Robert Pattinson zieht ein in die Bat-Höhle (Sky), Oscar Isaac ist ein traumatisierter Kartenspieler, Brad Pitt reist ins galaktische Herz der Finsternis, Leonardo DiCaprio zerbricht am amerikanischen Traum (alle drei auf Prime Video) und Joshua Jackson spielt den Neurochirurgen Dr. Death (Canal+).
Ich liebe den Batman als einen grüblerischen Kerl. In den 1960ern und 1990ern war er ein bisschen albern, was auch einen gewissen Camp-Charme hatte, aber als Tim Burtons Batman 1989 in die Kinos kam, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass ein Film über die Fledermaus mit Helfersyndrom noch trüber sein könnte. Christopher Nolan hat es mit seiner Dark Knight-Trilogie perfektioniert und politisch werden lassen. Die dreistündige Neuauflage The Batman von Matt Reeves (auf Sky, dazu alle bisherigen Batman-Kinofilme der vergangenen vierzig Jahre) setzt wirklich einen neuen Standard in Sachen Trostlosigkeit mit beklemmenden Chören und Dauerregen.
Reeves Vision ist ein regennasses Noir-Drama, das zurecht mit David Finchers Se7en und Zodiac verglichen wird. Es ist ein pechschwarzer Serienmörder-Krimi, in dem der Batman kein Superheld, sondern ein Detektiv ist, der mit seinen inneren Dämonen ringt – viele mögen das. Bruce Wayne, jetzt gespielt von Robert Pattinson, ist ein mürrischer, blasser Einprozentler, der droht, unter seinem White Privilege einzuknicken. Reeves nimmt mit The Batman auch Bezug auf das New Hollywood der Siebziger und Martin Scorseses Taxi Driver – quasi die Blaupause für die zerrissenen Leinwand-Männer der Moderne.
Apropos. Paul Schrader hat das Drehbuch zu Scorseses Klassiker geschrieben und der 76-Jährige US-Regisseur – der heuer in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhält – ist Experte für Männer, auf deren Schultern das Leid der Welt lastet. Sein jüngstes Exemplar, Oscar Isaacs weltmüder William Tell in The Card Counter (auf Prime Video), liegt genau auf einer Linie mit Schraders gebrochenen Einzelgängern wie dem Taxifahrer Travis Bickle, dem todessehnsüchtigen Priester Toller in First Reformed oder dem Rettungsfahrer Frank Pierce in Bringing Out the Dead: verzweifelte Männer, die nach einem Platz für sich selbst in der Welt suchen.
William Tell hat im Gefängnis das Kartenzählen gelernt. Er ist ein Mann ohne festes Zuhause, reist durchs Land, geht in Casinos, um Blackjack und Poker zu spielen. Er hat einen finsteren Blick, nippt nachts an seinem Whisky und hat dann Alpträume von seiner Zeit als Folterspezialist im berüchtigten Militärgefängnis Abu Ghraib. Es wäre auch kein Paul Schrader-Film, ginge es nicht um Schuld und Sühne. The Card Counter ist – wie die meisten Filme des Regisseurs – auch eine Charakterstudie darüber, wie Amerika kaputte Männer hervorbringt (unsere Kritik zum Kinostart).
Amerika bringt auch Männer wie Jay Gatsby hervor, die an ihren Illusionen zerbrechen. Der tragische Romantiker in Scott F. Fitzgeralds Literaturklassiker überwindet seine arme Vergangenheit, klettert im New York City der 1920er Jahre die soziale Leiter hinauf, um seine Jugendliebe zurück zu gewinnen, nur um von der Meute des „alten Geldes“ als Aufschneider und Blender abgetan zu werden.
Die opulente 3D-Verfilmung von The Great Gatsby (ab morgen auf Prime Video) von Kitsch-Meister Baz Luhrmann mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle und Carey Mulligan als Love Interest wurde von der US-Kritik 2013 recht gemischt aufgenommen, ist aber in vielerlei Hinsicht ein atemraubendes Spektakel mit einem melancholischen Herzen. Eine dekadente Opera seria mit sensationellem Soundtrack, dicht mit Jay-Z, Jack White und Lana Del Rey.
Ad Astra (2019) ist wie die vorgenannten Filme im Grunde einer, der auf großer Leinwand gesehen werden will, aber seit gestern gibt es das Drama von James Gray halt auch auf Prime Video. In seinem prachtvollen Kammerspiel reist Brad Pitt ins Weltall – und ins galaktische Herz der Finsternis, um an die Vernunft seines verrückt gewordenen Vaters (Tommy Lee Jones) zu appellieren, zum Mond, zum Mars und darüber hinaus, nicht sicher, ob er den alten Mann auch wirklich finden will. Neptun scheint ein furchtbar langer Weg für eine Familientherapiesitzung zu sein.
Es folgt eine klassische Weltraum-Odyssee, gestützt auf die mythische Odyssee von Homer, auf die philosophisch-psychedelische Space-Oper 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick und auf Joseph Conrads Erzählung „Herz der Finsternis“ (verfilmt von Francis Ford Coppola als Apocalypse Now). Die Geschichte vom verzweifelten Mann auf beschwerlicher Mission hat man schon unzählige Male lesen oder beobachten können, aber Ad Astra zerlegt den Heldenmythos. Am Ende steht keine Legende, kein Heros – nur ein Mann.
Wir schließen unsere Antiheldenschau mit einem Mann, der hier etwas aus der Reihe fällt. Erstens gibt es ihn wirklich und zweitens hat er Menschen auf dem Gewissen – daher sein Spitzname „Dr. Death“. Eine wirklich gelungene True-Crime-Serie (brandneu auf Canal+) erzählt die wahre Geschichte des US-Neurochirurgen Dr. Christopher Duntsch, der seine Patienten verstümmelte und in einigen Fällen sogar tot zurückließ. War er zutiefst inkompetent? Oder ein Soziopath? Die achtteilige Serie Dr. Death von Patrick Macmanus, die auf einem Podcast basiert, lässt es offen.
Dr. Death schnitt Stimmbänder durch, hinterließ Schwämme in den Körpern von Menschen, schnitt in Muskeln und Nerven statt in Knochen. Christian Slater und Alec Baldwin spielen die Ärzte, die ihn zu Fall und wohldosierten Humor in die grausige Angelegenheit bringen. In der Titelrolle: Joshua Jackson. Dawson’s Creek-Seher:innen kennen ihn schon länger, andere wissen spätestens seit The Affair, was für ein charmanter Schauspieler er ist. Er verkauft den freundlichen Egomanen Dr. Death ziemlich gut.
Appendix: Nicht nur Scorsese, auch der arbeitswütigen, einmaligen und immer irgendwie erratischen deutschen Regie-Legende Werner Herzog gratulieren wir zum 80. Geburtstag, er feiert diesen am 5. September. Der Kultursenderfels in der Beliebigkeitsbrandung, nämlich ARTE, gratuliert natürlich ebenfalls und zeigt in seiner Mediathek Fitzcarraldo (online vom 5. bis 11. September 2022) und den Dokumentarfilm Flucht aus Laos (online vom 4. September bis 4. Oktober 2022).