Hollywood made in China

Warum die Fliegerjacke von Maverick mehr bedeutet als auf den ersten Blick erkennbar.

shang-chi, simu liu
Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings, 2021, Destin Daniel Cretton

Ein kleines Detail auf Tom Cruises brauner Fliegerjacke sorgte für geopolitischen Wirbel. Als der Trailer und das Poster zu Top Gun: Maverick zum ersten Mal im Jahr 2019 veröffentlicht wurden, bemerkten aufmerksame Zuschauer:innen, dass sich zwei Stück Stoff gegenüber dem Original aus dem Jahr 1986 geändert hatten: Die Aufnäher mit taiwanesischer und japanischer Flagge auf der Rückseite von Mavericks Bomberjacke waren ersetzt worden – wohl um chinesische Geldgeber zu beschwichtigen. Wir erinnern uns daran, wie sich im vergangenen Jahr der Fast & Furious-Schauspieler John Cena auf Mandarin bei seinen chinesischen Fans dafür entschuldigte, dass er Taiwan während einer Werbetour für den neuen Film als „Land“ bezeichnet hatte.

Dass ein internationaler Filmstar Taiwans Flagge auf seinem Rücken zur Schau stellt, untergräbt die chinesische Souveränität. Und angesichts der Spannungen zwischen China und Japan wollten die Produzenten wohl auf Nummer sicher gehen, und entfernten auch die rote Sonnenscheibe. Später zogen sich die chinesischen Investoren jedoch wegen der USA-hurrapatriotischen Botschaft des Films zurück. Und so hat es die zensurierte Jacke nicht in die Endfassung des Films geschafft. Stattdessen zieht Tom Cruise in den ersten paar Minuten von Maverick seine Originaljacke an. Amerikaner und Taiwaner jubelten.

Ist das nun ein Beweis dafür, dass Hollywood China endlich Paroli bietet?

Ja und Nein. China ist auf dem besten Weg, die USA als größtes Filmkonsumland der Welt zu überholen. In den vergangenen beiden Jahren hat es das schon getan. Das Land ist zu groß, um es zu ignorieren, aber dort Geschäfte zu machen bedeutet, jedes Geschäft den Launen einer zunehmend unberechenbaren Regierung zu unterwerfen. Nicht alle Hollywood-Studios wollen auf China „verzichten“. Warner Bros. hat für den China-Start von Fantastic Beasts 3 im April einen Dialog entfernt, in dem es um die romantische Vorgeschichte zwischen zwei männlichen Zauberern geht.

Sony brachte den neuen Spider-Man an der chinesischen Zensur nicht vorbei, weil die darauf bestand, dass die Freiheitsstatue aus dem Film geschnitten wird – eine Forderung, die unmöglich erfüllt werden konnte. Die Entfernung der Freiheitsstatue hätte einen Shitstorm in den USA ausgelöst. Es war aber sicher keine leichte Entscheidung für Sony. Das Unternehmen wurde schon in der Vergangenheit für Seven Years in Tibet (1997) bestraft. Die Muttergesellschaft Sony Electronics wurde nach dem US-Filmstart in China verboten, obwohl der Film mit Brad Pitt nicht in China veröffentlicht worden war. Tibet, das seit 1951 von der kommunistischen Regierung in Peking kontrolliert wird, ist eines der sensibelsten Themen der chinesischen Politik. Doctor Strange (2016) hatte ursprünglich eine tibetische Figur im Comic. Disney änderte ihn in eine keltische, gespielt von Tilda Swinton, um den Zugang zum lukrativsten Markt der Welt nicht zu verlieren.

doctor strange, tilda swinton
Doctor Strange, 2016, Scott Derrickson

Seit den Neunzigern werden große Hollywood-Filme mit Blick auf China gedreht oder in der Postproduktion verändert. Bis 1994 ging es in den meisten staatlich geförderten chinesischen Kinofilmen um Chinas Geschichte bzw. um Persönlichkeiten, die die Kommunistische Partei preisen. Dann begann die Regierung, eine begrenzte Anzahl von Hollywood-Filmen ins Land zu lassen, beginnend mit The Fugitive mit Harrison Ford. Aus dem Nichts tauchte ein Markt mit 1,4 Milliarden potenziellen Kunden auf. Also begann Hollywood, sich selbst zu zensurieren und Filme zu schreiben, von denen sie wissen, dass sie den Test in China bestehen werden.

Ein bekanntes Beispiel ist auch das Remake des Actionfilms Red Dawn (2012), das von MGM teuer digital verändert wurde, damit China nicht mehr als Bösewicht dargestellt wurde (man nahm stattdessen Nordkorea). MGM bringt auch die James Bond-Filme in China in die Kinos (die übrigens auch schon der Zensur zum Opfer gefallen sind) und kann sich keinen Fehltritt leisten.

Der Amerikaner Erich Schwartzel schreibt: „Unbemerkt von den meisten Kinobesuchern entfernten die Studios Szenen und Dialoge aus Drehbüchern und fertigen Filmen, um die chinesische Zensur zu beruhigen (…) Hollywood wurde zu einem kommerziellen Arm für Chinas neue Ambitionen.“

Aber die Dinge haben sich verändert und die aktuelle Situation hat nicht nur Schwartzel dazu veranlasst, sich zu fragen, ob Hollywood China noch braucht oder umgekehrt. Disney hat seit geraumer Zeit Schwierigkeiten, seine Filme nach China zu bringen, einschließlich des MCU. Seit Avengers: Endgame im Jahr 2019 wurde kein Marvel-Film mehr in China veröffentlicht. Möglicher Grund der kalten chinesischen Schulter: Simu Liu, der Superheldenstar von Shang-Chi, und Chloe Zhao, Regisseurin von Eternals, hatten Berichten zufolge vor Jahren die chinesische Regierung kritisiert.

Im Jahr 2012 sorgte einer der größten Konzerne Chinas, die Dalian Wanda Group, für Aufsehen, indem er die amerikanische Kinokette AMC für 2,6 Milliarden US-Dollar kaufte. Nun hat Wanda im vergangenen Jahr den größten Teil seiner AMC-Anteile wieder verkauft.

China scheint es auch ohne Hollywood gut zu gehen. Die Chinesen haben in jüngster Zeit patriotische Propaganda-Kriegsfilme wie The Battle at Lake Changjin bevorzugt. Immerhin haben sie das populäre Filmschaffen von den Besten gelernt. Im Jahr 2020 wurde das Land zum größten Filmmarkt der Welt, weil Chinas Kinos sich schneller von der Covid-Pandemie erholen konnten als die in Nordamerika. Der Trend setzte sich im vergangenen Jahr fort, wird aber wohl heuer wieder gekippt werden – vor allem wegen Top Gun & Co.

Sicher ist es zu früh, das Ende der Ko-Abhängigkeit zwischen Hollywood und China zu verkünden. Und es an zwei Stück Stoff auf Tom Cruises Jacke fest zu machen, wäre vermessen. Klar aber ist: In dieser Beziehung kriselt es.