktion“, im Zuge derer in etwa 50 Tagen etwa 430.000 ungarische Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Der distanzierte Blick auf das Geschehen ist zunächst einmal eine Gnade, denn wer will es an solcher Stelle schon mit schauspielerischen Identifikationsangeboten zu tun bekommen. Mit Schrecken erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an Bruno Ganz‘ Kopie von Adolf Hitler während der letzten Tage im Führerbunker, die in Oliver Hirschbiegels Der Untergang (2004) gar nicht anders konnte als die Grenze zur Charge mehrmals deutlich zu überschreiten.

Dass die Schauspielerin eine Figur buchstäblich in den Körper aufnehmen muss, um sie spielen zu können, und solcherart also gefährdet ist, dem Monströsen instinktiv menschliche Dimension zu verleihen – das war einer der Gründe, die Sandra Hüller lange zögern ließen, die Rolle der Hedwig Höß in The Zone of Interest zu übernehmen: Mutter von fünf Kindern, treu sorgend den Auschwitzer Haushalt schmeißend und besonders stolz auf ihren großen Blumen- und Gemüsegarten, auch Kräuter hat’s, ein richtig großes Plantschbecken sowie eine Pergola, in der es sich gemütlich sitzt. Zum Glück hat sie, Hüller, sich dann doch überzeugen lassen, nicht zuletzt von Glazers dem Ungeheuerlichen gerecht werdenden Inszenierungsansatz, von diesem selbst einmal als „Big Brother im Nazi-Haus“ treffend apostrophiert.

Was heißt das?

Aus naheliegenden Gründen dürfen auf dem Gelände des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau keine Spielfilme gedreht werden; also wurde ein in der Umgebung leerstehendes Einfamilienhaus zum Haus der Familie Höß umfunktioniert und ein Garten angelegt. Während der Dreharbeiten kamen, teils sogar versteckt, bis zu 10 Kameras und bis zu 30 Mikrofone zum Einsatz. Dieses Setting ermöglichte es den Schauspieler:innen, sich unbefangen im Raum zu bewegen und frei zu sprechen, auch zu improvisieren; mit 800 Stunden Material ging es anschließend in den Schneideraum. Die Kameras bleiben insgesamt auf Distanz, kommen dem Geschehen allenfalls halbnah, hin und wieder gibt es Fahrten, jedoch keine extravaganten Bewegungen, das Licht bleibt natürlich, die Farben werden kaum bearbeitet; alles mit dem Ziel, so Glazer, „to keep the movie trickery to a minimum“.

Was es hingegen gibt, sind wie Negative wirkende Aufnahmen mit Infrarot-Kameras, die dem Postkarten-Idyll, das sich im Vordergrund der ununterbrochen lärmenden Mord-Maschine darstellt, kleine Gesten der Menschlichkeit einflechten: sie zeigen ein Mädchen, das nachts zu den Orten der Zwangsarbeit radelt und dort Äpfel für die Gefangenen versteckt. Und allein schon die Aufnahmetechnik siedelt diese Szenen mit Entschiedenheit „auf der anderen Seite“ an.

Doch auch diesseits, im Bildpositiv, gibt es ein Jenseits, das der Mauer. Die Hölle vor unseren Augen ist die Gleichzeitigkeit eines gutbürgerlichen Familienlebens mit dem Zivilisationsbruch des Holocaust. Auf dem Filmplakat in schwärzester Schwärze dargestellt, in The Zone of Interest ersichtlich als hinter der mit Stacheldraht bewehrten Mauer aufragende Barackenreihe, vor allem aber zu hören. Solcherart befand sich das Anwesen der Höß’, unmittelbar am Lager, getrennt nur durch eine dünne Mauer. Während also Hedwig, die „Königin von Auschwitz“, ihrem Kleinkind den Marienkäfer zeigt und den Rosenduft nahebringt, dringen über die Mauer Schüsse, Schreie, das Getöse der Vernichtung. Nachts glüht der Himmel von den heißlaufenden Krematorien, wenn der Wind ungünstig steht, holt man besser die Wäsche rein, Baden im Fluss empfiehlt sich nicht, wenn Asche verklappt wird.

The Zone of Interest – der sich einiger Motive des gleichnamigen, 2014 erschienenen Romans von Martin Amis bedient und dessen Titel sich auf die als „Interessengebiet“ bezeichnete Sperrzone um das KZ Auschwitz bezieht – ist ein nüchternes, analytisches, von leidenschaftlicher Intelligenz durchdrungenes Meisterwerk. Sein Gelingen hat es nicht zuletzt dem furchtlosen Spiel von Christian Friedel in der Rolle des Rudolf Höß und von Sandra Hüller in der Rolle der Hedwig Höß zu verdanken; auch das Sounddesign und die Musik von Mica Levi tragen dazu bei, dass innerhalb einer klug und künstlerisch strukturierten Form ein eiskaltes Feuer der Erkenntnis lichterloh brennt.

 

The Zone of Interest
USA/UK/Polen 2023, Regie Jonathan Glazer
Mit Sandra Hüller, Christian Friedel
Laufzeit 105 Minuten