Mother!

Zehn Streaming-Tipps zum Muttertag

Frau im Dunkeln
The Lost Daughter, 2021, Maggie Gyllenhaal

So sehr wir es auch versuchen, wir werden wohl nie wirklich wissen, wer unsere Mutter wirklich ist (oder war). Im Lauf der Jahrzehnte haben wir Filme in allen Genres über Mütter gesehen, die darum kämpften, ihre Kinder zu beschützen, oder versuchten, ihre Kinder zu töten, und so ziemlich alles dazwischen. Wer diesen Muttertag mit einem Film (oder mit einer bösen Miniserie) feiern möchte, für den- oder diejenige haben wir ein paar Vorschläge – und lassen bewusst Muttertag (1983) von Harald Sicheritz aus, der immer einen speziellen Platz in unseren Herzen haben wird. Der filmfilter präsentiert: Eine Ode an zehn Leinwand- bzw. Bildschirm-Mütter in Form eines Listicles.

 

Die Celebrity-Mutter: Mommie Dearest (1981) 

Die Macher dieses Films wollten keine Kultkomödie drehen, aber dank des hochgefahrenen Melodramas ist es so gekommen. In ihren umstrittenen Memoiren „Mommie Dearest“ aus dem Jahr 1978 schrieb Christina Crawford über den mutmaßlichen Missbrauch durch ihre Filmstar-Mutter Joan. Gespielt hat sie Faye Dunaway, ihr Gesicht mit gespenstischer Nachtcreme eingeschmiert, ihre Tochter mit einem Kleiderbügel schlagend oder nach einer Axt heulend, während sie besoffen ihren Rosengarten dezimiert. Mommie Dearest (Meine liebe Rabenmutter) unter der Regie von Frank Perry ist quasi die Mutter aller Filme über schlechte Mütter.

Gegen moderates Entgelt bei Apple und Prime Video

 

Die arbeitende Mutter: Mildred Pierce (1945)  

Apropos Crawford: Aufopferungsvolle Mutterschaft trifft auf Film Noir in Michael Curtiz’ Meisterwerk Mildred Pierce mit Joan Crawford in ihrer Oscar-prämierten Rolle als verlassene Ehefrau und Mutter, die von der Kellnerin zum Restaurant-Tycoon aufsteigt. Doch obwohl oder gerade weil sie ihrer Tochter alles gibt, was diese will, erschafft sie in Veda (Ann Blyth) eine verwöhnte, undankbare Göre, die ihre Liebe nicht erwidert. Sie schlägt ihrer Tochter ins Gesicht und die schlägt zurück – was im Schatten von Mommie Dearest ein interessantes Licht ergibt. Crawford spielt eigensinnig und großartig. Ihre Mildred ist eine der denkwürdigsten Leinwandmütter.

Gegen moderates Entgelt bei Apple und Prime Video

 

 

Die jenseitige Mutter: Psycho (1960)

Die Mutter von Norman Bates (Anthony Perkins) in Alfred Hitchcocks Klassiker Psycho ist eifersüchtig und überfürsorglich. Bekanntlich ist sie auch tot, was wir aber erst sehen, wenn wir im Keller auf das Skelett der Dame stoßen. Bekanntlich ist sie die ödipale Kopfgeburt von Norman Bates, dem ikonischen Mörder mit Identitätsstörung, der Janet Leighs Marion Crane in sein Motel eincheckt – und der Rest ist wohl auch bekannt. Obwohl wir sie nie wirklich treffen, ist sie eine der bedeutendsten Mütter der Filmgeschichte. Ihre Stimme so schrill wie die kreischenden Geigen von Bernard Herrmann. Wer sie in einem früheren Leben kennenlernen wollte, ist ihr in Gestalt von Vera Farmiga in der Serie Bates Motel (2013–2017) begegnet.

„Psycho“ gibt es gegen moderates Entgelt bei diversen Streamern, „Bates Motel“ flat auf Sky zu sehen.

 

Die überfürsorgliche Mutter: Mother (2009)

Mother beginnt mit einer schönen Aufnahme von „Mutter“ (die namenlos bleibt und von Kim Hye-ja gespielt wird), die mit einem teils leeren, teils glücklichen Gesichtsausdruck in einem Feld aus gelben Gräsern tanzt. Am Ende werden wir die Szene ein zweites Mal sehen, aber in einem anderen Kontext. Zehn Jahre vor seinem Oscar-prämierten Parasite erzählte der Südkoreaner Bong Joon-ho die beinahe ödipale Geschichte dieser Mutter, die vor nichts zurückschrecken würde, um den Namen ihres geistig behinderten Sohnes (Won Bin) reinzuwaschen. Mit seiner üblichen Mischung aus dunkel, tragisch und komisch schuf Bong eine beeindruckende Hitchcock-Hommage.

Flat auf Sky oder gegen moderates Entgelt bei Prime Video u.a.

 

 

Die suchende Mutter: Todo sobre mi madre (1999)

Pedro Almodóvar ist ein Genre für sich, wenn es um Film-Mütter geht. Aber vielleicht zeigt keiner seiner Filme die Figur der Mutter so liebevoll wie Todo sobre mi madre (Alles über meine Mutter), seine Oscar-gekrönte Ode an Mutterliebe und Selbstfindung. Cecilia Roth spielt eine Frau, die nach dem Mord ihres Sohnes nach Barcelona zurückkehrt und dort eine neue Familie in einer Trans-Sexarbeiterin (Antonia San Juan), einer HIV-positiven, schwangeren Nonne (Penélope Cruz) und einer Schauspielerin (Marisa Paredes) findet. Der Film entstand in den letzten Lebensmonaten von Francisca Caballero, der Mutter des Regisseurs, und endet mit den Worten: „An alle, die Mütter sein wollen. An meine Mutter.“

Ebenso muttertagstauglich, eigentlich an jedem Tag: Almodóvars ¿Qué he hecho YO para merecer esto!! (1984), Volver (2006), Dolor y gloria (2019) und Madres paralelas (2021).

„Todo sobre mi madre“ ist in AT auf Rakuten TV, „Madres paralelas“ am Muttertag noch in einigen Kinos zu sehen.

 

Die furchteinflößende Mutter: Ich seh, Ich seh (2014)

Die mumifizierte Mutter (gespielt von Susanne Wuest) in diesem klinisch finsteren Horrorfilm von Veronika Franz und Severin Fiala ist vergesslich, unheimlich und sie schläft viel. Sie hortet auch Tiefkühlpizza in der Gefriertruhe im Keller. Gerade von einer Schönheitsoperation nach Hause gekommen, erkennen ihre eineiigen, engelsgleichen Zwillingssöhne (Lukas und Elias Schwarz) sie nicht wieder. Ich seh, Ich seh geht großartig gruselig auf die Essenz der Beziehung zwischen Mutter und Kind ein und verdreht sie böse.

Gegen moderates Entgelt bei Prime Video oder z.B. im KINO VOD CLUB

 

 

Die unnatürliche Mutter: The Lost Daughter (2021)

„Ich bin eine unnatürliche Mutter“, sagt Olivia Colmans Figur an einer Stelle im ersten Regiefilm von Maggie Gyllenhaal. Aber im Grunde will die Filmemacherin sagen, dass es so etwas wie „unnatürliche“ Mütter gar nicht gibt. The Lost Daughter (Frau im Dunkeln) sprengt eines der größten verbliebenen Tabus des Feminismus: den Madonna-Mythos. Es ist eine kraftvolle und mutige Darstellung von Mutterschaft und Weiblichkeit aus einer Perspektive, die wir in Filmen nur selten zu sehen bekommen, eine, die sich mehr auf die Liebe einer Frau zu sich selbst konzentriert als auf die Liebe zu ihren Kindern. (hier unsere erste Erwähnung)

Auf Netflix

 

 

Die Single-Mutter: 20th Century Women (2016)

Mike Mills’ halbautobiografischer Film 20th Century Women (Jahrhundertfrauen) ist ein Liebesbrief an die unkonventionelle Frau, die ihn in den 1970ern allein großgezogen hat, gespielt von Annette Bening. Zwei Frauen (Greta Gerwig und Elle Fanning) helfen ihr dabei, aus ihrem Sohn (Jamie Fields) einen „guten Mann“ zu machen, in einer Zeit, in der sich Dinge wie „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ rasant verändern. Reaganismus, Aids und Kapitalismus werden in einem Sommer des Experimentierens und des feministischen Fortschritts erforscht – klitorale Stimulation inklusive.

Gegen moderates Entgelt bei diversen Streamern

 

 

Die seriell obsessive Mutter: The Act (2019)

Dee Dee Blanchard hat ihre Tochter Jahrzehnte lang absichtlich krank gemacht und nach außen „die Mutter des Jahres“ gespielt. Im Juni 2015 ließ die 23-jährige Gypsy ihre Mutter von ihrem Freund ermorden. Sie sitzt heute im Gefängnis. Die tragische Geschichte wurde in eine Miniserie verwandelt, mit der großartigen Patricia Arquette als Mutter und Joey King als Tochter. In acht Folgen erforscht die Dramaserie die wirklich komplizierte Textur des gestörten Abhängigkeitsverhältnisses zwischen einer Tochter, die erwachsen werden will, und einer Mutter, die dies nicht zulässt. Eine Spritze gegen eine nicht vorhandene Zuckerallergie wird hier sowohl zu einem Akt der Grausamkeit als auch zu einem perversen Akt der Liebe. Ein ebenfalls rezenter, thematisch dazu paralleler Film heißt Run (2020) und wartet mit dem ebenso superben Mutter-Tochter-Duo Sarah Paulson und Kiera Allen auf.

„The Act“ in DE bei Starzplay auf Prime Video, „Run“ flat auf Prime Video

 

Die ko-dependente Mutter: Grey Gardens (1975)

Keine Muttertags-Liste wäre vollständig ohne diesen Klassiker. Grey Gardens ist einer der legendärsten Verité-Filme aller Zeiten. Dieses Porträt von Edith Bouvier Beale und ihrer Tochter Edie, den exzentrischen Verwandten von Jacqueline Bouvier Kennedy Onassis, ist ein Walzer der Ko-Abhängigkeit, der Tennessee Williams würdig ist. Die beiden lebten verwahrlost in einem heruntergekommenen Herrenhaus in den East Hamptons, und der zutiefst intime Dokumentarfilm der Maysles-Brüder (mit Ellen Hodvde) aus dem Jahr 1975 fängt die Exzentrizität und die Tragik ihres Lebens ein. Grey Gardens ist so ein Juwel, dass er in Bill Haders und Fred Armisens Comedy-Serie Documentary Now! parodiert wurde. Die Folge „Sandy Passage“ ist fast so gut wie das Original.

Kostenlos zu sehen auf watchdocumentaries