Mobbingterror unter Schutzbefohlenen: Der belgische Film „Un Monde“ / „Playground“ zeigt, was Kinder und Jugendliche einander antun. Nun wurde „Playground“ mit dem Publikumspreis bei Crossing Europe ausgezeichnet, er läuft derzeit im Wr. Stadtkino.
Man kann Mobbing in der Schule als Aufhänger für eine Plotentwicklung nehmen, ein Grund für Rache zum Beispiel, oder für die Erklärung. Nur wenige gewaltsame Tode junger Menschen auf der Leinwand erscheinen einem so gerecht wie (imaginäre) Massaker unter den Schulbullys zum Beispiel in Carrie oder Let the Right One In. Die belgische Regisseurin Laura Wandel hat für ihr Spielfilmdebüt Playground allerdings alles weggestrichen, was nicht zu dem Phänomen gehört, das sie in ihrem Film ausschließlich interessiert: wie Kinder oder auch Jugendliche sich gegenseitig fertig- und kaputtmachen können. Der französische Titel, Un Monde, trifft es besser: Es ist wirklich eine abgeschlossene Welt, in die man hier Einblick erhält. Und das erste, was einem an der eigentlich unauffälligen, stillen Konstruktion der Bilder hier auffällt, ist, wie weit die Erwachsenen (Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, eine vollends nutzlose Pausenaufsicht) hier als letzten Endes hilflose Instanzen bestenfalls aus der Ferne mitbekommen, was die Schutzbefohlenen einander antun.
Die siebenjährige Nora (von Maya Vanderbeque mit stiller Intensität gespielt) geht auf eine neue Schule und hat Angst, ihr Bruder Abel (Günter Duret) ist schon dort. Zuerst schaut sie zu ihm auf und sucht Schutz vor einer Welt, in der sie noch alleine ist. Sehr schnell, eigentlich schon nachdem sich die beiden zum ersten Mal auf dem Schulhof begegnen, merkt Nora, dass ihr großer Bruder, hier niemand ist, zu dem sie aufschauen kann. Wobei „merken“ zu schwach ist. Laura Wandel hat im Verbund mit ihrem Kameramann Frédéric Noirhomme Bilder gefunden, die Zuschauerin und Zuschauer dieselbe Zeuginnenposition einnehmen lassen wie Nora. Die Gewalt findet überwiegend unscharf am Bildrand oder gleich im Off statt. Playground konzentriert sich auf die Reaktionen von Nora, die mit ansehen muss, wie ihr Bruder in der Pausenhofhierarchie sturzbachartig nach unten rutscht. Abels Kopf wird ins Schulklo gedrückt, er pinkelt sich in der Mensa in die Hose und wird in einen Müllcontainer geschmissen.
Wie genau und intelligent das alles überlegt ist, merkt man, wenn man bewusst auf die Cadrage achtet. Die Köpfe der Erwachsenen ragen meist über den Bildkader hinaus. Erziehungsberechtigte tun hier entweder gar nix oder das Suboptimale, um die Kinder, die ihnen anvertraut sind, zu retten. Die Lehrerin, der es als einzige gelingt, empathisch (wenn auch gleichfalls hilflos) gegenüber Nora auf den Mobbingterror zu reagieren, verlässt noch im laufenden Jahr die Schule.
Weil sie selbst nicht allein sein will, fängt Nora an wegzusehen, später wird sie ihren Bruder verleugnen. Die Gewalt zerstört Verbundenheit und Zuneigung, und bei der Intensität, die Playground erzeugt, indem er die unübersehbar verletzbaren Körper der Kinder mit ihr konfrontiert, war ich recht froh, dass der Film nach gerade einmal 70 Minuten vorbei ist.
Es bleibt auch sonst bleibt nicht viel Hoffnung in diesem Film, der eben nicht mit einer Rachekatharsis endet, sondern mit einer Art Einreihung in die Schulhierarchie. Playground zeigt viel und lässt es nacherlebbar werden. Was eben auch bedeutet, dass dieser Film unheimlich unangenehm ist. Es gibt eigentlich nichts Schönes in dieser Welt, und deswegen fallen die drei Momente, in denen Menschen hier einander trösten, umso stärker ins Gewicht. Das Erdrückendste sind aber nicht die Gewaltakte selbst, in ihrer gnadenlosen Banalität, sondern ihr zerstörerischer Nachhall. Am Ende muss das Erlebte weitergegeben werden. Irgendein Schwächerer findet sich, für die meisten, immer.
Playground / Un Monde
Belgien 2021, Regie Laura Wandel
Mit Maya Vanderbeque, Günter Duret, Karim Leklou, Laura Verlinden
Laufzeit 72 Minuten