The Last Movie Star?

Es ist ziemlich daneben, Tom Cruise als „letzten Filmstar“ zu bezeichnen.

Lawrence, Causeway
Causeway, 2022, Lila Neugebauer

Wir haben keine Filmstars mehr“, schrieb Wesley Morris von der New York Times vergangene Woche. Und das führe zu einer „Krise“ in Hollywood. Das ist natürlich eine zugkräftige Headline. Ungefähr genauso eingängig wie die inflationär gebrauchte Phrase „Das Kino ist tot“.

Wobei, einen „echten, letzten“ Filmstar gibt es noch: Tom Cruise. Und der inszeniert sich auch gern als solcher. In Top Gun: Maverick ist niemand so qualifiziert wie der unmerklich in die Jahre gekommene Schauspieler. Sein Kampfpilot aus dem Jahr 1986 ist gekommen, um jüngeren Idioten beizubringen, wie man richtig fliegt.

Die positiven Kritiken und Geldberge, die in diesem Jahr für Top Gun: Maverick hereinrollten, ließen viele zum Schluss kommen, dass Tom Cruise der letzte große Filmstar ist. Mag stimmen, dass der Amerikaner am Höhepunkt seiner Coolness angekommen ist, seit er vor vierzig Jahren zu schauspielern begann. Doch wäre es Unfug zu behaupten, er sei der letzte Superstar. (Und selbst wenn: Wäre das so schlecht?)

In den dunkleren Tagen der Pandemie hat Ethan Hawke einen sechsstündigen Dokumentarfilm darüber gemacht, wie eine Generation von Hollywood-Schauspielern ihre Karrieren nach ihren Vorbildern Paul Newman und Joanne Woodward modelliert hat. Der Titel: The Last Movie Stars. Natürlich liegt eine gewisse Ironie darin, dass diese Feststellung von einem Filmstar kommt.

Es gibt immer noch genügend Sterne in Hollywood, die ein bisschen größer als das Leben selbst leuchten und an die wir uns in kalten Nächten klammern können. Fast alle Filme von Tom Hanks waren ein Hit. Harrison Ford ist 80 und schwingt immer noch die Peitsche im fünften Indiana Jones-Film, der nächstes Jahr in die Kinos kommt. Jennifer Lawrence ist eine der bestbezahlten Schauspielerinnen der Welt. Das neue kleine Drama Causeway (auf AppleTV+) würde nicht existieren, hätte sie nicht eine Hauptrolle darin. Timothée Chalamet, Saoirse Ronan und Zendaya sind nachgerückt.

Dennoch hat Tom Cruise in diesem Sommer einen einzigartigen Stunt hingelegt. Maverick ist der bislang umsatzstärkste Kinofilm des Jahres (ein kleiner Start namens Avatar 2 könnte das noch ändern). Und der stets lächelnde Cruise hat alles getan, was er konnte, um dafür zu werben – außer in den Weltraum zu fliegen, wo er anscheinend für seinen nächsten Film hin will.

Es ist lange her, als Cruise mit Größen wie Paul Thomas Anderson, Stanley Kubrick und Steven Spielberg zusammen gearbeitet hat. Man kann darüber streiten, wie gut er als Schauspieler ist (ich fand ihn immer sehr unterhaltsam), aber er fand eine verstaubte alte Spionage-TV-Serie aus den 1960er Jahren und verwandelte sie in sein eigenes Multi-Milliarden-Dollar-Franchise. Die Mission: Impossible-Fortsetzungen erscheinen 2023 und 2024.

Trotz peinlicher Sprünge auf Oprah Winfreys Sofa und dubiosen Aussagen zu seiner Religion ist Tom Cruise eine gute geölte Maschine. In einer Zeit, in der Stars dazu gedrängt werden, besonders „echt“ zu erscheinen, pflegt er das Image eines unerreichbaren, undurchsichtigen „bigger than life“ Hollywood-Stars. Er hat kein Social Media und gibt kaum Interviews. Sie können all ihre Fantasien auf und in ihn projizieren, weil er eine Marke ist.

Cruise ist einer von wenigen, die immer noch Filme nur fürs Kino machen. Er macht kein Fernsehen und geht nicht ins Streaming. Darin kann man eine gewisse Beständigkeit und Chuzpe erkennen (er kann es sich quasi „leisten“), oder man sieht darin eine gewisse Sturheit und Angst, die sich gegen den Zeitgeist wendet. Einigermaßen erfolgreich wehrt Cruise sich auch gegen das Älterwerden, was ein bisschen gruselig wirkt. Mit 60 Jahren hat er immer noch den gleichen Haaransatz und das gleiche 10-Millionen-Dollar-Lächeln. In der Zwischenzeit haben Kolleg:innen wie Nicole Kidman, Matthew McConaughey und Kate Winslet im Fernsehen welche ihrer besten Rollen gespielt. Tom Cruise lebt immer noch im Jahr 1986.