Serien wie Strandkrimis

Streaming-Tipps KW 29–31

Kaley cuoco, flight attendant
The Flight Attendant S2, 2022, Steve Yockey

„The Baby“ (neu auf Sky) ist eine schwarzhumorige Serie über eine Frau, die ein verfluchtes Killer-Baby aufgedrängt bekommt. Dazu ein sapphischer Vampir-Klassiker, Serien wie Strandkrimis, z.B. über eine persönlichkeitsgespaltene Flugbegleiterin, und einiges mehr: die Hochsommer-Streaming-Empfehlungen des filmfilter.

Die archetypische Mutter, wie sie oft in Kino und Fernsehen dargestellt wird, ist nahezu synonym mit bedingungsloser Liebe. Diese verherrlichte Vorstellung spiegelt bekanntlich nicht die persönliche Wahrheit jeder Frau wider. Großartige Filme wie The Lost Daughter (bei Netflix) und The Worst Person in the World (noch im Kino, unsere Kritik) stellen diesen Stereotyp brillant in Frage. The Baby, eine britische dunkle Komödie (bei Sky) von Lucy Gaymer und Siân Robins-Grace, reiht sich ein in diesen neugeborenen Kanon, indem sie die Mutterschaft aus der Sicht einer Frau erforscht, die keinen Wunsch hat, jemals ein Baby zu haben, aber trotzdem an einem hängen bleibt. Da das Recht auf Abtreibung in vielen Teilen der Welt bedroht ist, gewinnt die Serie an Dringlichkeit. Aber vor allem macht The Baby viel Spaß: Die Idee, dass Muttersein die Hölle sein kann, nimmt es in seinen acht halbstündigen Episoden ziemlich wörtlich.

Die unfreiwillige Mutter (perfekt gespielt von Spätstarterin Michelle de Swarte in ihrer zweiten Schauspielrolle) fährt in eine abgelegene Hütte am Strand, um ihren Kopf frei zu kriegen. Da stürzt sich eine Frau von einer Klippe, gefolgt von einem Baby, das unsere Heldin Natasha unglaublicher Weise in ihren Armen auffängt. Während der süße Wonneproppen nun selig vor sich hin brabbelt, erleiden die Menschen um ihn herum immer wieder tödliche Schicksale. Der Versuch, ihn der Polizei zu übergeben, endet damit, dass die Beamten von einem Felsbrocken zerquetscht werden. Als Natasha versucht, ihn bei einem freundlichen Angestellten an einer Tankstelle zu lassen, fällt ein Regal um und tötet den Mann. Anscheinend unfähig, ihn los zu werden, ist sie gezwungen, diesen teuflischen Knirps mit sich herumzuschleppen und das führt zu sehr schwarzhumorigen Momenten, aber auch unerwarteten, tiefergehenden Überlegungen über lesbische Liebe, unerwiderte Liebe und ungewollte Schwangerschaft.

Wir bleiben im Genre für die nächste Empfehlung. In der Arte-Mediathek kann man bis 31. Juli den sapphischen Horror-Kult-Klassiker Les lèvres rouges / Daughters of Darkness / Blut an den Lippen streamen. Der belgische Regisseur Harry Kümel hat seinen psychologisch dichten Vampirfilm aus dem Jahr 1971 irgendwo an der dämmrigen Grenze zwischen Arthouse-Kino und Sexploitation angesiedelt. Die große Delphine Seyrig, Ikone der Nouvelle Vague, spielt die ungarische „Blutgräfin“ Elizabeth Báthory, die der Legende nach Jungfrauen ermordete, um in deren Blut zu baden. Ihre Verkörperung der frostigen, fleischlichen Kultiviertheit ist eine für die Ewigkeit. Der Filmemacher hat Seyrigs Figur absichtlich wie eine mordgierige Marlene Dietrich gestaltet: anmutig geschwungene Brauen, ein roter Schmollmund, platinblonde Fingerwellen. Gemeinsam mit ihrer „Sekretärin“ Ilona (Andrea Rau) verführt die Gräfin ein frisch vermähltes Pärchen, gespielt von John Karlen und Danielle Ouimet. Die Spannung zwischen den Vieren kocht schließlich in eine Nacht voller Unheil, Sadismus und Begierde über (nach heutigen Maßstäben freilich harmlos). Blut an den Lippen ist nicht nur ein opulenter Augenschmaus, an dem man sich kaum satt sehen kann, sondern auch ein vielschichtiger Genre-Pionier in seiner Erforschung von queerer Sexualität und Unterdrückung. Ein Kollege von mir hat ihn den „Citizen Kane unter den sapphischen Vampirfilmen“ genannt. Anders ausgedrückt: Man sollte ihn gesehen haben.

Bis 30. Juli kann man in der Arte-Mediathek außerdem Levan Akins wunderschönes queeres Coming-of-age-Drama Als wir tanzten (And Then We Danced) sehen. Dieser in Georgien gedrehte, sehr berührende Film wurde 2019 in Cannes als Entdeckung gefeiert und vielfach ausgezeichnet.

Weiters zu empfehlen in den kommenden Wochen:

Amazon Prime hat Paper Girls (ab 29. Juli), die gleichnamige Graphic-Novel-Reihe des preisgekrönten Comic-Visionärs Brian K. Vaughan und des Künstlers Cliff Chiang adaptiert. Es geht um vier Mädchen, die Zeitung austragen und am Morgen nach der Halloween-Nacht des Jahres 1988 unwissentlich in einen Konflikt zwischen sich bekriegenden Fraktionen von Zeitreisenden geraten. Die Serie lässt sich vielleicht als eine Mischung aus zwei gelungenen Produktionen des Hauptkonkurrenten beschreiben: Stranger Things und Dark.

Unterdessen hat Netflix endlich die Graphic Novel The Sandman von Neil Gaiman verfilmt. Am 5. August wird die Serie mit Pauken und Trompeten erscheinen. Bemühungen, den Comic zu einem Film zu machen, gab es schon seit 1991, aber er zappelte viele Jahre lang in der Entwicklungshölle. Was können wir also nach Jahren gescheiterter Versuche von einer Blockbuster-Fernsehadaption der Geschichte von Morpheus, dem König der Träume (hier gespielt von Tom Sturridge), erwarten? In einem Interview mit Empire hat Gaiman einige der einzelnen Episoden genauer aufgeschlüsselt und gemeint, „es ist wie Downton Abbey, aber mit Magie“. Klingt vielversprechend, hier der Trailer.

Wer Serien wie Big Little Lies und The Undoing vermisst, der wird sich mit Surface (ab 29. Juli bei Apple TV+) gut aufgehoben fühlen, oder anders gesagt: Es fühlt sich in gewisser Weise wie das TV-Äquivalent zum Lesen eines Strandkrimis an. Es gibt einen Unfall und ein Geheimnis, und da sind sehr attraktive, reiche Menschen, die in unglaublich schönen Interieurs leben und viel Weißwein trinken (Reese Witherspoon hat natürlich mitproduziert). Gugu Mbatha-Raw (prägnant u.a. in Apples erstem Original The Morning Show) spielt eine Frau, die ein Trauma erlitten hat, das zu extremen Gedächtnisverlusten geführt hat. Angeblich hat sie versucht, sich das Leben zu nehmen – aber ist das wirklich so? Sam Miller (I May Destroy You) führte bei vier Folgen Regie, und das bedeutet, Surface bedient sich einer genuinen Ästhetik, die sich nicht mit visuellen Oberflächenreizen zufrieden gibt.

Ein weiterer „Strandkrimi“ und eine weitere Frau, die immer noch nicht genau weiß, wer sie ist – und die schmerzlich vermisst wurde –, ist Cassie, gespielt von Kaley Cuoco. Nachdem die Schauspielerin ganze zwölf Staffeln mit dem niedlichen Mädchen Penny für The Big Bang Theory verbracht hatte, bekam sie endlich ihre eigene Serie: The Flight Attendant. Die zweite Season der leicht hitchcockesken Komödie erscheint am 29. Juli auf Amazon Prime. Der Nervenkitzel und das Surreale sind immer noch da – doch alles ist noch eine Spur absurder. Cuoco spielt die Titelrolle hervorragend, sogar besser als im vergangenen Jahr, vielleicht weil sie Zeit hatte, ihre Figur Cassie zu verfeinern. Eine fantastische Veränderung gibt es in den Szenen, die sich in Cassies Kopf abspielen. Diesmal diskutiert sie mit verschiedenen Versionen ihrer selbst, anstatt sich ihren ermordeten One-Night-Stand vorzustellen. Cherry on top: Sharon Stone spielt ihre Mutter.

(Wir wünschen einen angenehmen Hochsommer mit diesen Tipps! Der nächste Sofa Surfer folgt am 12. August.)