Das Brüllen der Frauen

Streaming-Tipps KW 15

The Dropout, 2022, Elizabeth Meriwether

Ein quasi-feministischer Dropout (Disney), eine Frauen-Anthologie-Serie (Apple), ein feministischer Autorenfilm (Mubi) und zum Drüberstreuen eine der besten Serien dieses Jahrhunderts (Amazon).

In der achten und letzten Folge von The Dropout, die den Bluttest-Skandal um das Unternehmen Theranos fiktionalisiert, ist Elizabeth Holmes’ Schwindel aufgeflogen (das ist kein Spoiler). Sie verbringt einen Moment damit, so laut zu schreien wie sie kann, und dann steigt sie ruhig in ein Uber, ihr strahlendes Lächeln wieder aufgesetzt. Das ist die Pathologie der Lizzy Holmes „in a nutshell“.

In The Dropout (ab 20. April bei Disney+) sehen wir Holmes, mit Gusto gespielt von Amanda Seyfried, im Alter von nur neunzehn Jahren Theranos gründen. Sie behauptet, einen Test entwickelt zu haben, der Krankheiten mit nur einem Blutstropfen diagnostizieren kann. Sie bricht ihr Studium ab, vergleicht sich immer wieder mit Steve Jobs, während sie Investoren das Blaue vom Himmel erzählt. Sie schafft es, Rupert Murdoch und den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger hinters Licht zu führen. Schließlich erklärt Forbes sie zur jüngsten Selfmade-Milliardärin Amerikas. Das Problem daran: Ihre Technologie funktioniert nicht. Von Folge zu Folge zerbricht die Illusion in immer kleinere Stücke.

Es ist eine erstaunliche Geschichte, und wir haben es vorausgesehen und außerdem liegt so etwas im Trend. Smart war die Entscheidung der Showrunner von The Dropout, Liz Meriwether und Regisseur Michael Showalter, Holmes soziopathische Züge zu geben und sie eben nicht zu einer sympathischen Pseudoheldin zu machen. Die Serienschöpfer schenken uns mehrere Szenen, in denen Holmes mit ihrer bizarren, künstlich tiefen Stimme vor dem Spiegel experimentiert. Die Leere ihres Blicks, die Bewegungen ihres Kopfes und das unheimliche Timbre ihrer Stimme: Holmes trainierte all das, um dem Bild einer Disruptorin des Patriarchats im 21. Jahrhundert zu entsprechen.

Während The Dropout uns eine Quasi-Feministin vorstellt, bietet Roar (auf Apple TV+ ab 15. April) acht potente feministische Fabeln. Die Anthologie-Serie der GLOW-Co-Creators Liz Flahive und Carly Mensch basiert auf acht von dreißig Geschichten aus Cecelia Aherns skurriler gleichnamiger Kurzgeschichtensammlung. Jede Folge zeigt die Chronik einer anderen Frau, oft mit magisch-realistischem Touch. Die New York Post hat das Werk als „feministisches Black Mirror“ bezeichnet. So weit würde ich nicht gehen. Nicht jedes Kapitel hat die gleiche Qualität, wie es so oft bei Anthologien der Fall ist.

In der ersten Folge, „The Woman Who Disappeared“, wird eine dunkelhäutige New Yorker Schriftstellerin nach Los Angeles geflogen, um Gespräche über eine Adaption ihrer Kindheitserinnerungen zu führen – nur um festzustellen, dass die weißen Hollywood-Bonzen um sie herum sie nicht wahrnehmen. „The Woman Who Was Kept on a Shelf“ ist ein echtes Highlight, mit Betty Gilpin als buchstäblicher Trophy Wife, die von ihrem Mann gebeten wird, die ganze Zeit über auf einem Deko-Regal zu sitzen und einfach „bewundert zu werden“. In „The Woman Who Ate Photographs“ versucht Nicole Kidman durch den Verzehr von Fotos an wertvollen Kindheitserinnerungen festzuhalten, während sie ihre Mutter (eine wunderbare Judy Davis) an Demenz verliert. Sie merken schon, die Episodentitel sind wörtlich zu nehmen. Die metaphorischen Ideen der kurzweiligen Episoden, teils eindrucksvoll, teils drollig, können innerhalb von dreißig Minuten leider nicht ganz auserzählt werden, aber der Gesamteindruck ist charmant.

Die angebliche Sünde der fünf Schwestern im Herzen von Mustang (bei MUBI) ist, dass sie mit ein paar Buben im Schwarzen Meer Hahnenkampf spielen. Aus dem unschuldigen Geplänkel wird ein Sexskandal, was dazu führt, dass Großmutter und Onkel die Mädchen mehr oder weniger in ihrem Haus einsperren. Sie werden zum Arzt geschleppt, um ihre Jungfräulichkeit zu überprüfen, bevor alle fünf Mädchen aus der Schule genommen, ans Haus gefesselt und gezwungen werden zu lernen, wie sie für ihre zukünftigen Ehemänner kochen.

Die in der Türkei geborene, französische Regisseurin Deniz Gamze Ergüven findet leise und laute Akte der Rebellion, Humor und Wärme in ihrem ersten Film. Sie schwelgt in der Schönheit und dem Freigeist von Elit Iscan, Ilayda Akdogan, Güneş Şensoy, Doga Zeynep Doguslu und Tugba Sunguroglu, insbesondere in deren langen, ungezähmten Haaren – eine Anspielung auf die Kreatur im Titel. Vor allem die natürliche Ausstrahlung seiner Schauspielerinnen hat dem Drama aus dem Jahr 2015 viele verdiente Auszeichnungen eingebracht, einschließlich einer Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film.

Wir haben gerade zwei Jahre hinter uns, die sich für viele von uns seltsam angefühlt haben. Seltsam dazu gepasst hat eine Serie anzusehen, in der zwei Prozent der Weltbevölkerung einfach verschwinden. Nach zweimaligem Sehen halte ich jedenfalls The Leftovers für eines der besten Fernsehdramen des Jahrhunderts, und ich bin nicht allein, aber viele Menschen haben die Serie, die von 2014 bis 2017 erstausgestrahlt wurde, damals nicht gesehen. Sie kämpfte um Einschaltquoten, dabei wurde sie immer besser (und auch immer besser rezipiert) und entpuppte sich als tiefgründiges Werk des modernen Surrealismus.

In drei Seasons (ab 16. April auf Prime Video) untersuchen Damon Lindelof – der mit Lost Weltruhm erlangte – und Tom Perrotta die Folgen eines ungeklärten Ereignisses, das dazu geführt hat, dass sich 140 Millionen Menschen in Luft aufgelöst haben – was unweigerlich dazu führt, dass viele der Menschen, die auf der Erde geblieben sind, nicht in der Lage sind weiterzumachen (überraschenderweise backt niemand Brot). Lindelof lehnt sich an bedeutungsschwangere Symbolik an, spielt mit der Bibel und ausgedehnten Traumsequenzen und weigert sich, sein Publikum mit dem Löffel zu füttern. Er versteht eben, dass es viele Dinge geben kann, die wir nie mit Sicherheit wissen werden. Wir erzählen uns Geschichten, um mit Verlusten fertig zu werden und unserem Leben einen Sinn zu geben.

Perrottas Roman, auf dem die Serie basiert, war im Wesentlichen eine Allegorie für die Trauer nach dem 11. September. Sinnlose Gewalt und die darauf folgende Tragödie, so die Implikation, verleihen der Existenz eine surreale Dimension. Mit opulenter Kinematographie, einer Partitur von Max Richter in der ersten Saison und zu vielen großartigen schauspielerischen Leistungen, um sie alle aufzählen zu können (z.B. Justin Theroux, Carrie Coon, Christopher Eccleston, Ann Dowd oder Regina King), stürzt sich die Serie mit ganzem Herzen in kollektive Trauerarbeit, ob es sich nun um einen kettenrauchenden Weltuntergangskult oder eine wissenschaftliche Verschwörung handelt. Eine häufige Kritik an der Serie war, dass sie zu deprimierend sei. Ich dagegen habe in The Leftovers immer auch einen dunklen Sinn für Humor und Hoffnung gesehen. Wir wissen ja: In jedem Ende steckt auch ein Anfang.