The Actress King

Anlässlich des Kinostarts von „The Woman King“: Viola Davis im Porträt

Viola Davis, How to Get Away with Murder
How to Get Away with Murder (2014–2020), Peter Nowalk

Viola Davis ist „The Woman King“ in der Regie von Gina Prince-Bythewood – eine Paraderolle für eine der größten Schauspielerinnen des 21. Jahrhunderts.

Wenn Viola Davis einer ihrer Figuren diesen finsteren Blick aufsetzt, dann verändern sich die Größenverhältnisse im Raum. Alles um sie herum schrumpft, während sie selbst (mit 1,65 m keine Hünin) zugleich ins Riesenhafte wächst. Die solcherart angeblickte Person ist anschließend gerade noch groß genug, um unter den Teppich zu passen, während die Blickende unmissverständlich klar gemacht hat, wer hier das Sagen hat. Auch das uralte Sprachbild „Wenn Blicke töten könnten“ findet in Viola Davis’ mimischem Repertoire seine ein für alle Mal gültige Entsprechung. Dabei ist die Figur, die derart blickt, keineswegs immer auch in einer Position der Macht. Aber moralische Überlegenheit, verletzter Stolz, geborenes Selbstbewusstsein und/oder Charakterfestigkeit brauchen eben im Grunde auch keine Macht, um gültigen Ausdruck zu finden. Die Aura, die Viola Davis ihren Figuren so mühelos verleihen kann, ist eine der natürlichen Autorität und unbedingter Würde. Sie schützt auch die einfache, bescheidene Ehefrau und Mutter (Rose Maxson in Fences, Denzel Washington, 2016), die für selbstverständlich genommene Haushaltshilfe (Aibileen Clark in The Help, Tate Taylor, 2011) oder die hart arbeitende Krankenschwester (Lynnette Peeler in der Fernsehserie City of Angels, 2000) vor jener Herablassung, mit der es schwarze Frauen (nicht nur) in weißen Kontexten (öfter als nicht) zu tun bekommen.

Was nun genau nicht heißt, dass es sich bei Figuren von Viola Davis bevorzugt um verbitterte, verhärmte, enttäuschte oder gar eingetrocknete Xanthippen handeln würde, deren Haltung zur Welt von einem der Erfahrung von Ausgrenzung geschuldeten Zynismus bestimmt wird. Eher im Gegenteil: Es ist die Lust aufs Leben, ist die Gabe zum sinnlichen Genuss und das Bewusstsein ihres Rechts auf Teilhabe, das sie kämpferisch macht, ihr die Angriffslust verleiht und den Durchsetzungswillen. Ziemlich beeindruckend demonstriert dies die Figur der Veronica in Widows (Steve McQueen, 2018). Sitzengelassen auf einem Berg von Schulden – angefallen, weil der letzte Coup ihres Verbrecher-Mannes spektakulär schief ging – lehrt sie das kriminelle Kartell, das ihr nunmehr ans Leder will, das Fürchten. Und zwar so richtig!

Aber Viola Davis spielt eben auch immer den hohen Preis mit, den eine als Frau und als Schwarze doppelt Diskriminierte für ihre Ansprüche zu zahlen hat. Der Preis, der darin besteht, dass sie sich nach außen hin nichts anmerken lassen darf, keine Angriffsfläche bieten und keine Schwächen zeigen – und natürlich doppelt so hart arbeiten und doppelt so gut sein muss. Was dann dazu führt, dass diese Frauen aufgrund des enormen Drucks, der auf ihnen lastet, immer unter einer ungeheuren Spannung stehen. Mit am Spannendsten an Davis’ Schauspielerei sind denn auch die Risse und Brüche, die sie entstehen lässt, wenn der Panzer durchstoßen wird und es ihr nicht mehr gelingt, die Fassade aufrecht zu erhalten.

Eine meisterliche Studie in Zerbröckelung und Wiederaufrichtung ist die Figur der vielfach traumatisierten, dabei doch erfolgreichen Annalise Keating – Anwältin, Professorin und (more or less) functioning alcoholic – in der Serie How to Get Away with Murder (2014–2020). In ihrer Eigenschaft als Karrierefrau geht Keating unbeirrt ihren Weg, meist hat es sie es tatsächlich ziemlich eilig, und wer nicht unter die Räder kommen will, springt besser beiseite. Doch die ersten Angriffsflächen werden bald schon sichtbar – ihre Affäre mit einem Polizisten, ihr Misstrauen gegen ihren Mann, ihre keineswegs gesetzeskonformen Methoden –, und dann dauert es auch nicht mehr lange, bis wir sie schleudern sehen und aus einer Figur mit Potenzial zur Charge ein hochkomplexer Charakter wird. Sorgsam und nuancenreich macht Davis Keatings Innenleben sichtbar, verleiht ihr eine tief emotionale und höchst komplexe Menschlichkeit; und nicht zuletzt gewinnt die Frau an Dimension, weil die Last des Kampfes, den sie tagtäglich zu kämpfen hat, vorstellbar wird. Für ihre Darbietung erhält Davis 2015 als erste schwarze Frau einen Emmy. Es ist dies eine von stattlichen 105 Auszeichnungen, die die Internet Movie Database für Davis verzeichnet, begleitet von der auch nicht gerade minderen Anzahl von 197 Nominierungen.

Eine erstaunliche Karriere. Doch die Mühen der Ebene waren lang und die Hindernisse zahlreich. Geboren wird Viola Davis am 11. August 1965 in St. Matthews, South Carolina, sie wächst in Central Falls, Rhode Island, auf. Nach dem College absolviert sie eine Schauspielausbildung an der Juilliard School in New York. Sie arbeitet am Theater, fürs Fernsehen, im Film. Viele Nebenrollen und Kurzauftritte, in denen Davis üben konnte, wie man eine Szene stiehlt. Denn auch das weiß die IMDb: „Davis is one of five actresses to receive an Oscar nomination for a performance with less than 10 minutes of screen time.“ In Rede stehende Oscar-nominierte Szene trägt sich in Doubt (John Patrick Shanley, 2008) zu, in dem Davis die Mutter des ersten schwarzen Zöglings an einer christlichen Schule in der Bronx 1964 gibt, an der sich ein Missbrauchsskandal anbahnt. Die zweite Nominierung erhält sie 2011 für ihre Rolle in The Help und die Statuette selbst endlich 2016 für ihr Spiel in Fences – Denzel Washingtons Adaption des gleichnamigen Broadwaystücks –, für das sie auch mit dem renommierten Theaterpreis Tony ausgezeichnet wurde. Tony – Oscar – Emmy: Ein Dreiklang, der Viola Davis zur einzigen Afroamerikanerin macht, die die sogenannte „Triple Crown of Acting“ erlangt hat.

2020 setzt die New York Times Viola Davis auf die Liste der größten Schauspieler:innen des 21. Jahrhunderts. Endlich ist sie angekommen. Endlich ruft die Nennung ihres Namens bei einem breiteren Publikum keine Fragezeichen mehr hervor. Endlich können jene, die sie lange schon am Schirm hatten, damit prahlen, dass sie es „schon immer gewusst“ hätten. Und Viola Davis selbst hat einen Lauf: In der Serie The First Lady ist sie in der Titelrolle als Michelle Obama zu sehen; in ihrer Eigenschaft als Produzentin hat sie mehrere Dokumentar- und Spielfilmprojekte am Laufen, darunter The Color of Cola, der die Geschichte eines All-Black-Verkaufsteams recherchiert, mit dem Pepsi-Cola in den 1940er Jahren die Rassenschranken herausforderte; und bestimmt spielt sie auch irgendwo Theater.

Fast unnötig zu betonen, dass Davis’ Agenda nicht farbenblind ist, dass die Erfahrung der Black Americans in den USA vielmehr zentral ist für ihr Schaffen und dass ihr aktueller Film, The Woman King von Gina Prince-Bythewood, den sie auch mitproduziert hat, in diesem Kontext gesehen werden muss. Die im 19. Jahrhundert angesiedelte Geschichte der Generalin Nanisca, Anführerin einer weiblichen Einheit von Kriegerinnen, den Agojie, die im Dienst des afrikanischen Königreichs von Dahomey stehen, ist „von wahren Ereignissen inspiriert“ und derart farbenprächtig ausgemalt und narrativ breit angelegt, dass einem mitunter Hören und Sehen vergehen will. Doch das mit großem Aufwand, Detailtreue und historischer Akuratesse in Szene gesetzte Epos als reines Ethno-Action-Spektakel abzutun, geht am Punkt voll vorbei. Zugegeben, etwas mehr Politik und weniger Gepränge à la Hollywood hätte dem Film gut getan. Das ändert aber auch nichts daran, dass es nicht im Geringsten schaden kann, sich (einmal wieder) klar zu machen, welche Hochkulturen der Sklavenhandel in Afrika vernichtet hat. Und mit welch faszinierenden kulturellen Praktiken ein Kontinent gesegnet ist, den der Rest der Welt oft nur als Ort des Elends oder als Gelegenheit zur Ausbeutung wahrnimmt.

 

The Woman King
USA 2022, Regie Gina Prince-Bythewood
Mit Viola Davis, Thuso Mbedu, Lashana Lynch
Laufzeit 135 Minuten