Ein ikonisches Bild der Horrorfilmgeschichte ist das einer jungen, blonden Frau, die sich blutverschmiert auf die Ladefläche eines Pickups gerettet hat. „Los, los!“ schreit sie den Fahrer an. Sie gibt einen abdominalen Urschrei von sich, der sich in ein manisches Lachen verwandelt. In der Ferne führt ein wütender Wahnsinniger im Sonnenaufgang einen Kettensägentanz auf.
Marilyn Burns spielte die Finalistin Sally Hardesty in Tobe Hoopers Texas Chain Saw Massacre (1974). Sie ist eines der berühmtesten „letzten Mädchen“ und war auch eines der allerersten, bevor das Final Girl en vogue wurde. Geprägt hat den Begriff die Amerikanerin Carol J. Clover. In ihrem inzwischen legendären Buch „Men, Women, and Chain Saws“ aus dem Jahr 1992 schrieb sie: „Die Frauenbewegung hat der Populärkultur viele Dinge gegeben, einige schmackhafter als andere. Eine ihrer Hauptgeschenke an den Horror, denke ich, ist das Bild einer wütenden Frau.“
Ursprünglich in den frühen 1970er Jahren geboren, war das Final Girl diejenige, die einen Horrorfilm überlebt, oft von der Sorte Slasher. Besonders in älteren Filmen ist das Girl fast immer weiß, jungfräulich, heterosexuell und hat eine komplizierte Entwicklung hinter sich. Für die einen ist sie eine feministische Abtrünnige, für die anderen eine sexistische Fantasiefigur. Wie meinte Alfred Hitchcock während der Dreharbeiten zu The Birds: „Ich glaube immer daran, dem Rat des Dramatikers Sardou zu folgen. Er sagte: ‚Foltert die Frauen!‘ … Das Problem heutzutage ist, dass wir Frauen nicht genug foltern.“
Sally Hardesty war so eine gefolterte Heldin. Im Laufe eines Sommernachmittags sah sie dabei zu, wie ihr Bruder und ihre Freunde von einer kannibalischen Familie psychopathischer Hinterwäldler in Texas geschlachtet wurden. Danach wurde sie zu einem gruseligen Dinner „eingeladen“. Doch sie sprang aus dem Fenster und auf den Truck und seither wurden mannigfach Fan-Theorien darüber ausgetüftelt, was mit ihr passiert sein könnte. Im neunten Film des TCM-Universums, der nun auf Netflix zu sehen ist (ein Aufsatz des TCM-Franchise-Experten Moldenhauer folgt alsbald), stellt sich heraus, dass sie seit fünfzig Jahren ein ruhiges Leben in einem alten Bauernhaus lebt und nebenbei Schweine schlachtet. Sie wird jetzt von der irischen Schauspielerin Olwen Fouéré gespielt, hat langes, silbernes Haar und sieht aus wie ein Cowboy. Als sie davon hört, dass Leatherface wieder mordet, packt sie ihre Schrotflinte ein um sich zu rächen. (Dies ist keine Frau, die gerettet werden muss!) Obwohl der Film eine schreckliche Sünde begeht, die ich an dieser Stelle nicht verraten werde, ist es immerhin erfrischend zu sehen, wie hier eine Frau jenseits der Sechzig versucht, ihren Peiniger selbst zur Strecke zu bringen.
Eine ganze Reihe letzter Mädchen sind inzwischen zu erfahrenen Frauen geworden. Final Girl Laurie Strode kehrte als knallharte Großmutter in den neuen Halloween-Filmen zurück. Sie wurde von einer verängstigten Babysitterin zur eiskalten Killerin. Michael Myers geht jetzt nicht mehr hinter ihr im Schritt-Tempo her, sondern sie hinter ihm. Jamie Lee Curtis setzte in John Carpenters Halloween (1978) eine Art Goldstandard für das Genre. Sie setzte sich mit einer Stricknadel, einem Kleiderhaken und einem Küchenmesser gegen ihren Schinder zur Wehr und bekam die Chance, ihn mehrmals zu töten. Laurie Strode steht exemplarisch für viele erwähnenswerte Überlebende, die sich in die Popkultur eingeschrieben haben, es gibt etliche Listen wie „The 15 Best Final Girls in Horror Movies“ oder „The 20 Best Final Girls in Movie History“.
Mit Wes Cravens Scream trat das Final Girl im Jahr 1996 in seine postmoderne Ära ein. In Neve Campbells Sidney Prescott hatten wir ein letztes Mädchen, das mit den Tropen des Horrorgenres vertraut war. Die Schauspielerin hat fünf Scream-Teile auf dem Buckel und ist inzwischen Mutter und Ehefrau. Sie entkommt vielleicht nie einem geistesgestörten Familienmitglied, das ihr den Tod wünscht, aber sie kreuzt immer konsequent für die Fortsetzung auf.
Es gibt inzwischen eine neue Generation letzter Mädchen, die auf ihr aufbauen. Sie sind komplizierter, facettenreicher und nicht gerade zimperlich. Getreu der Formel des Genres ist die Jungfrau in Josh Whedons Horror-Satire The Cabin in the Woods das letzte Mädchen. Aber anstatt dem Protokoll zu folgen, kann sie wählen, ob sie das Final Girl oder dafür verantwortlich sein will, dass die Welt untergeht (sie entscheidet sich für Letzteres). Im Zentrum von All the Boys Love Mandy Lane mit Amber Heard steht eine vernichtende Kritik an der Slasher-Formel, insbesondere an ihrem antiquierten Frauenbild. Maika Monroe in It Follows kratzt an der veralteten Sexualpolitik und muss buchstäblich Sex haben, um zu überleben. Und vor nicht allzu langer Zeit gab uns Lupita Nyong’o mit Adelaide eine wunderbare Überlebende in Jordan Peeles Doppelgänger-Horror Us. Sie ist Monster und Heldin.
Das Final Girl ist weit gekommen in den vergangenen zwanzig Jahren. Ich war einst fasziniert von diesem blonden Mädchen, das sich auf einem Pickup die Lunge aus dem Leib schrie; aber die wütende Frau, zu der sie geworden ist, fasziniert mich noch mehr – und die Frauen, die ihr seitdem gefolgt sind.