Wo ist all die Erotik hin?

Warum ist Sex so gut wie verschwunden aus dem US-Mainstream-Kino?

Ana de Armas, Deep Water
Deep Water, 2022, Adrian Lyne

Ich liebe Erotik-Thriller. Auch wenn (zumeist männliche) Filmemacher früher mit einer lässigen Frauenfeindlichkeit – die heute einen Shitstorm im Internet entfachen würde – locker davon kamen: Das Genre bot oft einen interessanten Einblick in die Ängste der Gesellschaft.

Obwohl Disclosure (1994) mit Demi Moore als Femme fatale als frauenfeindliche Gegenreaktion auf den Beginn einer liberalen Periode in der US-amerikanischen Politik und Geschäftswelt gesehen werden kann, funktioniert der Film mit Michael Douglas als sexuell belästigtem Angestellten auch anders, nämlich als egalitäre, feministische oder postfeministische Untersuchung der Machtdynamik zwischen den Geschlechtern. Gerade in den vergangenen Jahren mit #MeToo und #SheToo fühlte sich das relevant an.

Ich habe in den ersten, einsamen Tagen der Pandemie einen Deep Dive gemacht und mir jeden amerikanischen Erotik-Thriller angesehen, den ich erwischen konnte: American Gigolo (1980), Color of Night (1994), The Postman Always Rings Twice (1981), Body Heat (1981), Dressed to Kill (1980), The Last Seduction (1994), Single White Female (1992), Sliver (1993), Body of Evidence (1993), Wild Things (1998) und so weiter. Ich habe gesehen, wie Patricia Charbonneau sich in Call Me (1988) eine Orange zwischen die Schenkel steckt.

Es wurde also ziemlich steamy (irgendwie muss man so einen Lockdown ja überstehen). In der Blütezeit des erotischen Thrillers trieben es Michael Douglas und Glenn Close am Rand einer Küchenspüle und Sharon Stone schockierte ihre männlichen Verhörer mit ihren ungekreuzten Beinen, um zu enthüllen, dass sie keine Unterwäsche trug. Fatal Attraction (1987) und Basic Instinct (1992) sind beide mehrfach Oscar-nominierte, umsatzstarke Klassiker der Kategorie.

In den vergangenen zwanzig Jahren verschwand Sex immer mehr aus dem amerikanischen Mainstream-Kino, während kastrierte Superhelden praktisch jede Leinwand in jedem Multiplex übernehmen und Pornos im Internet florieren.

Die amerikanische Kultur ist gleichzeitig irgendwie puritanischer und vulgärer geworden. Wenn ein Europäer wie Lars von Trier Nymphomaniac (2013) ins Kino bringt, bleiben die Amerikaner:innen zu Hause. Nicht annähernd eine Million Dollar hat der Film in den USA eingespielt. Es traut sich heute auch keiner mehr in Hollywood (mit wenigen Ausnahmen), solche Filme zu machen, weil das Spielfeld der Sexualpolitik zu prekär ist. Kaum jemand will erforschen, wie Macht und Sex, Lust und Schmerz ineinander verstrickt sein können. Und dann ist die Grenze zwischen Kunst und Trash, zwischen Kunst und Porno, natürlich eine, die ständig im Flux ist. Das Tabu und der Spaß am erotischen Thriller war immer schon die schräge Sexualpolitik, aber es ist schwierig darüber zu sprechen, ohne Tabus zu brechen.

Wer das Gespräch über die alten Tage, als das Hollywood-Kino noch sexy war, fortsetzen möchte, sollte sich You Must Remember This anhören, einen Hollywood-Podcast der amerikanischen Filmkritikerin Karina Longworth, die tief in den Aufstieg, den Niedergang und das Nachleben von Sex und Erotik in Hollywood-Filmen eintaucht.

Meine eigene Faszination für Erotik-Thriller kann ich auf Eyes Wide Shut (1999) zurückführen; in der ersten, zwölfteiligen Staffel („Erotic 80s“) des genannten Podcasts geht es um Sex in Hollywoodfilmen in den zwanzig Jahren vor Stanley Kubricks letztem Film. Die erste Folge führt uns zurück zu einer Party in den 1960er Jahren, als Kubrick, fasziniert von einem Porno, der dort gezeigt wurde, sich offenbar eine Zukunft vorstellte, in der expliziter Sex in das Mainstream-Kino Hollywoods integriert werden könnte. „Wäre es nicht interessant“, soll Kubrick gesagt haben, „wenn das eines Tages jemand tun würde, der ein Künstler ist?“

Es ist leicht, erotische Thriller als sexistische Schmuddelfilme zu disqualifizieren – was sie nicht selten sind. Diese Filme lösten oft zurecht Kontroversen aus und viele von ihnen sind unfreiwillig lustig (I’m looking at you Madonna in Body of Evidence). Aber sie haben mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick sieht. Abbey Bender schreibt über ihre „Faszination“ für das Genre in der New York Times: „Der Erotik-Thriller wurde in der prosperierenden Reagan-Ära bekannt, die politisch konservativ, aber kulturell trashig war. Diese Filme erforschten diesen Widerspruch auf fruchtbare Weise und wurden in den Neunzigerjahren an den Kinokassen vergoldet. Sie destillierten die Exzesse und Ängste der Yuppie-Kultur zu psychosexuell chaotischen, aber stilisierten kommerziellen Produkten, bevor sie in der Luft verpufften.“

Eine Theorie ist, dass Sex nicht verpufft ist, sondern sich auf den kleinen Bildschirm verlagert hat: The Voyeurs, The Undoing und so weiter. Fatal Attraction und Paul Schraders American Gigolo, mit Jon Bernthal in der Rolle von Richard Gere, werden derzeit als Serien neu aufgelegt. Aber man kann die alte Formel nicht einfach auf einen Film aus dem Jahr 2022 klatschen. Ein „feministischer Spin“ soll dem Genre neues Leben einhauchen. Vulture hat dem Erotik-Thriller im April eine ganze Woche gewidmet. Die Tagline: „Make Hollywood horny again.” Es lohnt sich wirklich rein zu lesen.

Einige Filmemacher:innen haben versucht, den Erotik-Thriller am Leben zu erhalten, darunter auch Pseudo-BDSM-Filme wie Fifty Shades of Grey oder die polnische Antwort darauf, 365 Dni. Adrian Lyne, der Regisseur von Filmen wie Flashdance (1983), Indecent Proposal (1993) und Fatal Attraction, kehrte 2002 mit Unfaithful zurück. Der Film war ein kommerzieller Erfolg und brachte Diane Lane eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin. Im März veröffentlichte Lyne seinen ersten Film seit 20 Jahren: Deep Water (bei Amazon), ein Erotik-Thriller, der leider nicht sonderlich erotisch ist.

Man darf sich wünschen, dass das US-Kino wieder mutiger und wieder sinnlicher wird, aber das würde bedeuten, dass die Amerikaner:innen ihre dreckigsten Fantasien und ihre dunkelsten Ängste erforschen müssten.