Daueranspannung

Unbedingte Empfehlung: „Das Lehrerzimmer“ – im Kino

Çatak, Benesch, Das Lehrerzimmer
Das Lehrerzimmer, 2023, İlker Çatak

„Das Lehrerzimmer“: İlker Çataks bereits vielumjubelter Film entfaltet ein konfliktreiches, ambivalentes Bild des deutschen Schulwesens – und gilt gleichso für Österreich, wo er nun auch im Kino anläuft.

Man ist doch immer wieder erstaunt, wie vermurkst und vergeigt organisiert ein so elementarer Zusammenhang wie das Schulwesen ist. Überladen mit Anforderungen, Vorstellungen, geheimen Lehrplänen, die oft nicht einmal den Lehrenden bewusst sind, und einem Disziplinarauftrag. Und mittendrin zumindest anfangs lernfreudige Schüler:innen, die ihren ersten wirklichen Kontakt mit einer staatlichen Institution machen – vermutlich nicht selten gefolgt von Ernüchterung. Und Lehrer:innen, die ihren Job mal mehr, mal weniger engagiert verrichten.

Man soll aber die Anzahl von Menschen im Lehrpersonal nicht unterschätzen, die Vermittlung von Wissen aller Art als eine Berufung und nicht als Job verstehen. Auch hier allerdings greift allzu oft eine destruktive Institutions- und Verwaltungslogik, und schnell setzt Verschleiß ein.

İlker Çataks Film Das Lehrerzimmer entfaltet ein Bild des deutschen Schulwesens, das von einem überdurchschnittlich heftigen Konflikt ausgeht und von da aus sowohl Besonderes wie auch Exemplarisches ins Bild setzt. Die junge Lehrerin Carla (Leonie Benesch), im ersten Jahr an ihrer neuen Schule, gerät in Konflikt mit dem übrigen Lehrpersonal. An der Schule wird geklaut, die Schüler:innen werden verhört und dazu angehalten zu petzen. Natürlich immer mit dem pädagogisch bewussten Satz „Du musst nichts sagen, wenn du nicht willst“; den natürlich keiner der durchweg wachen Schüler:innen hier glaubt.

Çatak, Das Lehrerzimmer

Die Ermittlungen führen erst einmal zu nichts, außer zur Verdächtigung eines türkischstämmigen Schülers, der mit seinen Eltern zum Gespräch gebeten wird. Der Verdacht wird ausgeräumt, und die Lehrer:innen wirken, als hätten sie nicht so wirklich darüber nachgedacht, warum hier direkt gleich mal der Schüler mit Migrationsgeschichte in der Familie rausgegriffen wurde. Weil das hier aber keine öffentlich-rechtlich produzierte Vorabendserie ist, sondern ein Film, der konstant Ambivalenzen ins Zentrum setzt (Drehbuch-Kollaborateur: Johannes Duncker), glänzt hier auch der Vater nicht mit Feingefühl: „Wenn mein Sohn klaut, brech ich ihm die Beine.“

Clara ist mit dem ganzen Prozedere nicht einverstanden, geht aber auch nicht in offene Konfrontation. Stattdessen Eigeninitiative: Sie filmt mit ihrer Laptopkamera heimlich im Lehrerzimmer, und es wird klar, dass es nicht die Schüler:innen sind, die hier klauen, sondern jemand anders. Von da an wird es kompliziert und schmerzhaft, der Diebstahl ist belegt, aber eine Kamera im Lehrerzimmer ist natürlich datenschutzrechtlich nicht in Ordnung. Der Fall zieht immer weitere Kreise, und Das Lehrerzimmer nutzt ihn, um unter konstanter Daueranspannung zu zeigen, welche sozialen Dynamiken das Schulwesen durchziehen und bestimmen.

Das ist nicht nur analytisch von einer großen Schärfe, sondern schlicht auch sauspannend und intensiv. Alles wird immer wieder angetippt und variiert: Lehrer-Schüler-Bindung, Vertrauensfragen, Mobbing, alles da (zum Thema Mobbing sei auch an diesen Film erinnert, der vor einem Jahr in die Kinos kam). In Das Lehrerzimmer gleitet die Kamera durch die Räume, und die wirken nicht so, als seien sie von freien Menschen gestaltet, sondern als würden sie selbst die Menschen, die in ihnen lehren und lernen sollen, gestalten.

Clara ist, bei allen Fehlentscheidungen, eine ungemein kämpferische, positive Figur. Eine der Lehrer:innen, an die man sich sein Leben lang erinnert, weil sie die Bindung zwischen Erwachsenem und Kind ins Zentrum ihrer Arbeit setzen und alles weitere, bis zur Konfliktlösung, von da aus organisieren. Und sie sagt einen der wahrsten Sätze, den man aufgebrachten Eltern als Lehrerin sagen kann: „Es geht um Ihren Sohn. Wenn wir versagen, dann gemeinsam.“

 

Das Lehrerzimmer
Deutschland 2023, Regie İlker Çatak
Mit Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Anne-Kathrin Gummich
Laufzeit 98 Minuten