Aller Anfang ist schwer

Streaming-Tipps KW 41

Per-Olav Sørensen, The Playlist
The Playlist, 2022, Per-Olav Sørensen

„The Playlist“ (Netflix), eine schwedische Miniserie über den Gründungsmythos von Spotify. Und „The Bear“, ein serielles Küchendrama (auf Disney+). Dazu zwei Mubi-Kurztipps.

Die neue Küchendramaserie von Christopher Storer (Ramy) ist wie ein Kochtopf, der unter Druck fast implodiert. Man könnte es auch das Gegenteil von Comfort-Food nennen. The Bear (bei Disney+) anzusehen ist fast so stressig wie Adam Sandler dabei zu beobachten, wie er in Uncut Gems (Der schwarze Diamant, auf Netflix), dem großartigen jüngsten Film der Safdie-Brüder, wuselig durch New York City läuft. Die Kamera ist rastlos, Stimmen brüllen übereinander und buhlen um unsere Aufmerksamkeit, das Innere einer Küche stürmt unsere Augen, männliche Egos werden verletzt, Rockmusik blendet ein und aus, das Klo ist verstopft, der Herd fängt Feuer, ein Messer landet im Gesäß eines Angestellten. Alles voller Vorwärtsdrang, immer in Bewegung, immer eilend zur nächsten Sache, und man ist gezwungen mitzuhalten.

Im aufrührerischen Herzen von The Bear steht Jeremy Allen White. Er spielt Carmy, einen Gourmetkoch, dessen aus dem Leben geschiedener Bruder Michael (Jon Bernthal, nur kurz in Rückblenden zu sehen) ihm ein heruntergekommenes Chicagoer Lokal hinterlassen hat. Aber der Sandwichladen ist begraben unter einem Berg von Schulden. Die Mitarbeiter (darunter Ebon Moss-Bachrach und Ayo Edebiri) wollen nichts von Carmy und seiner Haute-Cuisine-Ausbildung wissen – was den nervösen Kerl vor allerlei Probleme stellt. Jeremy Allen White, bekannt aus der Serie Shameless, ist allein schon sehenswert als ein gefühlvoller, rehäugiger, verschlossener Kerl mit Botticelli-Zügen.

Christopher Storer, der bei fünf von acht Folgen Regie geführt hat, hält die Kamera oft einfach auf Whites ausdrucksstarkes Gesicht. Er baut Intensität mit schnellen Schnitten zwischen den Figuren auf, die sie beim Kochen festhalten (es gibt mehr als genug Food Porn). Der Effekt ist, als würde man eine echte Schicht in einer Küche live miterleben – und das führt manchmal dazu, dass man beim Zusehen fast eine Panikattacke hat. Die siebte Folge wurde scheinbar in einer einzigartigen, großartigen, ununterbrochenen Einstellung gedreht.

Die Folgen sind kurz, etwa eine halbe Stunde lang, aber The Bear ist kein Schnellgericht. Selbstmord, Alkoholismus, Traumata, all das wird behandelt und gesalzen serviert. Es menschelt sehr. Kleiner Tipp: vorher essen.

Wir haben vor nicht allzu langer Zeit über Start-Up-Einhörner und die Hollywoodifzierung größenwahnsinniger Unternehmer geschrieben (Möchtegern-Tech-Milliardäre sind einfach ein Geschenk für gute Geschichten). Nun, die Schweden können das auch sehr gut. Die sechsteilige Miniserie The Playlist (Netflix) von Regisseur Per-Olav Sørensen erzählt die Entstehungsgeschichte von Spotify. Natürlich wird die Chronik des erfolgreichsten Musikstreamers ausgerechnet vom erfolgreichsten Videostreamer erzählt. The Playlist wird die Fernsehlandschaft nicht revolutionieren, aber es ist eine bemerkenswerte Produktion.

Der schwedische Schauspieler Edvin Endre spielt Daniel Ek. Zu Beginn ist das IT-Wunderkind gelangweilt und hängt nur mit seiner Mutter rum. Er will für Google arbeiten, aber die sagen ihm, er sei zu ungebildet. Im Büro ist er unterfordert. Dabei ist er so gut darin, Websites zu erstellen, dass er genug Geld hätte, um nach dem Verkauf von Advertigo im Alter von 22 in Pension zu gehen. Bekanntlich hat er anderes im Sinn: Musik, so der Programmierer, soll für alle kostenlos und legal im Internet zu haben sein. Musikpiraterie hält er für primitiv. Er will die Branche revolutionieren. Das Problem ist, dass die Musikindustrie nicht mitspielen will. Gratis Musik? Nein, danke. Natürlich wissen wir alle bereits, wie die Geschichte ausgeht – oder?

The Playlist hält sich größtenteils an die Blaupause, die wir seit David Finchers The Social Network immer wieder bekommen: Da ist ein idealistischer Visionär, niemand versteht ihn, es trifft auf Hindernisse, aber auf den Rücken der Träume anderer wird er seine Träume schlussendlich verwirklichen. Etwas unterscheidet die Serie aber dann doch von ihren Vorgängern: The Playlist dreht sich nicht nur über die Demokratisierung von Musik, die Serie ist auch demokratisch aufgebaut. Jede Folge wird aus der Sicht einer anderen Person erzählt. Die zweite zum Beispiel betrachtet die geschäftliche Seite der Dinge und insbesondere aus den Augen von Per Sundin (Ulf Stenberg), dem CEO von Sony Music in Stockholm. Die dritte Folge wiederum folgt der Anwältin Petra Hansson (Gizem Erdogan), die den Grundstein für Kompromisse mit Plattenfirmen gelegt hat. Dass Künstler wie Taylor Swift ihre Musik von Spotify entfernten mit dem Vorwurf, der Dienst entlohne sie nicht fair, verarbeitet die Serie mit der Figur der Sängerin Bobbi T. (Janice Kavander).

Smarter Schachzug, jedem Spieler und jeder Spielerin eine Stimme zu geben. Auf diese Weise bleibt Daniel Ek, der die Öffentlichkeit stärker scheut als Mark Zuckerberg oder Adam Neumann, in gewissem Sinne ziemlich unscharf. The Playlist hat keinen spektakulären Zusammenbruch zu dokumentieren. Es landet auch niemand vor Gericht. Stattdessen erfindet die Miniserie eine mögliche, problematische Zukunft. Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte, aber nur so lange, bis David selbst zum Riesen wird. Wider Erwarten gibt es keinen erwähnenswerten Soundtrack in The Playlist – welch Ironie!

Über Vortex haben wir ja bereits zum Kinostart geschrieben, es ist ein Film, der „all jenen gewidmet ist, deren Hirn vor ihrem Herzen zerfällt“ (Regisseur Gaspar Noé). Jetzt gibt es Vortex flat auf Mubi (bzw. gegen moderates Entgelt auf Prime Video oder Apple TV) – und bei Mubi Deutschland ist neuerdings auch ein weiterer österreichischer Film zu sehen, nämlich Der Boden unter den Füßen von Marie Kreutzer, den der Streamer selbst darum sehenswert findet: „In einer Konzernwelt, die an Toni Erdmann erinnert, wagt Regisseurin Marie Kreutzer einen Blick auf Unternehmenskultur, psychische Krankheiten und Geschlechter-Erwartungen. Ein chirurgisch präzises Psychodrama, das von der Spannung zwischen dem Persönlichen und dem Beruflichen durchzogen ist.“

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