Love is dead

Netflix wird wohl Sharing-Gebühren und Tarif-Werbung einführen. WTF?

Netflix Daumen runter

„Liebe ist, ein Passwort zu teilen“, twitterte Netflix einst. Nun, damit ist es wahrscheinlich bald vorbei.

Obwohl die Praxis nicht ausdrücklich erlaubt war, erschien es vielen Nutzer:innen selbstverständlich, ein Abo mit Freunden oder Familie zu teilen. Selbst nach dem Ende einer Beziehung war man mit dem oder der Ex nicht selten zumindest noch über Netflix miteinander verbunden.

222 Millionen Haushalte nutzen Netflix weltweit, das kalifornische Unternehmen geht allerdings davon aus, dass 100 Millionen Haushalte ihr Passwort mit anderen teilen. Nun möchte der Streamer dem allem Anschein nach entgegenwirken und verhindern, dass Nutzer:innen ihr Passwort an Menschen weitergeben, die in anderen Haushalten leben. Einfach ausgedrückt: Wenn Sie und ihr Partner oder ihre Partnerin noch nicht beschlossen haben, zusammen zu leben, können Sie ein gemeinsames Konto haben, aber es wird Sie in Zukunft mehr kosten. Angesichts der Inflation und steigender Lebenserhaltungskosten könnte dieser Aufpreis viele Netflix-Abonnenten davon überzeugen, den Service vollständig zu kündigen.

Laut New York Times hat Netflix intern seine Absicht bekräftigt, noch vor Ende des Jahres gegen das Teilen von Passwörtern vorzugehen, was früher wäre als ursprünglich geplant.

Während der weltweit beliebteste Streamer weiter wuchs und der Aktienkurs stieg, gab es für das Unternehmen keinen Grund, irgendetwas zu tun, das es unbeliebt machen könnte, aber jetzt braucht es Bargeld. Im April berichtete Netflix, dass es 200.000 Abonnenten verloren habe – das erste Mal seit einem Jahrzehnt. Es prognostizierte auch Finsteres für das nächste Quartal mit einem vorhergesagten Verlust von etwa 2 Millionen. Seitdem ist der Aktienkurs von Netflix stark gefallen und hat die Marktkapitalisierung des Unternehmens um rund 70 Milliarden US-Dollar vernichtet. Aber das schlechte erste Quartal von Netflix hat mehr als nur den Aktienkurs nach unten gedrückt. Es hat ein Loch in die Mythologie des Unternehmens und der Streamer-Revolution gerissen.

Warum ist es passiert? Nun, Schuld sind nicht die „bösen“ Passwort-Teiler. Es war eine Mischung von Gründen, angeführt vom Krieg in der Ukraine (Netflix stellte seinen Service in Russland ein), aber auch getrieben von der grundlegenden Tatsache, dass Netflix jetzt in der von ihm geschaffenen wettbewerbstüchtigen Welt existiert, das heißt dem Aufstieg von Streamern wie Disney+, Apple TV+, HBO Max, Amazon Prime, und vielen mehr. Vor allem Nordamerika ist jetzt überschwemmt von zu vielen Diensten. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis gewisse Geschäftsmodelle zusammenbrechen.

Die Anbieter geben immer mehr für Lizenzen und aufwändige Eigenproduktionen aus, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Deshalb wurden die Abos in den vergangenen Jahren auch nicht billiger, sondern teurer. Um sich zu wehren, hat Netflix insgesamt 15 Milliarden US-Dollar geliehen, um seine Originalproduktionen zu finanzieren. Unternehmen wie Amazon oder Apple können Milliarden von Dollar für Originalinhalte ausgeben, ohne mit der Wimper zu zucken.

Dann ist da die Tatsache, dass Kinos wieder aufsperren und die Menschen von ihrer Couch aufstehen (die Pandemie war ein Segen für Netflix). Außerdem scheint Streaming nach der Pandemie weltweit das Leben vieler Menschen vollständig durchdrungen zu haben, was die Konsequenz hat, dass es nicht mehr viel Raum für Wachstum gibt. Streaming wird nicht unbedingt immer größer und größer. Infolgedessen testete Netflix heuer ein System in Chile, Costa Rica und Peru (warum gerade diese Länder zum Handkuss kamen, kann ich nicht sagen), bei dem Menschen, die ihre Zugangsdaten außerhalb ihres Haushalts teilen wollten, einen Aufpreis von 2,99 US-Dollar zahlen mussten.

Bridgerton, 2020–, Chris Van Dusen

Das Experiment muss ein Erfolg gewesen sein, denn wenn das, was in der New York Times steht, wahr ist, kommen die Veränderungen bereits im Oktober auch im Rest der Welt. Es wird nicht allen gefallen. Haushalte in den USA geben für Streaming durchschnittlich 55 US-Dollar pro Monat aus. Das können oder wollen sich nicht alle leisten. Es hat Abo-Kündigungen in Nordamerika geregnet, nachdem die Preise im Januar erhöht worden waren.

„These companies are begging Gen Z to learn how to pirate stuff without any modicum of shame in the way millenials did“, twitterte ein NBC-Reporter im März.

Es ist wirklich sehr einfach, Serien und Filme rechtswidrig im Internet zu finden. Jeder kann eine Fülle an Websites ausfindig machen, um fast jede gewünschte Serie oder jeden gewünschten Film anzusehen. Werden wir mehr Piraterie erleben? Werden mehr Anwaltsbriefe in die Haushalte flattern?

Wie in den sozialen Netzwerken zu sehen war, bekamen einige User in den USA eine eindeutige Nachricht: „If you don’t live with the owner of this account, you need your own account to keep watching.“ Man wird nicht darum herumkommen. Der Streamingdienst weiß dank IP-Adressen ganz genau, wo man gerade Bridgerton oder Stranger Things schaut.

Ob Netflix auf diese Weise Kund:innen vergraulen wird, ist unklar. Dem Streamer geht es darum, seine Abo-Zahlen zu steigern und seine Inhalte zu monetarisieren. Deshalb steht auch ein neues, günstigeres Abo im Raum, das mithilfe von Werbung finanziert werden soll, nachdem jahrelang öffentlich erklärt wurde, dass Werbespots niemals zu sehen sein würden. US-Streamer wie Hulu und HBO Max bieten bereits günstigere Abos an, die durch Anzeigen querfinanziert werden. Disney wird nachziehen. Einen Film mit Werbung zu unterbrechen ist eine Unart. Klingt irgendwie nach Kabelfernsehen, von dem ich gehofft hatte, dass es hinter uns liegt.